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Spiegelung österreichischer Kulturpolitik

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Als Österreich 1918 aus einer politischen Großmacht zu einem Staate mittlerer Ordnung wurde — daß es sich selbst in unbegründeter Verkleinerung stets „Kleinstaat” nannte, beleuchtet die eigene Einstellung zu diesem Umschwung treffend —, hatten eine Reihe hervorragender österreichischer Persönlichkeiten bewußt betont, daß die Größe seiner Aufgabe hiemit keineswegs geschwunden sei. Welche politische Rolle diesem „Land der Mitte” notwendig zufallen mußte, hat die Welt, ja viele Österreicher selbst, zu spät erkannt. Daß jedoch Österreichs kulturelles Wirkungsfeld dem engen geographischen Raum der ersten Republik nicht gleichzusetzen sei, war leichter einzusehen. Nach wie vor schenkte dieses nun verarmte Land die Gabe seiner Musik der ganzen Welt, und seine Museen bargen Schöpfungen europäischer Hochkultur.

Jedoch trotz der Tatsache, daß auch in der Zeit der ersten Republik die Wiener medizinische Fakultät ein Mekka der internationalen Ärzteschaft war, daß österreichische soziale und pädagogische Einrichtungen in anderen Ländern als vorbildlich galten uhd die Salzburger Festspiele ein kulturelles Ereignis bedeuteten, das Kulturschaffende und -empfangende der ganzen Welt vereinigte, machte sich doch ein Zug zum Historismus geltend und die Tendenz zur bloßen Rückschau auf die Vergangenheit.

Wir müssen feststellen, daß diese Einstellung auch heute poch nicht zur Gänze überwunden ist, daß wir uns nach wie vor vielfach mehr als Hüter eines alten Erbes fühlen, denn als Schaffende neuer Werte, wobei der vermehrte unwiederbringliche Verlust vieler Kulturgüter im zweiten Weltkrieg zur verstärkten Reflexion, ja vielfach zur Resignation führte.

Die Hauptursache dieser Schwäche erblicken wir in der Unentschlossenheit, zu jenem Zentrum vorzustoßen, dem, als ihrer Wurzel, die verschiedenen österreichischen Kulturschöpfungen entspringen und das unabhängig von der wechselnden Gestalt und Größe einzelner Leistungen, zu denen ja auch die wandelbare staatliche Ausprägung gehört, den unwandelbaren und damit auch zukunfts- gerichteten Kernbesitz darstelit.

Welches ist dieses Zentrum? Das Wesensmerkmal aller „Kultur” besteht in der Veredelung der Natur, wobei wir im abgeleiteten Sinne die Veredelung der menschlichen Natur im Auge haben. Wir begreifen so folgerichtig als Wurzel aller Kulturarbeit die bewußte Pflege des Menschentums, seiner Fähigkeiten und Aufgaben und gelangen zu einem Humanismus, der ein ethisches Korrelat besitzt, weil die einzelne Leistung nicht bloß eine Frage des Könnens, sondern auch vor allem eine Entscheidung des Willens ist und in dem Bewußtsein des übermenschlichen Ursprungs alles schöpferischen Vermögens eine religiöse Fundierung hat. Dieser Humanismus ist es, der durch die Leistungen aller großen österreichischen Persönlichkeiten seine spezielle Ausprägung erfahren hat und der nach dem Worte Hugo v. Hofmannsthals,

„hierzulande ist jeder einzelne Träger einer ganzen Menschlichkeit’ , zum Allgemeingut eines Volkes wurde.

Es muß daher Aufgabe des Österreichinstituts, eines überparteilichen, seinem Namen gemäß gesamtösterreichischen Interessen dienenden Kulturinstituts sein, an Hand und durch die einzelnen österreichischen Kulturschöpfungen hindurch, sei es der Kunst, der Wissenschaft, der Politik und Staatsführung, diese bleibende Grundsubstanz aufzuzeigen und im Bewußtsein der österreichischen Allgemeinheit stets lebendig zu erhalten. Denn in diesem Humanismus liegt das beschlossen, was die österreichische Idee genannt wurde.

Aus dieser Idee muß sich auch Umfang und Arbeitsweise des Österreichinstituts ableiten, das seine Aufgabe ja erst dann sinngemäß erfüllt, wenn durch die einzelnen Zweige seiner Tätigkeit diese genuin österreichische Linie sichtbar wird.

Es ist programmatisch, daß die Tätigkeit des Instituts mit der Herausarbeitung des „österreichischen Staatsgedankens” begann. Die Herausgabe der offiziellen Festschrift, die im Aufträge des Unterrichtsministeriums anläßlich der 950- Jahr-Feier erfolgte, verschiedene geschichtliche Untersuchungen, wie Dr. W. Böhm: „Österreich, Erbe und Aufgabe” und R. Charmatz: „Vom Kaiserreich zur Republik”, die Vorbereitung eines „österreichischen Heimatwerkes” verfolgen das Ziel, in exakter wissenschaftlicher Untersuchung, deren Dar-

stellungsform jedoch weiteren Kreisen zugänglich sein muß, die geschichtlich-staatliche Manifestation dieser österreichischen Grundidee aufzuzeigen.

Wir müssen uns hier mit einigen Hinweisen begnügen: Es muß dargelegt werden, daß bei der Beherrschung eines Vielvölkerstaates, wie es die österreichisch-ungarische Monarchie war, bereits Wege beschritten wurden, die heute bei der Frage nach der Gestaltung übernationaler Verbände aktuell sind und vielfach vorbildlich sein können. Daß eine österreichische Staatsführung die häufig bestehenden nationalen, kulturellen und schließlieh auch religiösen Verschiedenheiten nicht bloß als Schwierigkeiten bereitende Gegensätze zu betrachten wußte, sondern auch als Voraussetzung einer intensiv sich gegenseitig fördernden Zusammenarbeit. Humanismus bedeutet audh eine übernationale, wenn auch niemals antinationale Einstellung; österreichische Staatsauffassung konnte und kann daher niemals auf einem rein biologischen Volksund Geschichtsbild beruhen. Als diese friedvolle übernationale Staatsauffassung durch die Überspitzung des nationalen Prinzips zerbrochen wurde, geschah dies in einem Weltkrieg, österreichische Geschichtsauffassung muß daher zu einer bestimmten Einstellung gegenüber dem Mittel des Krieges, vor allem des Angriffskrieges, führen, woraus sich eine Rangordnung geschichtlicher Ereignisse ergibt, deren Verdichtung, etwa in den Werken Grillparzers, eine geistige Neuorientierung bedeutet. Gerade diese Gedanken sind in der öffentlichen und juridischen Verurteilung eines Angriffskrieges nach dem zweite Weltkrieg in einer Form, die historisch erstmalig ist, überraschend wieder aufgegriffen worden. Wir sehen aus diesen Hinweisen, wie zukunftsgerichtet gerade die historischen österreichischen Hochleistungen sind.

Die Kultursektion des Instituts nimmt vor allem diese auf die Gegenwart bezogenen und in die Zukunft gerichteten Fragen auf, wobei die Arbeit nach einer Wissenschaft! idien und einer praktischen Richtung hin orientiert ist und sich in der organischen Verbindung beider Aspekte als ein Grundzug der Arbeitsmethodik des Instituts darstellt. Seit eineinhalb Jahren wird intensiv an der Herstellung eines „Lexikons der schöpferischen Österreicher” gearbeitet, dessen Abschluß bevorsteht. Es wird den Nachweis der Kulturleistungen der heute lebenden österreichischen Persönlichkeiten auf allen Gebieten erbringen und so direkt die Frage beantworten, ob unsere Zeit eine Epoche des Epigonentums ist oder in welchem Ausmaß sie Neuschöpfungen hervorzubringen vermag. Die praktische Tätigkeit dieser Sektion bewegt sich im Rahmen der österreichischen Kulturpatenschaft, deren Ziel es ist, eine der veränderten Zeitlage angepaßte neue und persönliche Verbindung zwischen den im eigentlichen Sinne Kulturschaffenden und den Persönlichkeiten herzustellen, deren Aufnahmsbereitschaft jeder schöpferischen Leistung den Boden bereiten muß. Diese Aktion schließt Hilfeleistungen im einzelnen, die Ermöglichung von Erholungsaufenthalten, die Beschaffung von Arbeitsmaterial, vielfach von entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten — insbesondere für jüngere Künstler und Wissenschaftler —, die Darlegung ihrer Leistungen durch Publikationen und Ausstellungen ein. Hiezu gehört aber auch die Herstellung eines engen menschlichen Kontakts der Kulturträger in einer vom besten österreichischen Geist erfüllten Atmosphäre, die bei gesellschaftlichen Zusammenkünften und künstlerischen Darbietungen erstrebt wird und denen die Räume des Instituts im Palais Larisch als Heimstätte dienen:

Auch die Sektion „öffentliche Angelegenheiten” dient vorwiegend der Herausarbeitung von Gegenwartsaufgaben. Das Österreichinstitut ist als ein allen Österreichern gleichermaßen, dienendes Institut selbstverständlich und anerkanntermaßen überparteilich. Es ist jedoch gerade deshalb aktuellen politischen Fragen aktiv zugewendet. Es ist der Meinung, daß im Sinne des österreichischen Kulturgedankens die Demokratie jene Staatsform ist, innerhalb derer durch besonnene Abgrenzung von Rechten und Pflichten, von Freiheit und Gebundenheit fruchtbares, menschliches Zusammenleben gefunden werden kann und muß. Allwöchentlich in der Wiener Universität abgehaltene öffentliche Diskussionen über aktuelle Themen, zum Beispiel „Verstaatlichung von Wirtschaftsbetrieben”, „Österreichs Stellung in der W alt” oder — gegenwärtig laufend — „Wiederaufbau zerstörter Wohnbauten”, an denen jeweils erste Fachpersönlichkeiten als Referenten teilnehmen, dienen der für demokratisches Leben unerläßlichen sachlichen Wissensvermittlung wie der lebendigen Aussprache. Damit wird die Mitarbeit verschiedenster und weiter Kreise der Bevölkerung an der praktischen Lösung von Fragen, die die Allgemeinheit betreffen, von einem überparteilichen, objektiven Forum aus geboten und erbeten; lebendiges und verantwortungsvolles Staatsbewußtsein gestärkt.

Schließlich stellt die Auslandsektion die Verbindung mit den österreichischen Splittergruppen und Freunden im Ausland her. Sie hilf mit, dafür Sorge zu tragen, daß österreichisches Wesen und Schaffen auch im Ausland wieder bekannt und vertraut wird, wobei die Ergebnisse der übrigen drei Sektionen stets in erster Linie verwertet werden. Dievom Institut veranstaltete „Internationale Buchausstellung” im Winter 1947 war eine Frucht solcher Verbindungen. In der Tätigkeit dieser Sektion zeigt sich am lebendigsten, daß jene Wurzel aller Kulturarbeit, die wir mit Humanismus in des Wortes tiefster Bedeutung bezeichnet haben und die in Österreich vielgestaltige und individuelle Prägung erfuhr, heute wie eh und je zum Gemeingut aller Kulturvölker gehört. Hier mündet also österreichische Kulturieistung, heute nicht minder wie in der Vergangenheit, wiederum ein in die europäische Verflechtung und weil die Welt gerade auch als Folge der großen Kriege engräumiger geworden ist, in die Wechselbeziehung kultureller Zusammenarbeit der Völker, auf der jede erfolgreiche Friedensarbeit basiert.

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