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Sorgen am Rhein

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Angst gehe um an Rhein und Ruhr, Angst vor politischen Konflikten und neuem Krieg. So mag man auch in ausländischen Blättern lesen. Aber das sollte cum grano salis vernommen werden. Die Bevölkerung Westdeutschlands macht sich gewiß (und wie könnte es nach allen leidvollen, nur zu einem Bruchteil überwundenen Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit anders sein?) erhebliche Sorge ob der seit Beginn der Koreakämpfe nicht mehr zu verkennenden Entwicklung. Aber Sorge ist noch nicht Angst, und ganz andere Probleme werden als unter den Nägeln brennend empfunden. Neue Nöte, in jedem Haushalt des werktätigen Volksteils mit Händen zu greifen, sind fast über Nacht aufgestanden. Die grassierende Kohlennot, von welcher aufrichtige Sachkenner behaupten, sie sei nie zuvor von ähnlich bedrohlichem Ausmaß gewesen, rangiert wohl an der Spitze dessen, was den Alltag an Rhein und Ruhr verdüstert.

Die Brennstoffbewirtschaftung wurde am 1. April 1950 aufgehoben. Nach der Lage bei den Ruhrzechen schien an einer ausreichenden Kohlenversorgung für den Winter 1950/51 keinerlei Zweifel zu sein. Die Halden reichten nicht mehr, die geförderten Kohlenmengen zu fassen. Koreakonflikt, verstärkter Export, industrieller Aufschwung und Mehrverbrauch beanspruchten den Bergbau über die Maßen. Das längst schon beklagte Fehlen von Geldern für die Überholung und Modernisierung der Förderanlagen und eine ziemlich starke Abwanderung von Bergleuten zu anderen Industrien trugen gleichzeitig zu einem Absinken der Kohlenförderung bei. Außerdem ergab sich eine schwere Panne dadurch, daß die Planförd erzählen an wichtiger Amtsstelle mit den Bedarfszahlen verwechselt wurden. Daher wurden den internationalen Verteilungsstellen falsche Zahlen zugeleitet, eine Tatsache, die schließlich zu einer überhöhten Exportquote führte. Die Zuteilungen — nachdem am 1. Oktober die Rationierung eingeführt werden mußte — insgesamt sind infolgedessen so klein, daß für die Versorgung der Bevölkerung, wie mehr und mehr bekannt wurde, kaum mehr als ein Zentner Kohlen und Briketts je Haushalt und Monat zur Verfügung steht. Auch die Industrie und die Gewerbetreibenden sind in Mitleidenschaft gezogen, und es wird außerordentlicher Anstrengungen bedürfen, um Stillegungen entsprechend den Versicherungen der Bundesregierung zu vermeiden beziehungsweise — wie zum Beispiel in Essen und Dortmund — wieder aufzuheben.

Aber das ist nur eine der Sorgen, die die westdeutsche Bevölkerung zur Stunde belasten. Selbst .der Mann auf der Straße“ fühlt sich bedrückt von den nach Meinung der Bundesregierung unvermeidlichen . Steuererhöhungen. Bisher wurden bereit 40 Prozent des Volkseinkommens von den Steuern verschlungen. Nun wird die Steuerschraube — nicht zuletzt im Zuge der Aufwendungen für eine (von vielen Deutschen für recht fragwürdig gehaltene) Sicherheit — erneut angezogen. Der unlängst präsentierte Bundeshaushalt machte die öfentlichkeit mit einer recht trüben Bilanz und noch trüberen Aussichten bekannt. In parteilosen Blättern sprach man sogar von einem .Katastrophenhaushalt'.

Überdies stellte man von selten der Bonner Regierung eine Einschränkung der deutschen Lebenshaltung in Aussicht, und es ist nach allen tagtäglichen Erscheinungen kein Zweifel mehr, daß diese Einschränkung sich bereits zunehmend vollzieht. Nun aber sind Millionen Menschen an Rhein und Ruhr der Überzeugung, daß sie ihre ohnehin jämmerliche Lebenshaltung unmöglich noch weiter einschränken können und daß irgendwelche Einsparungen oder Einschränkungen .oben“ statt .unten Vorgenommen .werden müssen.

Diese Einstellung versteifte sich seit dem Bekanntwerden einer außerordentlich scharfen Kritik des Landesrechnungshofes von Nordrhein-Westfalen an dem Verbrauch von Landesgeldern für die ohnehin teuren Bundesbauten in Bonn. Die Kritik ist enthalten in einem Gutachten, das schon im August erstattet, aber erst Anfang November veröffentlicht worden ist. Da lesen die Steuerzahler von Ausgaben für Wandbespannungen, Bodenteppiche und andere luxuriöse Innenausstattungen, deren Endbeträge in nahezu astronomische Höhen hinaufkletterten.

Finanzminister Dr. Schäffer hat sich wiederholt den nachdrücklichen Vorhaltungen stellen müssen, die der Haushaltsausschuß wegen der allwi hohen Ausgaben für die Bundesbauten erhoben hat. Die Kostenvoranschläge für die Regierungsbauten in der Bundeshauptstadt wurden um 3,4 Millionen DM überschritten. Der Anwurf der .Verschwendung fiel inner- wie außerhalb des Bundeshauses öfter, als es für eine gedeihliche Entwicklung gut ist.

Die Menschen an Rhein und Ruhr, die im letzten Sommer wieder in den Genuß eines lebhaften Reiseverkehrs kamen, haben diese peinliche Bemerkung allzu häufig aus dem Munde ausländischer Gäste hören müssen, ohne widersprechen zu können. Sosehr die Besucher aus dem Ausland den schnellen Wiederaufbau im Lande bewunderten, so sehr haben sie aber auch sich und ihre Gastgeber gefragt, ob die Verausgabung von Millionenbeträgen für Kinos, Theater, Luxusgaststätten, Hotelpaläste, Verwaltungsbauten zu vereinbaren sei mit der nebenan hausenden Armut. Denn Millionen Menschen leben ja doch noch in Unterkünften, die jeder Beschreibung spotten. Nun quälen eben diese Millionen Menschen sich aber seit langem schon mit der gleichen Frage, und man wird verstehen, daß ihre innere und äußere Not sie doppelt und dreifach bedrückt, wenn sie auf der anderen Seite zu hören bekommen, daß für den sozialen Wohnungsbau nur höchst unzureichende Mittel anfallen. Das Wohnungsbauprogramm, das für 1951 die Schaffung von 350.000 Wohnungen vorsieht, scheint in der Tat ernstlich gefährdet, da die auf 4 Milliarden veranschlagten Mittel zur

Finanzierung des Programms sich zusehends verringern. Offenbar bleibt die Wohnungsnot für Jahre die große Sorge der fünf Millionen Familien, die in Hütten, Bunkern, Kellern, Ruinen oder in ähnlichen Unterkünften zu hausen gezwungen sind.

Zu allen Beschwernissen gesellte sich in den letzten Tagen neben dem spürbaren Warenmangel einerseits und gewissen Preiserhöhungen andererseits die Zuspitzung des Verhältnisses zwischen Industrie und Gewerkschaften. Der Vizepräsident des Bundesverbandes der Industrie, Vogel, hatte sich in Köln mit bemerkenswerter Schärfe gegen den .unproduktiven und machtlüstern gewordenen Funktionär der Gewerkschaften gewandt, er sprach den Gewerkschaften das Recht ab, sich „als Sozialpartner aufzuspielen und bezeichnete das Mitbestimmungsrecht, um das die Arbeitnehmerschaft ringt, als ein Hemmnis des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat nun aufgerufen zur Abstimmung über einen Generalstreik, mit dem das Mitbestimmungsrecht durchgesetzt werden soll.

Allein 200.000 Metallarbeiter werden, falls es zu dieser auf Anfang Dezember angesetzten Abstimmung kommt, zum Stimmzettel greifen. Allerdings legte der DGB bisher in allen heiklen Situationen große Besonnenheit an den Tag, und auf der jüngsten Bundestagung der Vereinigten Arbeitgeberverbände wurden Stimmen laut, die von extremen Formulierungen“ in Köln abrücken. Aber es ist nicht zu verkennen, daß die Sozialpartner immer mehr zu Sozialgegnern zu werden drohen, und die Sorge eines stärkeren Durchbruchs radikaler Gegensätze darf nicht in den Wind geschlagen werden. Die Öffentlichkeit ist sich aber klar darüber, daß jeder Streik angesichts der angespannten Gesamtsituation eine schwere wirtschaftliche Erschütterung mit sich bringen würde. Gleichzeitig geht die öffentliche Meinung dahin, daß die „soziale Marktwirtschaft“ in ihre bisher kritischeste Stunde eingetreten ist.

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