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Staatsallmacht in 60.000 km Höhe

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Als Dr. von Komorzynski und ich im Jahre 1912 als österreichische Delegierte am I. Luftrechtskongreß in Brüssel unter Vorsitz des Prinzen Bonaparte teilnahmen, beugten sich noch alle Staaten vor dem Spruche Fauchilles „L'aire est libre“ — die Luft ist so frei wie das Meer! Wohl wurde theoretisch das Souveränitätsrecht des Staates an den Luftraum über seinen Gebieten anerkannt, so wie das Eigentumsrecht des Grundeigentümers am Luftraum über seinem Grundstück, aber diese Rechte durften nicht dem unschädlichen Durchflugsrecht Abbruch tun. Es schien undenkbar, daß ein Staat oder ein Grundeigentümer den Durchflug durch seinen Luftraum verbieten könnte, wenn er keine konkrete Beeinträchtigung nachweisen konnte. Von dieser Grundlage aus hoffte man damals einer freien Entwicklung des jungen Flugverkehrs entgegensehen zu können, ohne im entferntesten die technischen Fortschritte und rechtlichen Hindernisse, die ihm beschieden sein sollten, vorauszuahnen. Daß jemand bei einer „unerlaubten“ Notlandung verhaftet werden, daß gar jemand im Frieden in der Luft mörderisch abgeschossen, also auf illegalen Flug die Todesstrafe gesetzt werden könnte, kam damals der Phantasie ebensowenig in den Sinn wie Konzentrationslager und Gruppenmord.

Auch in der Luft hat der erste Weltkrieg die Technik gefördert und das Recht zurückgeworfen. Er erfand, erzwang und rechtfertigte Hemmungen des Verkehrs von Menschen, Gütern und Geld durch Paß- und Visumzwang, Ein- und Ausfuhrverbote, Devisenverordnungen, die vorher unbekannt waren und unerhört gewesen wären. Nach seiner Beendigung gefielen diese Machtmittel über den Bürger den Regierungen zu gut, als daß sie sie aufgegeben hätten, auch nachdem deren scheinbare Rechtfertigung durch das Chaos nach dem Frieden aufgehört hatte. Macht über Menschen, zu der vor allem Macht über ihren Verkehr gehört, ist zu verlockend, als daß man sie leicht preisgegeben hätte. Aus dieser Wurzel entsprang die Theorie vom „unbeschränkten Recht“ des Staates über seinen Luftraum. Es hing nun von seiner Gnade ab, ob er einen noch so unschädlichen, noch so nützlichen, ja notwendigen Verkehr durch seinen Luftraum, mit oder ohne Landung, gestatten wollte.

Dieser Grundsatz hat zu den gekünstelten Konstruktionen über die „sechs Freiheiten im Luftverkehr“, zu einem lächerlichen Kuhhandel über die Verkehrsrechte von Fluglinien geführt, deren groteske Verzerrung des Menschenrechts der Freizügigkeit unserer Generation gar nicht mehr zum Bewußtsein kommt. Noch 1956 hat der Verfasser versucht, auf einer Zusammenkunft von Juristen aus der ganzen Welt in Dubrovnik die unsinnigen Folgen dieser Theorie darzulegen, die ein paar Ländern erlauben würde, den Luftverkehr zwischen ganzen Kontinenten lahmzulegen.

„SPUTNIK“ MACHTE DEN ANFANG Im Jahr darauf kam aber der „Sputnik“, der alle Rechtsregeln über Souveränität im Räume über der Erde auf den Kopf stellte. Schon lange hatten die Juristen sich den Kopf zerbrochen, ob und wo diese Souveränität eine Grenze fände. Am Ende der Atmosphäre? Aber wo ist dieses Ende? Die Troposphäre reicht bis zu 10 Kilometer Höhe, die Stratosphäre von 10 bis 40 Kilometer, die Mesosphä/e bis zu 80 und die Thermosphäre bis zu 375 Kilometer. Und darüber hinaus gibt es die Exosphäre. Wohl sind 97 Prozent der Luft bis zur Höhe von 30 Kilometer zusammengedrängt, aber die restlichen 3 Prozent erfüllen nach Ansicht Kaplans, des Obmannes des USA-Komitees für das Geo-physische Jahr, den Raum bis zu 16.000 Kilometer, nach Ansicht Roys vom Institut für Zivilluftfahrt gar bis zu 60.000 Kilometer. Sputnik I kreiste aber in einer Höhe zwischen 200 und 560, Sputnik II zwischen 1056 und 1600 Kilometer und der jüngste „Midas“ der Vereinigten Staaten tut es in 500 Kilometer um die Erde, also noch im dünnen Lufträume.

Darum haben maßgebende Juristen verschiedener Länder die Begrenzung der Souveränität über dem Luftraum aufgegeben. Vor allem die der Sowjetunion. Ihre Kronjuristen S. Krylow und A. Kislov veröffentlichten in der Märznummer 1956 der Zeitschrift „Mezhduna-rodnaja Shizn“ (Internationales Leben) einen Artikel, in dem es heißt:

„Die Frage der Obergrenze (der Souveränität) ist im internationalen Recht und in der internationalen Praxis längst entschieden. Schon 1913 hat der französische Jurist Clunet geschrieben: .Das Souveränitätsrecht jedes Landes über seinen Luftraum erstreckt sich theoretisch (damals war es noch keine praktische Frage) usque ad coelum (bis zum Himmel, also in die Unendlichkeit, wie man in alten Zeiten zu sagen pflegte)'. Zeitgenössische britische Juristen legen dem Ausdrucke .völlige und ausschließliche Souveränität über den Luftraum' so aus, daß sie als .völlig' ah, ohne Grenzen interpretieren, das heißt: .ohne Grenze in der Höhe' ...“

Die Worte „völlige und ausschließliche Souveränität“ sind dem Artikel I des russischen Luftgesetzes vom 7. August 1935 und der Konvention von Chikago von 1944 entnommen. Auch das „Wörterbuch der USA-Luftwaffe“ sagt deutlich: „Der Luftraum begrenzt sich den Umriß des darunterliegenden Gebietes, und erstreckt sich unbegrenzt nach oben.“

Daraus ergibt sich, daß kein rechtlicher Unterschied zwischen einem Raumgeschoß und einem Flugzeug besteht. Das eine durchfährt den Raum über einem freien Staat in der Entfernung von einigen hundert oder tausend, das andere von einem Dutzend Kilometern; von beiden aus kann man photographieren und Nachrichten geben; auch der immer bedeutungsloser werdende Unterschied in der Frage der Bemannung wird bald verschwinden.

Der erste Staat, der nach seiner eigenen Theorie die Souveränitätsrechte anderer Staaten verletzte, und sich dieses Erfolges rühmte, war die Sowjetunion. Im Staunen über den Erfolg dachten nur wenige an die juristischen Auswirkungen. Nun dürfte sich ein Staat, der zuerst Souveränität im fremden Raum offiziell verletzte, nicht, so s.ehr darüber aufhalten,; wenn, es

Hofmannsthal, „Verletzt ein Sputnik“ dflj-“Völkerrecht?“, New-Yorker Staatszeitung, 1. Dezember 1957. einige hundert Kilometer tiefer geschieht. Und „Spionage“? Hat etwa ein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen das Recht, Angriffshandlungen, die durch deren Satzungen verboten sind, un-entdeckt vorzubereiten? Hat ein anderer Mitgliedstaat das Recht, solche Vorbereitungen zu erkunden? Macht es einen rechtlichen Unterschied aus, ob dies aus der Höhe oder vom Boden aus geschieht? Ist es nicht aus der Höhe sogar harmloser, weil man da nicht Helfer und geheime Verständigungsmittel verwenden muß?

Nur ein Staat, der nie Spione in fremde Länder geschickt, sie mit Geldmittel ausgestattet und durch seine diplomatischen Vertreter gedeckt hat, dürfte sich also moralische Entrüstung erlauben. Er würde aber, um ein Wort Bismarcks zu variieren, „in einer Schwimmhose unter gepanzerten Rittern umherlaufen“, ob diese nun Panzer und Schwert zum Angriff oder zur Abwehr angelegt haben. Die Sowjetunion, die den Flug des U-2 als „Angriffshandlung“ hinstellen möchte, hat in ihrer 1956 den Vereinten Nationen vorgelegten eingehenden Definition des Angriffs allerdings umsichtig vermieden, sie auf die Spionage auszudehnen.

UNTER ÖSTERREICHS VORSITZ

In der Debatte des Sicherheitsrates vom 24. Mai wurde das Problem der Umkehr des Völkerrechts durch den Raumflug zum ersten Male international aufgerollt. Frankreich, China, Italien — selbst Polen — deuteten an, daß Hug-zeugen das nicht verwehrt werden könne, was dem Raumschiff erlaubt sei.

Welche Folgen diese sich nun nach drei Jahren verbreitende Erkenntnis auf das Flug- und Raumrecht haben wird, ist noch nicht abzusehen. Die Beratung in der Kommission über Raumrecht, unter Vorsitz eines Österreichers, des Botschafters Matsch, der sich bei den Vereinten Nationen ungeteilter Beliebtheit erfreut, wird darüber einige Klarheit bringen. Ein hippo-kratischer Zug unserer Zeit aber ist nicht zu übersehen: die Staaten trachten immer mehr in ihre Machtsphäre einzubeziehen. Ob es auf dem Meere ist, wo eine Ausdehnung der Dreimeilenzone auf zwölf Meilen einen Raum, größer als den ganzen afrikanischen Kontinent, unter die Herrschaft der Uferstaaten bringen würde; ob es in der Luft und im Weltraum ist, wo die Staaten sich die Herrschaft über das wohl Erforschbare, aber nicht Beherrschbare anmaßen wollen — überall sucht sich der moderne Staat auszudehnen, räumlich in den Weltraum ebenso wie geistig in das intimste Handeln und Denken der'Menschen. mm%% aseeWoA

Und die Lehre des Turms von Babel?

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