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Spanischer Frühjahrstrubel

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Sevilla hat sich kopfüber in den Trubel der Frühjahrsmesse gestürzt Die „Feria de Sevilla“ ist eigentlich eine landwirtschaftliche Messe, aber die anderthalbtausend Pferde, zweitausend Maulesel, 700 Esel, 800 Ziegen, 400 Rinder, 500 Schafe und 150 Schweine, die zum Beispiel am ersten Messetag aufgetrieben wurden, die Stände der land- und hauswirtschaftlichen Geräte, Einrichtungen und Maschinen bedeuten für den größten Teil der Besucher nicht einmal den Vorwand zum Besuch der Messe. Der,Südwein fließt in Strömen, Musik und Gesang schallen bis in die Morgenstunden, und die Zigeunerinnen, echte und unechte, entfalten all ihre Grazie in feurigen Tänzen. Auf der „Feria“ von Sevilla haben nicht nur Handelshäuser und Rummelplatzunternehmer ihre Stände und Zelte, sondern auch die Besucher, und zwar gerade die vornehmsten, die reichen Grundbesitzerfamilien Andalusiens mit Dutzenden von Herzogs- und Grafentiteln ebenso wie, die Familien des Stadtadels. In ihren Prunkzelten empfangen sie Besuche, geben Nachmittags- und Abendgesellschaften; oder man sieht sie in Landestracht reiten oder promenieren oder in geschmückten Kutschen durchs Messegelände fahren, zur Augenweide der gaffenden Menge. Auch kulturelle Organisationen haben ihre Zelte aufgeschlagen, ebenso der Bürgermeister mit den Stadträten. Bei ihnen sprach gleich am ersten Tag der „Feria“ Sir Balfour, der britische Gesandte, vor und wurde aufmerksam und mit südländischer Herzlichkeit empfan-

gen, so als ob nicht am selben Tag das spanische Konsulat in Gibraltar geschlossen und all seine Archive und Dokumente samt dem Konsulatsprotokoll nach La Linea de Concepción gebracht hätte, wo sie mindestens so lange verbleiben werden, bis der Besuch der Königin Elisabeth von England vergessen ist.

An und für sich könnte man sagen, in diesem Jahre beginne für ganz Spanien eine große, nie dagewesene Frühjahrsmesse, die mehrere Jahre dauern wird. Die Reise des spanischen Handelsministers Arburüa nach den Vereinigten Staaten kann als Auftakt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien angesehen werden. Arburüa ist seit 56 Jahren der erste spanische Minister, der als offizieller Gast der Washingtoner Regierung seine Aufwartung machte. Drei Wochen dauerte dieser Besuch, und während desselben kam der Minister nicht nur mit seinem Kollegen vpm amerikanischen Handelsdepartement zusammen, er besuchte nicht nur die Monsterindustrien von Detroit und Chicago, sondern wurde auch von Präsident Eisenhower und im Pentagon empfangen — ein deutliches Zeichen dafür, daß man ihn als Vertreter und Sondergesandten des spanischen Staatschefs ansah Mit den Worten: „Ich glaube, Ihr Land geht einer glänzenden Zukunft entgegen“, verabschiedete Mr. Stassen Señor Arburüa nach einer ausgedehnten Konferenz, in. welcher der spanische Handelsminister einen ausführlichen Bericht über die wirtschaftlichen Probleme, Schwierigkeiten, Möglichkeiten und Absichten seiner Regierung gab. Der Eindruck in Washington ist, daß „Spanien zunächst wirtschaftlich gestärkt werden muß, ehe es eine militärische Bedeutung erlangen kann“.

So eröffnen sich also auch Spanien, nachdem inzwischen die amerikanischen Hilfsprogramme zugunsten der mitteleuropäischen und anderen westeuropäischen Nationen zum Abschluß gekommen sind, neue Perspektiven, die zu kühnen Hoffnungen berechtigen.

Inzwischen ist auch der spanische Luftfahrtminister und der Chef des Generalstabes der Luftwaffe zu einem längeren Besuch in den USA eingetroffen, desgleichen liegt für den Landwirtschaftsminister eine Einladung vor.

Die Vereinigten Staaten schicken sich an, in Spanien an die Arbeit zu gehen. Die großen Probleme der wirtschaftlichen Sanierung Spaniens and die Stabilisierung seiner Währung erfordern die allergrößte Umsicht und Vorsicht. Längst hat die spanische Regierung die Initiative auf diesen beiden Gebieten äus der Hand geben müssen — sehr zur Zufriedenheit des Volkes, das zum Beispiel den, Experimenten eines Ministers Suances (Arburúas Vorgänger) stets mit äußerstem Mißtrauen zusah, ja sie geradezu fürchtete. Nun sind seine Bestrebungen längst vergessen, weil durch die neue Entwicklung entwertet. Sein Verstaatlichungsprogramm ist festgefroren, sein Prinzip des Schutzes des inländischen Handels vor ausländischer Konkurrenz durchbrochen.. Der amerikanische Gesandte, Dunn, selbst war es, der in den vérgangenen Monaten in allen halbwegs bedeutenden Industrie- und Großstädten auf Versammlungen der Mitglieder der örtlichen amerikanischen Handelskammern die neuen Wege der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten auf wirtschaftlichem Gebiet aufzeigte.

Selbst auf. politischem Gebiet macht sich der . amerikanische Einfluß in Spanien schon recht bemerkbar. Die Propaganda- Trutzgesänge von außen- und innenpolitischer Unabhängigkeit sind merklich zahmer geworden, wenn amerikanische Interessen und Empfindlichkeiten getroffen werden könnten. Daß die staatliche Filmzensur zum Beispiel die Schere aus der Hand legen würde, hätte man dabei am allerwenigsten erwartet — in einigen Kleinstädten besonders streng katholischer Gebiete haben deshalb die Mitglieder der „Acción Católica“ ihre Tätigkeit im Einschlagen von Kinoschaukästen und Werfen von Knallerbsen während der Vorführungen beachtlich verstärkt — und noch weniger hätte man erwartet, daß sogar die Audienzen und Empfänge des Staatschefs und der Minister, genau so wie religiöse Anlässe nicht erster Ordnung, die früher den Zeitungen ganze Perioden hindurch Stoff bieten mußten, jetzt nur noch als Kurznotizen behandelt werden, während alle amerikanische Politik und amerikanische

Interessen angehenden Themen an den ersten Platz gerückt sind. So konnte es zum Beispiel geschehen, daß die katholische Presse dieses Landes, aus der anläßlich früherer Atombombenversuche doch vorwiegend sehr christliche und humane Stimmen drangen, die voll Grauen und Abscheu von „Fortschritten“ solcher Art sprachen, beim letzten Wasserstoffbombenversuch im Stillen Ozean recht abgeschwächt reagierten.

Spanien steht heute mitten im politischen und wirtschaftlichen Umbruch. Man will sich amerikanisieren und nimmt dabei schneidig die phantastischesten Hindernisse; man will immer noch, nach altbewährter Methode, die religiös empfindlichsten Regungen der Volksseele zugunsten der Politik ausbeuten und gebärdet sich dabei bisweilen wie der Elefant im Porzellanladen. Man benimmt sich ein wenig wie die Rummelplatzschreier der „Feria“ von Sevilla auf der, wie wir gesehen haben, ein recht seriöses und selektes Publikum verkehrt Inzwischen treffen immer neue Fachleute aus Uebersee ein

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