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Spekulieren auf Faulheit und Dummheit

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15 Jahre Existenz des österreichischen Bundesheeres haben in diesem Land nicht dazu geführt, die Armee des neutralen Österreichs außer Streit zu stellen. Nach zwei verlorenen Weltkriegen hat sich der Österreicher nach dem Jahre 1955 als Patenkind der WeltpoLitik gefühlt, dem anscheinend nichts geschehen kann.

• Da mangelt es durch Jahre an einem wirklich ernsthaften Versuch, die Notwendigkeit der Verteidigung der Bevölkerung plausibel zu machen: es fehlte an Psychologie und Propaganda;

• da hungerte man das Bundesheer finanziell seit 1955 systematisch aus, indem man es allen anderen Zielen der Haushaltskonzeption unterordnete;

• da bekannte sich die SPÖ zwar verbal zum Bundesheer; einzelne Politiker, ihre Sozialistische Jugend und selbst ihre Staatssekretäre im Verteidigungsministerium schienen aber nur zu oft Parteipopularität vor Sachlichkeit zu stellen;

• und da haben die ÖVP-Verteidi-gungsmtoister und die hohen Militär* ihr Verteidigungskonzept niemals glaubhaft gemacht, weil inen Im Grund eine verkleinerte Großarmee nach dem Muster des zweiten Weltkrieges vorschwebte, die mit zu wenig Flugzeugen, zu wenig Panzern, zu wenig Verteidigungsbauwerken einfach der Lächerlichkeit preisgegeben war.

Nun, nach 15 Jahren, kommt die Stunde der Wahrheit; die weder 1956 nach dem Ungarnaufstand noch 1968 nach der CSSR-Invasion vorweggenommen wurde. Die Stunde der Wahrheit, in der Österreicher Österreicher aufrufen wollen, in einem Volksbegehren für die Abschaffung des Bundiesheerea zu stimmen. Die nur demonstrativ aufgezählten Punkte von Versäumnissen — für welche vor allem die ÖVP die entscheidende Verantwortung trägt — lassen befürchten, daß es tatsächlich heute unzählige Österreicher gibt, die ein solches Volksbegehren unterschreiben würden. Doch dieses Volksbegehren ist (falls es tatsächlich eingeleitet wird) einer der übelsten Versuche der Demagogie in der nicht aibwechsiumgslosen Geschichte unseres Landes. Es sind nicht etwa österreichische Kommunisten, die für die Abschaffung des Heeres eintreten; auch nicht Linkssozdalisten oder Angehörige der „Neuen Linken“. Es sind vor allem Staatsbürger, die sich gerne als „Linkskatholiken“ bezeichnen und auch religiös-sittliche Argumente in die Diskussion ziehen. Denn man könnte sachliche, finanzielle und juristische Argumente strapazieren, um gegen das Bundesheer zu sein. Die Heranziehung religiöser Postulate muß zurückgewiesen werden; sie sind einer der üblen Versuche, Religion und Politik zu vermengen.

Österreich, so meinen diese Leute, solle erklären, in einem möglichen Krieg nicht kämpfen zu wollen. Dieses Nicht-kämpfen-Wollen ist nichts anderes als öffentlich zuzugeben, daß man auf die Souveränität seines Staates verzichtet. Das bedeutet im gleichen Atemzug, die Neutralität, die sich Österreich in einem eigenen Gesetz auferlegt hat,, nicht mehr einhalten zu wollen.

Denn das internationale Völkerrecht

kennt als logische Form dauernder Neutralität nur die bewaffnete Neutralität. Und deshalb gibt es auch keinen neutralen Staat der Erde, der 9ich nicht selbst zu verteidigen bereit ist.

Die Signatarmächte des Staatsvertrages haben das auch klargestellt. Es mag nicht uninteressant sein, was etwa sowjetische Völkerrechtler zum Themenkreis der bewaffneten Neutralität sagen.

Der Moskauer Professor W. N. Dur-denewskij schrieb 1955 in der Zeitschrift „Neue Zeit“ (Moskau 1955, Nr. 22, S. 28), daß die dauernde Neutralität die Verpflichtung enthält, „im Falle von Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Überfall“ bereit zu sein. L. A. Modschorjan („Der Neutralitätsgedanke heutzutage, NZ, Moskau 1956, Nr. 8, S. 154) meint, daß der dauernd neutrale Staat bewaffnete Streitkräfte in einer Stärke zu unterhalten habe, die „zur Gewährleistung der Ordnung im Innern des Landes und der Sicherheit vor einem Überfall von außen notwendig ist“.

Im Moskauer Memorandum hat sich Österreich darüber hinaus verpflichtet, „immerwährend eine Neutralität zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“. Die Schweiz hat ihre Armee bisher nicht abgeschafft; eine Abschaffung des österreichischen Bundesheeres könnte als Verletzung unserer internationalen Verpflichtungen ausgelegt werden. Es ' darf mit Sicherheit angenommen werden, daß die Signatarmächte des Staatsvertrages eine Abschaffung des Bundesheeres als Verletzung der Neutralität ansehen würden; vorherige Vorsprachen in den Staatskanzleien in Ost und West gehören zu den grotesken Zumutungen der Initiatoren des möglichen Volksbegehrens, die wicht nur Naivität, sondern auch Mangel an echtem Gefühl für die Würde Österreichs verraten.

Nun ist es natürlich so, daß ein Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres Zustimmung bei allen jenen auslösen wird, die sowieso kein sonderliches Interesse an den Problemen dieses Staates zeigen und im übrigen zwar die Vorteile genießen, die ihnen eine funktionierende Gemeinschaft gewährt, aber dafür keinen Preis zu zahlen bereit sind. Die bisherigen Befürworter demaskieren am ehesten die Initiatoren als Spekulanten auf Dummheit und Faulheit. Es scheint fast zur Maxime zu werden: weniger lernen, weniger arbeiten, keinen Wehrdienst.

Sicherlich: es gibt (siehe Einleitung) viele Gründe, mit dem Bundesheer nicht einverstanden zu sein. Tatsache aber bleibt: Dieses Volksbegehren würde an Grundsätzen unserer Ordnung nagen. Waren das Rundfunk-, das Schul- und das Arbeitszedtvolksbegehren im Grunde Detailfragen unseres staatlichen Lebens, bedeutet dieses Volksbegehren eine Revision der Verfassung. In Artikel 79, 80 und 81 hat der Verfassungsgeber klar seinen Willen ausgesprochen, daß das Bundesheer (etwa im Gegensatz zu den politischen Parteien) Bestandteil der staatlichen Vollziehung ist. Oder sollten wirklich die Vernünftigen dieses Landes politischen Wursteln auf den Leim gehen und gegen die bisher unbestrittene Verfassung auf Rattenfang ausgehen?

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