6705670-1963_50_20.jpg
Digital In Arbeit

Sorge um die Seelen

Werbung
Werbung
Werbung

Schon fünf Jahre nach seiner Priesterweihe, nach drei Kaplansjahren und zweijähriger Tätigkeit als Regens des Priesterseminars, ist Paulus Rusch im Alter von 35 Jahren zum Bischofsamt berufen worden, in einer Zeit, da sehr vieles wankte und zahlreiche Vertikalen nicht mehr aufrecht zum Himmel zu ragen schienen. Wenn aber in diesen Zeilen vor allem vom Seelsorglichen des unter dem Leitspruch „Christo Regi vita nostra” (Christ dem König unsere ganze Kraft) wirkenden Bischofs berichtet werden soll, muß man sich auch jenseits der politischen Situation des Herbstes 1938 vergegenwärtigen, wie ganz anders als heute die damalige Lage war.

So mag es als ein Schlaglicht gelten, daß der junge Bischof als seine Behörde einen Provikar genannten Generalvikar und zwei Sekretäre vorfand. Weiter reichte die staatliche Besoldung nicht. Bereits der Leiter des Seelsorgeamtes, Msgr. Michael Weiskopf, der ihm dann in allen harten Verfolgungsjahren mit einer geradezu sprichwörtlichen Treue und Tapferkeit zur Seite stand, war auf dem bescheidenen Besoldungsposten eines 14 km entfernten Dorfes als Kooperator eingestuft. Die Anschaffung eines Lichtbildapparates für die Jugendarbeit war ein echtes Problem und jegliche nicht traditionelle Seelsorgearbeit von größter finanzieller Beschränkung gehemmt. Viel ärger war natürlich für das vom Bischof erstellte Seelsorgeprogramm der immer härter werdende Druck der ausgesprochen feindlichen öffentlichen Gewalt. Der Gauleiter hatte sich schnell auf die Formel geeinigt, die ihm weiß Gott welcher Jurist eilfertig geliefert hatte: Bischof Rusch wird überhaupt nicht in seiner Funktion anerkannt, weil seine Ernennung durch Pius XI. nicht allen geltenden Vorschriften entspreche.

Die folgenden Monate der bischöflichen Wirksamkeit waren von der heute fast schon kaum mehr vorstellbaren Lage der Kirche Österreichs jener Jahre gekennzeichnet: Verhaftungen zahlreicher Priester, Beschlagnahme kirchlicher Gebäude, Vertreibung von Mönchen und Nonnen und Verbote, Verbote, Verbote! Das Gotteshaus war bald nur mehr der einzige Boden, auf dem die Kirche ein sehr überwachtes und sichtlich nur bis auf weiteres geduldetes Dasein führen konnte: Seelsorgestunden, Jugendstunden, Schulkatechesen, Erstkommunion- und Firmunterricht, Bibelstunden für jung und alt wurden also dorthin verlegt, und sie wurden gehalten. Diese Stellung aufzugeben war Bischof Rusch nicht mehr gewillt Ein um so furchtbarerer Aderlaß für die Seelsorge und für die von ihm besonders geförderte Jugendseelsorge war die ab 1941 immer stärker spürbare Einberufung zahlreicher jüngerer Priester.

Bischof Rusch hatte aber mit der von ihm persönlich geleiteten Jugendseelsorge für die Zukunft gearbeitet. „Im Sturm säen, um dann in der Ruhe ernten zu können.” Man rückte zusammen, und so erstand in der „Pfarrjugend” die Gemeinschaft der jungen Katholiken. Auch diese Bastion wurde nicht preisgegeben. Hier war ein Halt allen antikirchlichen und antichristlichen Kräften gesetzt, das zwar Opfer kostete, das aber irgendwie auch von der Gegenseite respektiert wurde. Es gab zwar genügend Schikanen, Prügeleien, gehässige Überwachungen. Es wurde aber der Spreu vom Weizen geschieden, und dieser brachte vierzig-, sechzig- und hundertfältige Frucht. — In der Stille jener Zeit wurde die Einrichtung der Dekanatsjugendseelsorger geschaffen: junge Priester, die der Bischof persönlich in entlegenen Klöstern wie in Beuron oder in Münsterschwarzach formte. Die natürlich auch verbotenen Jugendexerzitien wurden im „Untergrund” gehalten, diesseits und jenseits der Grenzen. Zahlreiche Männer und Frauen der Katholischen Aktion von heute gingen durch die Prüfungen jener Zeit und fanden ihren Halt im Mann, der den Hirtenstab mutig vorantrug: „Christo Regi vita nostra”! Das war sein Programm.

Was in den Jahren der Gewalt grundgelegt wurde und vom Blut der für Kirche und Heimat Hingerichteten nach dem Beispiel der Märtyrerkirche des Urchristentums betaut war, kam in den Jahren nach dem Kriege zum Wachsen und Blühen. Weitausladend erwuchsen aus dem Seelsorgeamt in den verschiedenen Referaten der Katholischen Aktion zahlreiche Bemühungen um jeden einzelnen, wie um die gesamte Öffentlichkeit. Es ist aber für die Seelsorge von Bischof Rusch kennzeichnend, daß er nach einer Planung vorgeht, Zersplitterung wie auch Überforderung vermeidet und Rückschlägen dadurch auszuweichen sucht, daß er das organische Wachstum fördert.

Ehe die Frauenbewegung groß herauskam, sollte die Männerbewegung stehen. Aus der Pfarrjugend erwuchs sehr bald die Arbeiterjugend, aus der dann auch die KAB erstand; nach ihr wurde das Problem der Mittelschuljugend angegangen. In allem wurde das faire Vorgehen geradezu zur Pflicht gemacht: Man wirbt niemanden ab, der schon anderswo bei uns organisiert ist Wir glauben uns aber noch sehr stark an das Wort des Bischofs zu erinnern, der — wenigstens sinngemäß — in schwieriger Situation erklärte: „Kommen Sie nicht mit Entschuldigungen, sondern mit Leistungen!” Anders kann ein Heerführer Gottes, wie man das Bischofsamt auch verstehen darf, nicht vorgehen. „Wer vom Reiche Gottes hört, muß unruhig werden!”, ist ein Wort, das nicht nur auf Spruchkarten paßt!

Ein Problem ersten Ranges war für den Bischof die Landeshauptstadt Innsbruck. Sie hat heute etwa ein Viertel der Bevölkerung von ganz Tirol. Durch Teilung der Großpfarren, durch Errichtung ganz neuer Pfarrvikariate wurde es möglich, daß sich die Zahl der sonntäglichen Kirchgänger von 25 Prozent auf jetzt annähernd 38 Prozent erhöhte. Es wurden dabei acht Kirchen im Bereich von Innsbruck ganz neu errichtet und zahlreiche Ordenskirchen mit den Aufgaben von Pfarreien betraut. — Wenn man aber vom Seelsorgeprogramm spricht, das Bischof Rusch inaugurierte, darf man nicht übersehen, welche Breitenwirkung der von ihm besonders geförderte Radiopater Heinrich Suso Braun aus dem Kapuzinerorden dabei ausübte. Eine europäische Größe auf diesem Gebiet, durch nun 18 Jahre darin tätig, hat „Pater Suso” nicht wenig beigetragen, die großen Linien dieses Programmes über alle Dächer hinweg zu koordinieren.

Das Bildungswerk, die Bildungshäuser waren ebenso für das geistige Antlitz des Kirchengebietes bestimmend wie die Gründung der KAJ, die bereits 1948 erfolgte. Im Jahr darauf war der berühmte Arbeiterapostel Cardijn zum erstenmal in Tirol und der Bischof erster Anwalt der von ihm geförderten Bewegung unter der jungen Arbeiterschaft. Aus der KAJ erwuchs sehr bald die KAB. Der geistige Zug des Innsbrucker Oberhirten zu den sozialen Problemen ist im In- und Ausland bekannt. Da das oft zu kräftigen Apostrophierungen führte, wurde man aber einfach durch die unermüdlichen und großartigen Leistungen weitum zur rückhaltlosen Anerkennung veranlaßt: 1950 fordert der Bischof die Gläubigen zu einem Opfer anläßlich des heiligen Jahres auf. Im Westen Innsbrucks ersteht die erste kirchliche Wohnsiedlung, die mehr als 40 Familien aufnimmt, die in geradezu verzweifelter Wohnungsnot gewesen waren. 1959, anläßlich der 150-Jahr-Feier der Erhebung Tirols von 1809, will der Bischof das Katholische Volk abermals ein großes Werk tun lassen und erbittet sich zehn Millionen als Darlehen zur Wohnbauförderung. Tirols Gläubige gaben ihm elf Millionen, und der Bischof gibt damit die „Initialzündung” zum Bau von genau gerechnet 1096 Wohnungseinheiten; Seit 1961 wird in jedem Advent die Sammlung „Bruder in Not” zugunsten der Entwicklungshilfe gehalten: Die beiden letzten Sammlungen ergaben wieder über zehn Millionen Schilling.

Eine erste Frucht der mehr als 20jährigen bischöflichen Bemühungen war der 1959 abgehaltene Tiroler Katholikentag. Nicht weniger bedeutsam als die rund 40.000 Teilnehmer an der Bischofsmesse und der Bischofspredigt waren die Arbeitskreise, in denen sich die führenden Männer und Frauen Tirols den Aufgaben der Zeit stellten und die gefaßten Resolutionen dann auch durchzuführen versuchten; die Probleme, die mit der Industrialisierung des Kirchengebietes und mit dem vielfach vermehrten Fremdenstrom samt seinen Begleiterscheinungen unmittelbar zusammenhingen.

Dem Betrachter zeigt sich dabei, daß zahlreiche, seinerzeit in der Öffentlichkeit mit Überraschung und Zurückhaltung aufgenommene Gedanken des Bischofs heute schon allgemeine Erkenntnisse geworden sind: Tirol zu einem Erholungsland zu machen, den sozialen Wohnbau zu fördern, die Jugend durch Aktionen zu gewinnen und sie durch echte Werterlebnisse von der „dolce vita” abzuhalten.

So wünschen die Gläubigen des Kirchengebietes dem durch hohe Auszeichnung des Staates und höchste Anerkennung des Landes geehrten Bischof noch viele segensreiche Jahre des Wirkens: Christo Regi vita nostra!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung