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Spaniens neue Generation

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Verglichen mit anderen mitteleuropäischen Ländern fällt in Spanien auf, daß die Jugend wesentlich mehr Zeit dem Gespräch, und zwar dem zwanglos-geistreichen, ich möchte beinahe sagen: dem musischen Gespräch widmet. Gerade das „Musische” ist auch heute, trotz Massengesellschaft und Industrialisierung, ein Faktor, der im Leben der spanischen Jugend eine bedeutende Rolle spielt. Ich glaube kaum, daß das Sprichwort übertreibt, nach dem jeder Spanier in seiner Jugend zumindest einmal ein Gedicht geschrieben hat. Zahlreiche Literaturpreise, Jugend-Dichterrunden und Veröffentlichungen jeglicher Art bestätigen, daß die spanische Lyrik, zu der natürlich auch die lateinamerikanischen Dichter gehören, augenblicklich ein „goldenes Zeitalter” erlebt.

In einer Umfrage haben 46 Prozent der Befragten erklärt, daß sie sich von einem richtigen Familienleben! die größte Befriedigung ihres Daseins erwarten. 56 Prozent der befragten Frauen und 36 Prozent der Männer gaben diese Antwort. Die Mehrzahl der jungen Männer erklärte, in der Ausübung ihres Berufes die tiefste Befriedigung ihrer Existenz zu erwarten, führte aber bereits an zweiter Stelle ebenfalls das Familienleben an. An dritter Stelle wurde „echte, gute Freundschaft” ersehnt.

Humor und Menschenverstand spiegeln sich in dem hohen Prozentsatz jener wider, die erklärt hatten, „Glück” sei eine der wichtigsten Voraussetzungen, um im Leben Erfolg zu haben. Auf die Frage, welche. die Ziele der spanischen Politik sehr- äter j sprachen sich 6 Prozent, aus, die übrigen für „Fortschritt” und „Gerechtigkeit”,

In diesem Zusammenhang dürfte auch das Verhalten zwischen den Geschlechtern von Bedeutung sein. Ich hatte Gelegenheit, mit Prof. Pater Juan de Dios Gonzales zu sprechen, der mir als Direktor des Soziotogie- kabinetts des Jugend Instituts einige interessante Beobachtungen mitteilte. Bei einer Befragung von rund 2000 Jugendlichen, ob sie voreheliche geschlechtliche Beziehungen rechtfertigen würden, hat ein Team von Soziologen festgestellt, daß 46 Prozent der Befragten solche Beziehungen grundsätzlich ablehnen, ein gewisser Prozentsatz sie unter ganz bestimmten Umständen, wobei für gewöhnlich echte Liebe als entschuldigendes Moment auftaucht, duldet, und nur 1 Prozent solche Beziehungen unter allen Umständen für selbstverständlich hält.

Hier stoßen wir unmittelbar auf eine Institution, die sich in Spanien schon jahrhundertelang bewährt: auf die „Novios”. Primitiv übersetzt, würde „novio” etwa „verlobt” heißen. Diese Übersetzung ist aber nicht korrekt. Der „Noviozustand” steht etwa zwischen einem Flirt und einer formellen Verlobung. Die erste Bedingung ist, daß ein junger Mann, der sich verliebt hat, „ihr” seine Liebe erklärt und sie höchst formell auffordert, seine „novia” zu werden. Falls sie dieser Aufforderung tiach- kommt, steht eine Ehe durchaus nicht unmittelbar vor der Tür. Hoffnung auf eine Vermählung muß allerdings vorhanden sein. Wenn aber der Noviozustand aus irgendeinem Grunde vor der Ehe aufgelöst wird, so hat dies keinerlei schwerwiegende Konsequenzen, weder für den einen noch für den anderen Teil. Allerdings besteht, solange man „Novio” ist, ein „exklusiver” Zustand: Man geht nur gemeinsam aus, siehf oder sdhMbt fch zumindest jeden Tag und beschränkt Jede Art von Zärtlichkeit auf seinen Novio-Partner. Diese Institution wird von Priestern und Soziologen als gesunde Eheerziehung betrachtet.

Wandlungen der Hochschulen

Meinungsforschende Umfragen, von denen bisher die Rede war, wurden unter Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren aus allen Gegenden und Bevölkerungsschichten gemacht. Es ist aber auch von jenen zu reden, die die Dreißig überschritten haben. Teilweise erlebten sie in ihrer Kindheit noch die Auswirkungen des Bürgerkrieges. Dies unterscheidet sie wesentlich von den heute Zwanzigjährigen. Ihre Studienzeit wickelte sich in den schweren Jahren des wirtschaftlichen Boykotts Spaniens ab, und sie besuchten die Hochschulen einer Zeit, als die Begeisterung der Sieger des Bürgerkrieges im Abflauen war und manche der hochstrebenden Parolen immer mehr zu hohlen Phrasen wurden.

In der Zeit zwischen 1955 und 1965 haben sich auf den spanischen Hochschulen wesentliche Wandlungen in bezug auf eine Liberalisierung des dozierten Gedankengutes vollzogen. Heute sind auch hier linksradikale Zellen aktiv.

Unruhige Studenten

Ich hatte Gelegenheit, dieses Problem mit einem jungen Priester zu besprechen. Er ist Soziologe und Studentenseelsorger, und dürfte eher zu jenen gehören, die radikale Umwälzungen befürworten. Er gestand, daß sich für radikale Reformen in Spanien nur ein ganz geringer Prozentsatz von Jugendlichen einsetzen würde, der hauptsächlich nen”, bestehe.

Es gibt hier also, mit Rück auf die Zukunft, die verschiedensten Meinungen.

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