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Nicht, nur in agrarischen Kreisen hört man vielfach die Ansicht vertreten, die Nahrungsmittelproduktion, also die Landwirtschaft, folge nicht dem bekannten Wirtschaftsgesetz von Angebot und Nachfrage. Dabei gibt es kaum eine Wirtschaftssparte, die so empfindlich auf den sogenannten Marktmechanismus, also das Fallen der Preise bei einem Überangebot und deren Steigen mit zunehmender Verknappung reagiert, wie gerade die Landwirtschaft. Gerade diese Erscheinung ist ja der Grund dafür, daß in Kriegsund Krisenzeiten Preis- und Verteilungsregelungen zum Schutz des Konsumenten, in Normalzeiten zum Schutz des Produzenten getroffen werden müssen.

Warum aber reagiert gerade der Nahrungsmittelmarkt, und hier wieder ganz besonders der der lebenswichtigen Waren so ungeheuer rasch auf“' Ahgebötsschwankungeh? Der Grund dafür liegt ganz einfach in der begrenzten Aufnähme-fähigkeit des menschlichen Magens; Ist dieser einmal gefüllt, ist für ihn auch noch so preisgünstige Nahrung uninteressant. Spürt der Mensch jedoch Hunger, dann ist er bereit, für Nahrungsmittel sein Wertvollstes zu geben. Wer sich nur der Hamsterzeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre zurückerinnern will, ob als Nahrungsmittelproduzent oder Konsument, wird diese Tatsache aus eigener Erfahrung bestätigt finden,

Nun könnte man aber doch die Meinung vertreten, daß eine volle Sättigung des Nahrungsmittelmarktes bisher wohl noch kaum eingetreten sei und daher von einem Preisdruck durch Überangebot nicht die Rede sein könne. Gerade der „kleine Mann“ habe noch verschiedene Ernährungswünsche, deren Erfüllung aus rem finanziellen Gründen nicht möglich sei. Bei Licht besehen, stimmt das nur sehr begrenzt, denn eine Nahrungsübersättigung ist in normalen Zeiten schneller da, als man gemeinhin annimmt. Und diese bezieht sich nicht nur auf die Versorgung mit einer bestimmten Kalorienmenge in irgendeiner Form. Vielmehr erweisen sich die Ernährungsgewohnheiten als erstaunlich stabil und zum Beispiel durch Reklame- oder Preismaßnahmen wenig und nur in längeren Zeitabschnitten beeinflußbar. Der Konsument ist hier meist nur mit Hinweis auf verschiedene Vorteile in Aufmachung, Verpackung, Aufarbeitung und dergleichen bestenfalls noch auf Vorhandensein besonderer Wirkstoffe hin ansprechbar. Bezüglich der normalen Eigenschaften eines Nahrungsmittels kann bei uns bereits jetzt eine weitgehende Sättigung festgestellt werden. v'' * '• . ------

Nun ist es heutzutage Jedermann genügend bekannt, daß drei Fünftel der Menschheit ständig vom Hunger bedroht sind, zum Teil nur über die Hälfte oder weniger des normaleuropäischen Kalorienkonsums verfügen und zu einem hohen Prozentsatz Hungers sterben.

Es ist aber auch interessant zu wissen, daß solche Gebiete als Konkurrenten auf dem Nahrungsmittelmarkt satter Völker auftreten. Sie sind dazu auf Grund ihrer wirtschaftlichen Unterentwicklung gezwungen. Infolge der niedrigeren Produktionstechnik erzeugen sie trotz eines landwirtschaftlichen Bevölkerungsanteils von 70, 80 und mehr Prozenten nicht genügend Nahrungsmittel für ihr Volk. Sie haben aber auch nichts anderes als Nahrungsmittel zum Tauschobjekt für Waren entwickelter Länder zur Hand. Und da in solchen Gebieten immerhin auch satte Menschen an der Macht sind, die sich Güter entwickelter Länder erwerben möchten, tauschen sie mit dem einzigen, das sie haben: mit Nahrungsmitteln. Zunächst vergrößern sie damit den Hunger im eigenen Land, wenn auch eingeräumt werden muß, daß das der einzige Weg ist, dieses nach und nach selbst wirtschaftlich zu entwickeln. Nahrungsmittel aus solchen Gebieten drücken in Form eines sogenannten Sozialdumpings auf den Nahrungsmittelmarkt entwickelter Völker, das heißt, diese Nahrungsmittel sind bei einem ungeheuer niedrigen Sozialstandard der Produzenten erzeugt.

Aber noch ein anderes Dumping drückt auf den Nahrungsmittelmarkt, besonders Europas. Es ist das Raubbaudurnpihg verschiedener meist überseeischer Gebiete, eine Nahrungsmittelproduktion ohne Rücksicht auf die Erhaltung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit. Diese heute noch oft fälschlich als amerikanisches Farmer-tum charakterisierte Erscheinung geht im Zusammenhang mit der raschen Besiedlung der in Frage kommenden Gebiete immer mehr zurück. Das Raubbaudumping Amerikas hatte aber auf die europäische Agrarpolitik der letzten hundert Jahre enormen Einfluß.

Der größte Konkurrent des „bäuerlich“ denkenden Landwirtes in Europa aber ist er sich selbst. Mit der einsetzenden und sich rasch entwickelnden Industrialisierung*, mit dem raschen Rückgang des landwirtschaftlichen Bevölkerungsanteils, -setzte eine wahre Angstpsychose in der Landwirtschaft ein. Man fragte sich, ob die Menschheit) verhungern müsse, wenn der Rückgang des Bauernstandes weiter so anhalte. Man leitete .Maßnahmen gegen die Landflucht in die Wege, man. scbttke den Landwirt und erfand immer neue und wirksamere Produktionstechniken. Der Erfolg war ein ständig, steigendes Nahrungsmittelangebot und im Zusammenhang mit dem Sozial- und Raubbaudumping von außen ein immer stärkerer Agrarpreisdruck. Der Unterschied zum gewerblich industriellen Markt war aber der, daß dieser praktisch unbegrenzt aufnahmefähig, der Agrarmarkt aber gesättigt war. *

Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage hätten sich nun so viele Landwirte einer nicht landwirtschaftlichen Beschäftigung , zuwenden müssen, bis Nahrungsmittelbedarf und Nahrungsmittelproduktion sich auf der Basis des kostendeckenden Preises das Gleichgewicht gehalten, hätten. Durch den energischen Kampf gegen die Landflucht, aus der schon genannten Angst-, psychose heraus und auf der Basis einer rc-man^ tischen Gesellschaftsauffassung begonnen und vorangetragen, wurde der Bauer daran gehindert, sich als Homo öconomjcus zu verhalten. Insbesondere ging diese Tendenz auch vom Bauernstand selbst infolge eines falsch verstandenen Selbsterhaltungstriebes aus. Der. Konsument und. natürlich auch die sich entwickelnde Industrie hatten keinen Anlaß, diese Entwicklung zu hindern. Im Gegenteil, sie waren interessiert an dem Preisdruck, den sich die Landwirte ächzend und stöhnend selbst schufen.

Diese Entwicklung kann man heute wohl als abgeschlossen betrachten. Da bekanntlich ein gesättigter Markt stärkeren Schwankungen unter-, worfen ist als ein ungesättigter wurden Preisfestsetzungen im Interesse einer gleichmäßigen Nahrungsmittelproduktion und stabiler Agrar-preise vorgenommen. Produzent und- Konsument einigten sich auf einer gemeinsamen Basis, die auch bei einem gesättigten Markt beiden Teilen Sicherheit in der Nahrungsversorgung einerseits und ein tragbares Einkommen anderseits bietet. Kein vernünftiger Mensch würde heute einen absolut freien Agrarmarkt verlangen., Er ist auch auf der ganzen Welt nicht zit finden.

So sind denn von dieser Seite her auch geistig die Grundlagen für ein Landwirtschaftsgesetz in Österreich geschaffen. Wenn es zunächst auch nicht das soziale Problem der Landwirtschaft lösen kann, das hauptsächlich in der Agrarstruktur begründet ist, so garantiert es doch dem Konsumenten ein gleichmäßiges konsumnahes Nahrungsmittelangebot zu einem stabilen Preis, während der Produzent noch so viel Interesse an der Nahrungsmittelerzeugung aufbringen kann; daß er sich nicht mitsamt seiner Familie einer ! anderen, lohnenderen Beschäftigung zuwenden muß. Und damit ist wohl allen Teilen am besten gedient. 3*.....

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