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Staat und Kirche

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Es mag als Zeichen der Zeit gewertet sein, wenn um das Verhältnis von Staat und Kirche gerungen wird. Dabei kann nicht übersehen werden, daß die Formulierungen früherer Zeiten heute überaltert und daher nicht mehr brauchbar sind. Dies kam deutlich auf der Mitte Oktober in Marburg an der Lahn veranstalteten Tagung der Vereinigung deut scher Staatsrechtslehrer zum Ausdruck, wo als zweites Hauptthema der Beratungen das Problem Staat und Kirche behandelt wurde. In zwei groß angelegten Referaten versuchten der Göttinger evangelische Kirchenreditler Weber und der katholische Staatsrechtler Hans P e- t e r s aus Köln, der auch Präsident der Görresgesellschaft ist, die neuen Formulierungen für das Thema Staat und Kirche zu fassen. An die Hauptreden schloß sich eine lebhafte und gedankenreiche Aussprache an.

Bereits die Hauptthese von Weber ließ aufhorchen. Die evangelische Kirche war verwaltungsmäßig durch Jahrhunderte an den Staat angelehnt gewesen, so daß bereits der von der Weimarer yerfassung ausgesprochene Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat sie im innersten Kern treffen mußte. Wenn dies trotzdem nicht geschah, so war die Ursache in der Haltung der staatlichen Bürokratie zu suchen, welche aus altererbten Gedankengängen heraus dem Verfassungsgrundsatz, der doch letzten Endes liberalen, ja zum Teil kirchenfeindlichen Gedankengängen entsprang, die praktische Gefolgschaft versagte. So kam es, daß noch zu Beginn des Nationalsozialismus sich weite Kreise der evangelischen Kirche als staatsinstitutionell ansahen. Erst das Vorgehen der Nationalsozialisten gegenüber der evangelischen Kirche und ihrem dogmatischen Besitzstand brachte ein neues Selbstbewußtsein der evangelischen Kirche zustande. Es kam bekanntlich zur Bildung der sogenannten Bekenntniskirche, welche auf kirchlichem Gebiet dem Nationalsozialismus Widerstand leistete. So hatte der Abwehrkampf der evangelischen Kirche für diese eine ähnliche Stärkung des Selbstbewußtseins und eine ähnliche Distanzierung vom Staate zur Folge, wie für die deutsche katholische Kirche seinerzeit der Kulturkampf.

Auf der anderen Seite aber hat der Zusammenbruch des Nationalsozialismus einen Zusammenbruch des gesamten staatlichen Gefüges zur Folge gehabt. Das stolze und selbstbewußte Gehaben des Staates gegenüber der Kirche hatte damit ein Ende erreicht; und es ist wohl ein einmaliger Vorgang in der deutschen Geschichte gewesen, wenn zum Beispiel ‘s nach der Bildung der ersten hessischen Regierung nach dem Jahre 1945 deren Ministerpräsident sich bittend an die Oberhäupter der beiden Kirchen in Hessen wandte, ihm beim Neuaufbau des staatlichen Lebens die Hilfe der Kirchen zu gewähren. ES ist klar, daß damit nicht nur die Antinomie, die durch Jahrhunderte das Verhältnis von Staat und Kir- die beherrschte, aufgehoben ist, sondern daß darüber hinaus auch der gegenseitige Standpunkt der Fremdheit als beendet zu betrachten ist. Staat und Kirche begegnen sich nicht mehr als rivalisierende Mächte, sondern als Glieder der öffentlichen Gesamtordnung, für die sowohl Staat als auch Kirdie die Verantwortung tragen. Sogar der Ausdruck Staatskirchenrecht ist unter diesem Gesichtspunkt zu beanstanden, denn es handelt sich nicht um ein vom Staate geschaffenes Recht, sondern der Staat findet die Kirchen bereits vor, die, geschichtlich gesehen, älter als er sind. Es geht auch nicht an, zu sagen, daß der Staat den Kirchen die Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft verleihe, denn solche Formulierung stellt vor allem die beiden großen Kirchen in eine Reihe mit Handelskammern, Wirtschaftsverbänden, Elektrizitätsgenossenschaften usw. Wenn ich den Redner richtig verstanden habe, so wäre der hier zugrunde liegende Gedankengang folgendermaßen zu formulieren; Während der Staat den Selbstverwaltungskörpern einen Teil seiner eigenen Aufgaben überträgt und ihnen daher den Charakter der öffentlich;rechtlichen Körperschaft verleiht, sieht der Staat die von ihm Vorgefundenen Kirchenkörper als ihm gleichrangig an und gibt ihnen durch Verleihung des Namens ‘einer öffentlich- rechtlichen Körperschaft gewissermaßen die Anerkennung dieser Gleichrangig- keit. Diese Gleichrangigkeit findet ihren Ausdruck vor allem in der diplomatischen Stellung des offiziellen Vertreters der katholischen Kirche in den meisten Staaten und so auch in der Deutschen Bundesrepublik, und jüngstens ist auch die deutsche evangelische Kirche dazu übergegangen, sich durch einen besonderen Bevollmächtigten bei cLr Bonner Bundesregierung vertreten zu lassen, der allerdings zumindest bis heute nicht als Diplomat angesehen wird.

Diese Gleichrangigkeit von Staat und Kirche verlangt einerseits Koordination und andererseits eine weitgehende kirchliche Autonomie. Die Kirchen haben diese in der letzten Zeit auch dadurch betätigt, rindem sie zur Errichtung eigener theologischer Hochschulen schritten; die evangelische Kirche hat fünf theologische Akademien errichtet, und durch ein päpstliches Breve erhielt die theologische Diözesanlehranstalt in Trier das Recht, das Lizenziat und den Doktor der katholischen Theologie zu verleihen. So ist die Privatschulfreiheit, die das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 der katholischen Kirche zunächst gewährt hat, allgemeines Staatskirchenrecht heute.

Diese Zusammenarbeit von Staat und Kirche ist Koordination und nicht Subordination, abeT es liegt im Wesen einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Faktoren, daß sie einerseits gemeinsame Tätigkeitsgebiete, womöglich durch Konkordate zu regeln haben, daß aber andererseits, so wie das Reichskonkordat es vorsieht, auch der Staat auf eine gewisse loyale Haltung der Kirche ihm gegenüber drängen muß. Es findet dies seinen Ausdruck, wie Peters ausführte, vor allem auch darin, daß zum Beispiel die katholische Kirche vor der Ernennung eines Bischofs anzufragen hat, ob gegen den Betreffenden nicht Einwände von seiten des Staates erhoben werden. Der ernannte Bischof hat sodann in die Hand des zuständigen Ministerpräsidenten, erstreckt sich aber seine Diözese über mehrere Länder, in die Hand des Bundespräsidenten einen Eid auf die Verfassung zu leisten. Aber dies wird in normalen Zeiten als eine reine Formalität zu wer ten sein und erscheint auch notwendig, um den persönlichen Kontakt des neüen Bischofs mit den Staatsspitzen herbeizuführen. Auch das Aufsichtsrecht des Staates ist so zu interpretieren, daß nicht der Gedanke der Subordination, sondern der der Koordination zu beachten ist.

Auch Professor Peters schloß sich diesen Argumentationen zum größten Teil an. Auch der kirchengläubige Staatsbürger hat ein Interesse an einer Harmo- nisieiung der kirchlichen und staatlichen Anforderungen. Die alte Gewaltenteilungslehre vom Staat muß heute durch eine soziale Funktionenteilungslehre von Staat und Kirche ergänzt werden. Im übrigen zeigten die beiden Referate weitgehende Übereinstimmung. Bemerkenswert ist, daß Professor Peters nicht der Meinung ist. daß die Zwangszivilehe eine Verletzung der Gewissensfreiheit an sich beinhalte; trotzdem ist er für die fakultative Ehe, da weite Volksschichten die standesamtliche Trauung als eine überflüssige Zeremonie betrachten, wenn die kirchlichen Organe verpflichtet werden, eine jede von ihnen vollzogene Trauung der staatlichen Ma- trikenstelle zu melden.

Es ist begreiflich, daß die Darlegungen der beiden Referenten Grundlage einer reichlichen Aussprache wurden, an der sich die Professoren Ebers (Innsbruck), Scheuner (Bonn), Laun (Hamburg, ehemals Wien) Stanka (Wien), Hugelmann (Göttingen, ehemals Wien), Smend (Göttingen, ehemals Berlin) sowie der evangelische Landesbischof D. Wüstemann beteiligten. Der Ernst der Aussprache war gehoben durch das Bewußtsein aller Tagungsteilnehmer, an einer neuen Wende des Verhältnisses von Staat und Kirche zu stehen, dessen gedankliche Grundlegung das Thema der Tagung gewesen war.

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