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Staatsbesuch und „Salon-Machiavellismus“

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Auf Einladung der britischen Regierung wird Marschall Tito im Frühjahr seinen ersten ausländischen Staatsbesuch in England machen und den Belgrader Besuch Außenminister Edens erwidern. Die Einladung hat in weiten Kreisen Englands Befremden erregt.

Der britische Außenminister macht sich gewiß keine Illusionen über den wahren Charakter des jugoslawischen Regimes, aber es hat immerhin einige Jahre gedauert, bis die englische Öffentlichkeit sich einigermaßen mit der unbeliebten Entdeckung abfand, daß Kommunismus eine Philosophie und „Religion“ ist, nicht nur ein politisches System, mit dessen Vertretern man am grünen Tisch die üblichen Geschäfte abschließen könnte. Wie es ein Leitartikel im „Daily Express“ ausdrückte: „Worauf es ankommt, ist nicht die Farbe von Titos Krawatte oder das Ziel seiner Politik, sondern, ob sein Besuch die defensive Kraft des Westens stärken und dadurch Großbritannien nützlich sein kann.“ Der „Daily Express“ hätte sich auf die Einladung des Schahs von Persien durch Königin Victoria berufen können, aber die Menschenwerte und die Macht der Ideen in der internationalen Politik sind seit jener Zeit beträchtlich im Kurs gestiegen. Der Eindruck, den ein solcher Besuch in der ganzen Welt, und besonders natürlich auf die jugoslawische Bevölkerung selbst, machen würde, spielt eine große RoHe.

Mr. Eden schrieb einem der protestierenden Abgeordneten im Unterhaus, daß er glaube, die Interessen, die seinem Korespondenten am Herzen lägen, würden besser gewahrt werden können, wenn der Besuch stattfände. Er mag dabei an den amerikanischen Präsidenten Dwight Mono y; gedacht haben, der das Vertrauen des Präsidenten Calles von Mexiko so weit zu gewinnen verstand, daß er fim Stubbs „Verfassungsgeschichte Lnglands“ vorlesen und ihm verständlich machen konnte, daß die Beziehungen zwisdien Staat und Kirche eine der ewigen geschichtlichen Grenzfragen sind, und nicht ein besonderes mexikanisches Übel, so daß Calles sich schließlich für, die Toleranz entschloß. Präsident Calles war aber kein doktrinärer Kommunist, und sein Verhalten wurde immerhin in den Vereinigten Staaten und der weiteren Welt verurteilt, die weniger als die heutige an Gewalttaten und Ungerechtigkeit gewohnt war. Das Sidi-abfinden mit politischen Realitäten ist wahrscheinlich Titos stärkster Bundesgenosse in der heutigen westlichen Welt.

Es ist verständlidi, daß die englischen Katholiken in der ersten Reihe jener stehen, die die Einladung Marschall Titos bekämpft haben, denn die katholische Kirche gehört zu den am schwersten getroffenen Opfern des jugoslawischen Regimes. Andererseits wird man nicht verschweigen dürfen, daß Kardinal Stepinac noch heute im Gefängnis säße und die Verfolgung der Kirche in weit verschärftem Maße gehandhabt würde, -wenn die Verfeindung mit der Kominform nicht stattgefunden hätte. Die fundamentale kommunistische Haltung der Religion gegenüber ist jedoch durch diesen Bruch nicht im geringsten geändert worden. Die Kirchen sind offen, aber die Soldaten und Parteibeamten, auf denen das Tito-Regime ruht, dürfen sich nicht in ihnen sehen lassen. In siner Rede am 15. März 1952 erklärte Marschall Tito: „Die (religiöse Frage wird sidi nicht durch administrative Maßnahmen lösen lassen. Das Problem der Unterdrückung religiöser Instinkte erfordert eine weitsichtige Politik.-Es muß ihm mit einer .beharrenden' Tendenz politischer und kultureller Erziehung und wirtschaftlichen Fortschritts begegnet werden. In der Zwischenzeit aber können wir die Vergiftung der Jugend unter dem Vorwand religiöser Zeremonien nicht erlauben.“ Daher Verbot des Religionsunterrichts in den katholischen Gebieten von Bosnien und Herzegowina und Kroatiens. Daher zwangsweise antireligiöser Unterricht, schwere finanzielle Belastung des jugoslawischen Klerus, die Schließung von Seminaren und der theologischen Universitätsfakultäten. Verboten sind die christlichen Jugendorganisationen und Marienvereinigungen, wie auch die religiöse Presse. Die Priesterorganisation „Cyrillus und Methodius“, die von dem Regime unterstützt wird, erstrebt die Schaffung einer schismatischen katholischen Kirche in Jugoslawien. In nur etwas gemildertem Maße erstreckt sich die religiöse Verfolgung auch auf die serbisch-orthodoxe Kirche, ihre Bischöfe und Priester. Von Katholiken befinden sich heute noch der Bischof von Mostar und etwa dreihundert Priester in Gefängnissen und Arbeitslagern.

Auf diese Zustände haben englische Bischöfe und Laien in vielen öffentlichen Versammlungen der letzten Wochen hingewiesen. Erzbischof Campbell von Glasgow und Bischof H e e n a n von Leeds protestierten gegen den Besuch. Kardinal G r i f f i n erklärte in der Generalversammlung der Sword - of - the-Spirit-Bewegung in London: „Der Außenminister muß nidit befürchten, daß wir seinem Gast Unhöflichkeiten oder gar Gewalttaten anzeigen werden. Wir hoffen aber sehr und drängen darauf, daß er als Vertreter der Außenpolitik dieses Landes seinem Gast unsere sehr starken Gefühle über die religiöse Verfolgung in Jugoslawien mitteilen wird, und es handelt sich dabei um die Ansichten von 26 Millionen Katholiken im Commonwealth.“

Die katholischen Laien haben sidi diesem Protest angeschlossen. Richard S t o-k e s, der ehemalige Labourminister, ist im Parlament bemüht, katholische und nichfkatholische Unterhausmit.glieder in einer Deputation zu vereinigen. Ein stiller Protestmarsch ist von den „Knights of Columba“ geplant. Der Schriftsteller Evelyn W a u g h, der während des Krieges selbst Mitglied der britischen Mission zu Tito war, schrieb in einem Artikel im „Sunday Expess“ über „Unser Un-ehrengast“: „Unsere politischen Führer zeigen die gebührende Vorsicht, religiöse und rassische Minderheiten nicht zu beleidigen. Mr. Eden würde keineswegs einen notorischen Judenhasser hierher einladen, um ihn zu feiern. Nur wenn es ums Christentum geht, zeigen diese politischen Führer Indifferenz. Wenn sie wirklich indifferent sind, sollten sie aber ihre Reden kürzen und eingestehen: ,Wir sehen nichts Schlimmes in den Methoden und Zielen des Kommunismus. Wir fürchten uns nur vor Rußland. Wir werden alles dazutun, jeden kommunistischen Diktator zu stärken und bewaffnen, damit er seine Tyrannei ausüben kann, vorausgesetzt, daß er sich zeitweise von Stalin trennt. Wir begrüßen die Umänderung großer christlicher Länder in atheistische Polizeistaaten. Wir verachten die christliche Bevölkerung, die von uns Sympathien erwartet.'

Selbst der sozialistische „New State s m a n“ stellte seine Spalten einem Katholiken zur Verfügung, und zwar niemand anderem, als Graham Greene, der für diesen Zweck das „Londoner Tagebuch“ des Blattes übernahm, und schrieb: „Marschall Tito hat sich der christlichen Religion gegenüber nicht toleranter gezeigt als Stalin. Wir brauchten — niemand bezweifelt es — unter dem Druck des Krieges gewisse Verbündete. Müssen wir sie aber als Ehrengäste hieher einladen? Unsere Beziehungen sollten streng praktisch bleiben — Tito zeigt keine Anzeichen, unsere praktische Unterstützung zurückzuweisen. So lange er uns braucht, hat er keine Sdimeichelei notwendig. Man hat Bevan manchmal für das an bestimmte Schichten der Bevölkerung adressierte Wort des .Ungeziefers' angegriffen, aber Katholiken werden soldie Offenheit dem Salon-Machiavellismus Mr. Edens vorziehen.“

Vor hundert Jahren bedauerte es Lord Melbourne, daß man die christliche Religion auch ins Privatleben einführen wolle. Die Demonstrationen der englischen Katholiken heute sind ein Versuch, den Ausschluß der christlichen Religion auch aus dem öffentlichen Leben zu verhindern. Es gibt kaum einen verantwort-lidien Politiker in England, der die religiöse oder rassische Verfolgung nicht als moralisch falsch und politisch unbequem ansieht, aber zur gleichen Zeit gibt es einen allgemeinen Wunsch, daß die Politik von GeEchäftsmethoden geleitet wird, der vergißt-, daß auch die Geschäftsmetho-den moralischen Gesetzen unterworfen sind. Das Argument, daß es unklug sei, die britische Regierung in dieser Sache in Verlegenheit zu bringen, wurde kürzlich treffend von Mr. Douglas Jerrold beantwortet, als er erklärte: „Wann hat je eine Regierung, die nicht in Verlegenheit gebracht wurde, etwas für die Menschheit getan? Es ist besser, sie in Verlegenheit zu bringen, bevor sie einen Fehler begeht, als nachher.“

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