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„Soviele Eide geschworen, gar nichts dabei gedacht...”

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Nicht einmal seine erbittertsten Gegner haben Schuschnigg Sympathie für die Nazis untere stellt. Dies kann auch für seine engsten Vertrauten gelten. Doch als Österreich in den letzten Zügen lag, wurde sichtbar, in welchem Ausmaß die Nazis die staatlichen Institutionen bereits unterwandert hatten.

Schuschniggs Finanzminister Rudolf Neumayer behauptete nach dem Krieg vor Gericht, am 11. März 1938 gegen 23 Uhr nur „aus reiner Neugierde” zum besetzten Bundeskanzleramt gegangen zu sein, um zu erfahren, was dort los war - aber zu diesem Zeitpunkt hatte ihn Arthur Seyß-Inquart, der neue Bundeskanzler von I litlers Gnaden, längst fragen lassen, ob er bereit sei, im Amt zu bleiben. Als Österreichs Naziregierung in ihrer einzigen Ministerratssitzung die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Beich” beschloß, hob er brav die Hand, weshalb er 1946 zu lebenslangem, schwerem Kerker, verschärft durch Dunkelhaft an jedem

12. März, verurteilt wurde. (Haftentlassung 1949 wegen Krankheit, 1951 Amnestie.) Als ihn der Bichter nach dem Wortlaut seines Eides auf Hitler fragte, sagte er: „Man hat als Beamter schon soviele Eide geleistet, daß ich mir dabei gar nichts gedacht habe.”

Schuschniggs Amtsvorgänger als Justizminister, Franz Hueber, wurde Nazi-Justizminister. Der ehemalige stellvertretende Heimwehr-Landesführer von Salzburg kam am 11. März im selben Flugzeug wie der Kurier mit Hitlers Ultimatum an Schuschnigg nach Wien, er war „ganz zufällig in Geschäften” in Berlin gewesen. Hueber stand erst 1948 vor Gericht, da gab man es schon billiger, er kam mit 18 Jahren davon. 1950 wurde sein Fall in Linz neu aufgerollt, wo die Urteile gegen NS-Straftäter von Beginn an signifikant milder ausfielen. Diesmal wurde ihm geglaubt, daß er „aufgeschnitten” habe, als er in den Fragebögen der Nazis seine Beteiligung an der Vorbereitung des Anschlusses hervorhob. Die Strafe wurde auf zehn Jahre herabgesetzt. Seyß-Inquarts Regierung hatte nach dem 13. März nichts mehr zu tun, doch Hitler belohnte die Helfer. Hueber wurde Präsident des Reichsverwaltungsgerichtshofes in Berlin, Neumayer Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherungsanstalt.

Bundespräsident Wilhelm Miklas vereidigte nach dem Bücktritt Schuschniggs die Naziregierung, verweigerte aber die Unterschrift unter die „Wiedervereinigung”. Er trat nicht zurück, ersparte es aber den zu diesem Zeitpunkt offenbar noch auf den äußeren Schein erpichten Nazis, ihn absetzen zu müssen, indem er Seyß-Inquart in einer Aussprache auf seine Möglichkeit hinwies, sich für „verhindert” zu erklären. Gemäß Bundesverfassung würden damit die präsidialen Funktionen auf den Kanzler übergehen. Seyß-Inquart machte von diesem Angebot gerne Gebrauch. Während Schuschnigg die ganze NS-Zeit in Haft blieb, bezog Miklas auf Anordnung Hitlers bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches den vollen Aktivbezug als Bundespräsident.

Einige Hierarchie-Etagen tiefer wechselten, während die einen innerhalb von Stunden zu Zehntausenden verhaftet und Hunderte mit dem legendären „ersten Transport” nach Dachau abtransportiert wurden, die anderen blitzschnell Abzeichen, Armbinden und Überzeugung, falls die noch zu wechseln war. Als der Landesrat Haller nach der Abschiedsrede Schuschniggs noch einmal durch die Bäume der Niederösterreichischen Landesregierung ging, überraschte er im Präsidialbüro den Landesstatthalter Julius Kampitsch beim Telefonieren mit dem Nazi, der die Geschäfte des Landeshauptmannes übernehmen sollte, sich aber noch in Deutschland befand. Auf die Frage „So weit ist es?” bekam er zur Antwort: „Ja, die Zeiten haben sich geändert.” Die Frage „So weit ist es?” dürfte an jenem Abend oft gestellt worden sein. Landeshauptmann Reither, Landtagsvizepräsident Veit und viele andere wurden verhaftet, Julius K. führte interimistisch die Geschäfte des Landeshauptmannes. Später arisierte er die Pension Elite. 1946 wurde er zu 20 Jahren verurteilt.

Kaum waren die Nazis da, sah man schon den Burgschauspieler Otto Hartmann mit der Hakenkreuzbinde „Dienst machen”, und zwar vor genau dem Haus Am Hof, in dem er vorher als Vaterländischer ein- und ausgegangen war. Vorher hatte er sich durch die Protektion des katholischen Unterrichtsministers im Burgtheater gehalten - nun schlich er sich in die konservativen Widerstandsgruppen ein und brachte weit über 100 Menschen ins Zuchthaus oder KZ und elf, darunter den Augustiner-Chorherrn Roman Scholz, aufs Schafott. Der als besonders verläßlich geltende Kriminalbeamte Josef M., der einst zur Bewachung von Bundeskanzler Dollfuß abkommandiert worden war, übersiedelte als „Alter Kämpfer” in die Abwehrstelle der Gestapo. Puzzlesteine eines Geschehens, von dem sich der in seiner Wohnung und später in einer zweckentfremdeten ßügelkammer des Hotels Metropol auf dem Morzin -platz isolierte Kurt von Schuschnigg, der leider kein besonders gutes Gespür für Menschen hatte, wohl keine Vorstellung machte.

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