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SPÖ – Gewissenserforschung

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A’ls der erste Schock, den die SPÖ am 6. März erlitten hatte, überwunden war, mußten sich Österreichs Sozialisten die Fragen stellen: Was war die Ursache? Was haben wir falsch gemacht? Was müssen wir besser machen? Relativ schnell setzte die erste Welle der Gewissenserforschung ein. Die „Arbeiterzeitung” lud vier Sozialisten der jüngeren Generation zu einer Analyse des Wahlergebnisses ein, wohl ln der Meinung, junge Intellektuelle hätten einen geschärfteren Blick für die Schwächen der sozialistischen Strategie und Taktik als die schon Jahrzehnte mit dem Parteiapparat verzahnte Garnitur der Spitzenpolitiker.

Den Reigen der Kritik eröffnete Dr. Heinz Fischer, Sekretär des Klubs der sozialistischen Abgeordneten und Bundesräte. Fischer untersuchte zuerst das Verhalten der KPÖ-Wähler und kam zu der nicht sehr überzeugenden Schlußfolgerung, „daß nur ein geringer Teil jener Wähler, die ihre Stimme 1962 den Kommunisten gaben, diesmal sozialistisch wählten”. Die Haltung der SPÖ zur kommunistischen Wahlempfehlung wird so vorsichtig kritisiert, daß die Kritik eher einer Apologie der Parteilinie gleicht: Es wäre „taktisch falsch” gewesen, „die KP-Wahlempfehlung nicht zurückzuweisen. Grundsätzlich aber war die Entscheidung richtig, weil Österreich eine Kommunistische Partei, die die Arbeiterschaft dieses Landes bisher gespaltet hat, gar nicht braucht.” Zum Fall Olah macht Fischer die wohl nicht zu bestreitende Feststellung, den Olah-Wäh- lem seien „weniger politische, sondern vor allem psychologische Eigenschaften gemeinsam”. Die Olah-Wähler seien nicht aus den Kernschichten der SPÖ gekommen, sondern aus den Randschichten. Und hier kommt Fischer zu seiner eigentlichen Kritik, die SPÖ habe insofern versagt, als sie in einer Art organisatorischer Inzucht die Randschichtenwähler zugunsten der ohnehin treuen Parteimitglieder vernachlässigt und deshalb zum Teil verloren habe.

In der Propaganda unterlegen

Karl Blecha, als Leiter des „Institutes für empirische Sozialforschung” verantwortlich für die sozialistischen Meinungsumfragen, kam in der „Arbeiter-Zeitung” nach Heinz Fischer zu Wort. Für Blecha war der Hauptgrund der sozialistischen Niederlage die Überlegenheit der ÖVP-Propaganda. Der ÖVP wäre es gelungen, den Wählern das zu sagen, was diese hätten hören wollen. „Während man in der Kärntnerstraße die Grundeinstellung dös’ österreichischen Durchschnittsbürgers richtig diagnostizierte, vermochte die SPÖ-Spitze nicht die Feinheiten komplizierter Anliegen durch einfache Formeln und plastische Vergleiche begreiflich machen.” Die ÖVP habe über einen „psychologisch geschulten Kader und über Kontaktpersonen zu allen Gruppen der Bevölkerung verfügt”. Blecha forderte als Konsequenz aus der Niederlage eine Verjüngung der Führungsspitze, die Beseitigung schwerfälliger Teile des Parteiapparates und eine Neuorientierung in der Bildungs- und Betriebspolitik.

Sozialistische Radikalität

Hatten die Kommentare von Fischer und Blecha die prinzipielle Richtigkeit der Parteilinie nicht bestritten und für diese richtige Strategie nur eine (teilweise) neue Taktik, für den richtigen Inhalt eine etwas verbesserte Verpackung, für dieselbe Politik ein neues „image” verlangt, so war dies bei den folgenden, in der „Arbeiter-Zeitung” veröffentlichten Beiträgen anders. Albrecht K. Konecny, Chefredakteur der sozialistischen Studentenzeitschrift „Alternative”, setzte seine Kritik etwas mehr im Grundsätzlichen an als Fischer und Blecha. Die SPÖ habe es versäumt, den latenten Radikalismus der Jugend für sich auszunützen und zum „bürgerlichen Herrschaftssystem” durch „sozialistische Radikalität” eine Alternative zu schaffen. Eine solche sozialistische Alternative müsse auch in der Tagespolitik geboten werden.

Entschieden verteidigte Konecny die Haltung der Partei gegenüber der kommunistischen Wahlempfehlung. 1949 habe sich die SPÖ von der KPÖ ausdrücklich distanziert, aber dennoch hätten die Sozialisten neun Mandate verloren. Daß aber 1949 die ÖVP acht Mandate und damit die absolute Mehrheit eingebüßt hatte, daß sowohl die SPÖ- als auch die ÖVP-Verluste durch einen neuen politischen Faktor, nämlich den VDU verursacht worden waren, das verschwieg Konecny. ..Was die Rote Katze immer wieder erfolgreich macht, ist die Vergiftung der politischen Gesamtatmosphäre in unserem Land, für die auch Einsickern halbfaschistischer und neo- faschistischer Strömungen charakteristisch ist. Bloße Anpassung wird diese Gefahr nicht beseitigen: Wir müssen eine Alternative bieten.” Wie der konkrete Inhalt einer solchen Alternative aussehen soll, schrieb Koneony nicht. Aber man kann es vielleicht aus der Tatsache schließen, daß Konecny zu der Gruppe früherer Funktionäre des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler zählt, die im Jänner 1966 im Verband Sozialistischer Studenten die Mehrheit gewinnen konnten, und die als die am weitesten links stehende Gruppe innerhalb der SPÖ gelten.

Überwindung des Austromarxismus

Nach Konecnys Opposition von links ergriff in der „Arbeiter-Zeitung” Dr. Norbert Leser das Wort, der wegen seines Eintretens für ein konsequentes Abschütteln aller Restbestände des Austromarxismus bekannt ist, der also innerparteilich traditionell gesehen — eine „rechte” Position einnimmt. Ebenso wie Konecny, aber im Gegensatz zu Fischer und Blecha begann Leser nicht mit einer ausführlichen Anprangerung der Wahlkampfmethoden der ÖVP, woran dann, gleichsam nur angehängt, eine kurze innerparteiliche Kritik folgte, sondern er startete sofort mit einer massiven Kritik an der Politik der eigenen Partei. Die SPÖ habe mit ihrem starren Festhalten an einer immer unattraktiver werdenden Form der Koalition die Jugend abgestoßen; nicht die SPÖ, sondern die ÖVP wäre wegen ihrer Forderung nach einer Neuorientierung der österreichischen Politik als eine fortschrittliche Partei erschienen. Dazu komme, daß die austromarxistische Vergangenheit als Hypothek auf der SPÖ laste. Der Sprung von der „permanenten Opposition der Ersten in die permanente Koalition der Zweiten Republikß, von der grundsätzlichen Abstinenz vom als „bürgerlich” abgelehnten Staat zur Identifizierung mit eben diesem Staat sei von der Partei nicht verdaut worden.

In der Organisation und in der politischen Phraseologie sei man noch völlig dem Austromarxismus und einer ghettoartigen „Lagermentalität” verfallen, was in einem eigenartigen Widerspruch zum reinen Praktizismus der Realpolitik stünde. „Letzten Endes war es die unorganische Mischung von künstlich wiederbelebtem beziehungsweise wachgehaltenem Austromarxismus und permanenter Koalition, die uns die Wähler nicht abgenommen haben.” Den Ausweg sieht Leser in einer Anknüpfung an das Parteiprogramm von 1958, „das ein echter Fortschritt und ein Anlauf zum Durchbruch war… Hätte die Partei den Weg des Parteiprogramms von 1958 weiterverfolgt…, die Partei hätte sich auch zunehmend zu einer linksliberalen, modernen Volkspartei entwickelt…” Die SPÖ müßte die Versuchung einer „Flucht nach vorn in Form eines Scheinradikalismus” vermeiden, den Austromarxismus so weit als möglich überwinden und eine Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Vorbild der skandinavischen Sozialdemokratie anstreben.

Apologie der Parteiführung

Meldeten sich in der „Arbeiterzeitung” Angehörige einer noch nicht arrivierten Generation, so schrieb in der „Zukunft” mit dem Abgeordneten zum Nationalrat Karl Czernetz ein für den bisherigen Kurs Verantwortlicher einen ausführlichen Kommentar. Czernetz wies energisch alle Auslegungen zurück, Fehler der SPÖ — charakterisiert durch die Schlagworte Rundfunkvolksbegehren, Olah, Fußach, KP-Empfehlung, „Kronen-Zeitung” — hätten die Niederlage verursacht. „Es scheint mir, daß alle diese Elemente erst im Zusammenhang mit anderen, größeren, schwereren Waffen des Gegners, in ihrer Massierung den Zusammenbruch herbeiführten.”

Zur KP-Wahlempfehlung stellte Czernetz zweifellos richtig fest, daß vielleicht keine Erklärung der SPÖ die ÖVP hätte im Wahlkampf befriedigen können. Daß eine ausdrückliche Distanzierung der SPÖ von der kommunistischen Empfehlung die sozialistische Position glaubwürdiger und die Volksfrontparole unglaubwürdiger gemacht hätte, und zwar gerade bei der WähLerschicht, deren Abwanderung der SPÖ die Niederlage brachte, darauf geht Czernetz überhaupt nicht ein. Die Lösung des Falles Olah sei „sauber und ordentlich” gewesen, liest man etwas überrascht. „In der Ära Olah… gab (es) die abenteuerlichen Pläne der kleinen Koalition, gab (es) den Flirt mit der FPÖ.” Daß Olah einer der Hauptvertreter der Idee einer kleinen Koalition war, ist bekannt. Aber ebenso weiß man doch, daß im Sommer 1963 eine starke Mehrheit in der sozialistischen Parteispitze gerade in dieser Frage mit Olah übereinstimmte. Oder etwa nicht? Ist die Geschichte des Jahres 1963 schon umgeschrieben?

Als einzigen angreifbaren Punkt konzedierte Czernetz den Kritikern die Parteiorganisation, die vor allem in Wien „sehr stark apparatmäßige und bürokratische Formen” angenommen habe. Verbesserte politische Schulung, mehr Kampfgeist, verstärkte Kontakte innerhalb der Partei — das sind die von Czernetz geforderten Konsequenzen.

Verlust der Glaubwürdigkeit

Nicht in einem sozialistischen Organ, sondern im „Neuen Forvm” veröffentlichte DDr. Günther Nenning seinen Kommentar zum Wahlresultat. Nennang warf der Parteiführung vor, ihre Politik habe dem österreichischen Sozialismus alle Glaubwürdigkeit genommen. „Dieselbe Parteiführung hat die große Koalition gepriesen und die kleine Koalition zu installieren probiert. Dieselbe Parteiführung hat mit der nazistisch infizierten FPÖ geflirtet und zu der Wahlempfehlung der stalimistisch infizierten KPÖ geschwiegen … Dieselbe Parteiführung hat oberste Richter wegen eines ihr nicht genehmen Urteils als Putschisten hingestellt und wegen eines ihr genehmen Urteils die richterliche Unantastbarkeit gefeiert. Dieselbe Parteiführung hat die Entfernung eines haarsträubend nazistischen Hochschullehrers im .schwarzen” Ressortbereich gefordert und jede Initiative zur Entfernung von NS-Blutrichtem aus dem .roten” Ressortbereich verweigert.”

Opportunismus und Praktizismus in allen Bereichen — damit hätte die Parteiführung sozialistisches Kapital verspielt und eine geistige Öffnung verhindert. Besonders kritisierte Nenning die gröbliche Vernachlässigung einer Öffnung gegenüber dem Christentum, die ungenügende Beantwortung der „diesbezüglichen Bereitschaft von christlicher Seite”.

Die erste Welle der innerparteilichen sozialistischen Kritik scheint verebbt zu sein, aber sie wird nicht die letzte bleiben. Zu sehr waren die Beiträge unkritisch (Czernetz) oder nur in Ansätzen kritisch (Fischer, Blecha). Nur zum Teil gelangten die Beiträge über eine Kommentierung der Symptome hinaus zu einer Analyse der tieferen Ursachen. Es ist bezeichnend, daß nur einer der erwähnten Beiträge (Nenning) das Verhältnis der SPÖ zum Christentum erwähnte; vor nicht allzulanger Zeit gehörte dieses Thema zum Mittelpunkt aller Diskussionen über den österreichischen Sozialismus. Ebenso signifikant ist, daß nur ein Beitrag (Leser) das Programm von 1958 in die Debatte warf — für eine Partei mit einer derartigen programmatischen Tradition ein sehr aufschlußreicher Umstand. Auch hatte man den Eindruck, als wäre die Diskussion zu wenig offen, die Grenzen der Debatte von vornherein reglementiert gewesen. Schrieb der Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung” nur zufällig in einer sehr unsozialistischen Diktion von Sozialisten, die „zur Meinungsäußerung befugt” seien?

Man kann nur hoffen, daß die Niederlage vom 6. März für die SPÖ der Anlaß zu einer weiteren Überprüfung der eigenen Position sein wird. Ein Anfang ist gemacht, Fortsetzungen müssen folgen. Eine gesunde, das heißt nicht zuletzt selbstkritische SPÖ ist ein Garant für die Stabilität unserer Demokratie.

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