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SPD schon einen Schritt weiter?

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Einer ähnlichen Situation wie die SPÖ sieht sich auch die SPD gegenüber, die aber nie jene nachdrückliche Vertretung marxistischer Thesen gekannt hat und kennt wie die SPÖ. Anderseits scheint aber die SPD die Realitäten besser zu interpretieren. Im Betriebsrätebrief 113 der Christlich Demokratischen Arbeiterschaft Deutschlands finden wir eine Aufstellung über die Zahl der Millionäre unter den bundesdeutschen Abgeordneten. Von der Bundestagsfraktion der FDP ist jeder 9., bei der CDU jeder 30., aber auch bei der SPD jeder 33. Abgeordnete ein Millionär. Zu den Angriffen gegen den SPD-Millionär Deist äußerte sich nun der SPD-Pressechef eiskalt: „Warum soll ein Sozialdemokrat nicht Millionär sein, wenn er a) tüchtig ist, b) etwas von seinem Beruf versteht und c) die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die er hat, auch ausnützt...“ Diese geradezu historische Antwort zeigt eine „Anpassung“, die nur mit der völligen Aufgabe des marxistischen Gedankengutes erklärt werden kann. Wenn in Österreich ein Funktionär des Wirtschaftsbundes wegen eines Abgeordneten des Bundes eine gleichlautende Eiklärung abgeben würde, käme es vermutlich zu anderen Reaktionen als in der Bundesrepublik, in der man die Dinge bereits wesentlich nüchterner kommentiert.

Bestimmt vom Erlebnis der Okkupation ist die SPÖ vom Ursprung her eine österreichische Partei gewesen. Anders die Sozialdemokratische Partei, die sich stets nur als eine Partei i n Österreich verstanden hatte. Kein Wunder, hatten doch cfie meisten der sozialdemokratischen Intellektuellen in Österreich nie wirklich Fuß gefaßt.

Der sozialistische Internationalismus ist tot. Dafür pflegen gutbürgerliche Politiker im Namen einer auf das Kulturelle transponierten Integration einen bemerkenswerten Internationalismus und versuchen die nationalen Eigenarten in einer Mischkultur aufgehen zu lassen.

Die österreichischen Sozialisten haben nach 1945 von allem Anfang an intensiv an der Gestaltung Österreichs Anteil gehabt, zu dem sie jene emotionale Beziehung zu gewinnen vermochten, die schließlich in eine vaterländische Gesinnung einmündet. Die Unabhängigkeit der Zweiten Republik würde ohne die Mitarbeit der Sozialisten lediglich eine dekretierte sein. Wer erinnert sich nicht des historischen Marsches sozialistischer Bauarbeiter unter Führung Franz O 1 a h s in russisch besetzte Bezirke Wiens, als die Kommunisten versuchten, das Prager Beispiel in Wien zu praktizieren? Die österreichische Gesinnung der SPÖ ist so unbestritten,, daß sie nach 1945 nie Gegenstand von Erörterungen war, wozu nodi kommt, daß unser Land an der Spitze ohne Unterbrechung durch Sozialisten repräsentiert wurde und wird.

Da und dort gibt es freilich noch Relikte einer Gesinnung in der SPÖ, die mit dem Österreichbekenntnis der obersten Führung nicht abgestimmt werden kann. Im allgemeinen handelt es sich aber um „Angeheiratete“, um Neosozialisten, die im BSA eine neue und • einträgliche „Heimat“ gefunden haben, sich aber noch dem liquidierten Dritten Reich verpflichtet fühlen. Da es sich aber um eine absterbende Kaste handelt, ist eine Änderung der Haltung der SPÖ in der Frage der. österreichischen Unabhängigkeit kaum zu befürchten. Dagegen vermag die Partei als Ganzes noch kein Verhältnis zum alten Österreich zu finden. Die Art, wie die Arbeiterschaft vor 1900 das alte Reich erleben und erleiden mußte, ist als ein fortzeugendes Trauma auch im Sozialismus von 1962 für die Deutung der österreichischen Geschichte vor 1918 bestimmend. Es wäre hoch an der Zeit, entschlösse sich die SPÖ, bei der Beurteilung der historischen Prozesse vor 1918 das Soziale vom Politischen und Kulturellen zu trennen. Die Geschichte ist nun einmal keine Verkettung von Klassenkämpfen allein. Solange die Sozialisten sich erst so weit und nur für jene Perioden zu Österreich bekennen, als dieses Land unter ihrer Führung oder Mitführung steht und bewußt die Jahrhunderte der österreichischen „Vorgeschichte“ ausklammern, vermengt sich das, was sie historisches Bewußtsein nennen, bestenfalls zu einem Gegenwartsbewußtsein.

Die Mehrheit der Mitglieder der SPÖ versteht diese als eine innerweltliche Organisation, die geeignet ist, ihre sozialen und kulturellen Sehnsüchte zu erfüllen. Der Antiklerikalismus und der bewußte Atheismus sind in der SPÖ (vorläufig) Randerscheinungen. Auch Exzesse, wie jener in einer Zeitschrift sozialistischer Gewerkschafter, sind Ausnahmen und finden keine Billigung bei der Führung.

Anderseits ist eine gewisse Abkühlung des Verhäitr.isses von Kirche und SPÖ unverkennbar. Sicher deswegen, weil man noch vor einiger Zeit, anzunehmen wagte, es sei eine Art „Bekehrung“ des Sozialismus möglich, ohne zu begreifen, daß schließlich jeder Sozialismus (auch ein christlicher) nur im Bereich des Profanen verwirklicht werden kann.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch die Tatsache, daß einzelne Sozialisten, deren spirituelle Gläubigkeit unbestritten ist, in einer den liberalen Sozialisten unverständlichen Art (bei gleichzeitigem Hinweis auf ihr katholisches Bekenntnis) die Kirche an-gieifen und all das wiederholen, was seinerzeit die Freidenker gegen die irche vorbrachten. Der von einzelnen katholischen Sozialisten demonstrierte Antiklerikalismus hat den Charakter einer späten Rechtfertigung des marxistischen Atheismus. Die Kirche hat viele, Anwälte in der SPÖ, aber wenige Sozialisten, die den Mut haben, auch für sie offen zu sprechen und zu schreiben und dies, obwohl etwa in der Nummer 7/8 der „Zukunft“ nicht weniger als vier Autoren zu Worte kommen, von denen man annehmen kann, daß sie für die katholischen Forderungen Verständnis haben. Der Unterschied zwischen den schreibenden Sozialisten und der Arbeiterbewegung ist zu bekannt, um etwa gewissen Exzessen der letzten Monate eine allzu große Beachtung beizumessen. Anderseits soll nicht übersehen werden, daß die spitzfindigen Angriffe dieses oder jenes SPÖ-Literaten bei einzelnen Journalisten der zweiten Garnitur Affekte auslösen (wie jüngst bei dem erwähnten Gewerkschaftsfunktionär), die schließlich in die Masse hinunterwirken und geeignet sind, Kontroversen zu aktivieren, die das Verhältnis von Kirche und Arbeiterschaft in Österreich bis 1938 vergiftet hatten.

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