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Staatsbewußtsein im Grenzland

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Der österreichische Staatsvertrag gibt uns die Möglichkeit, gesetzliche Regelungen auf Gebieten zu treffen, die seit 194$ festgefroren waren. So ein Gebiet ist auch die Kärntner Schulfrage. Der nachstehende Aufsatz versucht die Grundlage zu erläutern, auf welcher eine gesetzliche Regelung dieser Frage gefunden werden kann.

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Der österreichische Staatsvertrag gibt uns die Möglichkeit, gesetzliche Regelungen auf Gebieten zu treffen, die seit 194$ festgefroren waren. So ein Gebiet ist auch die Kärntner Schulfrage. Der nachstehende Aufsatz versucht die Grundlage zu erläutern, auf welcher eine gesetzliche Regelung dieser Frage gefunden werden kann.

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Meine Frau hatte vor der Anmeldung unseres dritten Buben zur Volksschule in Völkermarkt ein kleines Erlebnis, das besser die Unterkärntner Verhältnisse darstellt als eine große Abhandlung: j

Die Frau, die zufällig vor ihr in der Reihe der Anmeldenden stand, hatte einen herzigen

Buben, so einen echten Unterkärntner Flachskopf mit braunroten Backen und hellen Augen.

Schon fragt der Herr Lehrer: Name, Geburtstag, Religion usw., die Antworten trug er fein säuberlich in den Schülerbeschreibungsbogen ein. Es ging glatt bis zur Frage nach der Muttersprache des Kindes. „Windisch“, sagte die Mutter. Der Herr Lehrer schreibt, sagt gleichzeitig: „Also Slowenisch.“ „Nein“, sagte die Mutter mit einem Blick auf den Schülerbeschreibungsbogen, „Windisch habe ich gesagt.“ „Windisch darf ich nicht eintragen, ich darf nur Deutsch oder Slowenisch schreiben“, erklärte der Lehrer. Die Mutter faßte sich schnell und sagte entschlossen: „Dann schreiben Sie Deutsch.“

Die Antwort der windischen Mutter ist kein Einzelfall. Wir wissen, daß schon 1920 viele Menschen mit der Muttersprache Windisch nach dem österreichischen Stimmzettel gegriffen haben. Die Muttersprache ist in Südkärnten keine letzte Aussage über das Staatsbewußtsein. Jene Slowenen, die ihrem Heimatdialekt und der Einheit Kärntens sowie dem österreichischen Staat die Treue hielten, heißen Windische. Sie sind in der Mehrzahl. Windisch ist ein Ehrenname, um einen Unterschied zu finden gegenüber jenen Slowenen, die sich bemühen, Schriftslowenisch zu sprechen und darauf aus sind, ein möglichst großes Stück von Kärnten abzutrennen und der Volksrepublik Jugoslawien einzuverleiben. Ich sagte: Windisch ist ein Ehrenname für uns Oesterreicher. Ich gebe aber zu, daß die Windischen von den nationalen Slowenen als Verräter und von den nationalen Deutschen als nicht hundertprozentig angesehen werden. Diese Menschen sind aber für Oesterreich sehr wertvoll. Um den Ausdruck Windisch geht es wirklich nicht. Es geht um die nationale Unterscheidung, und hier müssen wir Oesterreicher den Mut haben, festzustellen, daß die Kuceras und Grafenauers eines Blutes sind. (Grafenauer war nationalslowenischer Abgeordneter in Kärnten und strebte die Abtrennung des gemischtsprachigen Teiles von Oesterreich an. Kucera- war NS-Gauleiter in Kärnten. Ein betont Deutschnationaler.) In Kärnten leben nun einmal seit über-tausend Jahren Deutsche und Slowenen beisammen und haben sich vermischt. Wer kann sie heute unterscheiden und zu welchem Zweck? Wir Kärntner wollen von keiner Seite klassifiziert, eingeteilt und verschoben werden. Es hat niemand ein Recht, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Wir anerkennen die internationalen Garantien zugunsten der Minderheit. Aber es steht unserem Grenznachbarn Jugoslawien nicht jenes Recht zu, das-esterrgicb in der Frage Deutsch-Südtirol vertraglich und nach allgemeinen völkerrechtlichen“ Grundsätzen“ hat. Die rechtliche Lage in beiden Gebieten ist völlig verschieden:

In Deutsch-Südtirol gibt es keine Minderheit. Dort besteht seit geschichtlicher Zeit ein geschlossener deutscher Siedlungsraum. Das Volk wurde nie gefragt, zu welchem Staatsverband es mit seinem Lande gehören will. Aus strategischen Gründen wurde brutal die Brenner-Grenze gezogen, unter der Versicherung, daß die Deutschen im deutschen Raum unangetastet bleiben werden.

Ganz anders in LInterkärnten. Es hat nie ein „Slowenisch-Kärnten“ gegeben. Diese Bezeichnung ist eine Erfindung der Begehrlichkeit des Grenznachbarn. Seit über tausend Jahren leben hier Deutsche und Slowenen zusammen und haben sich so sehr vermischt, daß sie heute niemand mehr trennen kann, weder äußerlich noch sprachlich, denn sie sprechen meist beide Dialekte. Die international überwachte Abstimmung von 1920 hat die Entwicklung bestätigt, und es ging damals nicht um die deutsche oder slowenische Sprache, sondern um die Einheit des Landes, für welche sich die Kärntner, die beide Dialekte sprechen, entschieden haben. Diese Einheit zu erhalten; ist unser aller Aufgabe.

Endlich haben wir den österreichischen Staatsvertrag. Der Sinn des Staatsvertrages kann nur sein, die Einheit des Landes und Bundes zu sichern. Der Staatsvertrag schreibt im Artikel 7

den Schutz der Menschenrechte der slowenischen Minderheit vor. Wenn sich jemand aus eigenem Antrieb als Slowene bekennt, stellt er sich als Mitglied des österreichischen Staates unter dessen Schutz. Deshalb werden wir sein Bekenntnis respektieren. Wir werden ihnen auch gemäß Artikel 7 den Elementarunterricht in slowenischer Sprache ermöglichen, so wie eine verhältnismäßige Anzahl von slowenischen Mittelschulen wird eingerichtet werden, wenn sie glauben, damit besser zu fahren.

Mit dem ersten Schultag tritt der junge Mensch ins Leben und damit in die staatliche Gemeinschaft. Jene windische Mutter in Völkermarkt hat die Frage nach der Muttersprache wie eine Frage nach der gewünschten staatlichen Ge; meinschäft verstanden. Ihr Kind spricht Windisch und Deutsch, so wie viele Kinder im gemischtsprachigen Gebiet. Aber die Mutter will das Kind in die österreichische staatliche Gemeinschaft einführen, und deshalb bat sie den Lehrer, als Muttersprache nicht Slowenisch anzugeben. Ihr schien der Weg von Windisch zu Deutsch der näherliegende als von Windisch zum Laibacher Slowenisch, einfach deshalb, weil sie Windisch mit österreichischem Staatsbewußtsein spricht. Ihr Herz steht nicht in Laibach, wo man ja auch nicht Slowenisch, sondern Serbo-Kroatisch in den Ministerien spricht.

Bei Beibehaltung des windischen ortsgebundenen Dialektes kann sie ruhig ein österreichisches Staatsbewußtsein haben, so wie die Mehrzahl der beide Dialekte Sprechenden. Nachdem aber der Ausdruck Windisch in Kärnten verboten ist und ihr Sinn nicht Slowenisch heißt, gab sie lieber Deutsch als Muttersprache an. Machen wir doch unseren Landsleuten, die beide Dialekte sprechen, die Wahl nicht so schwer I Sie sollen wissen, daß ihre Kinder in die frohe tausendjährige Kärntner Gemeinschaft hineinwachsen können, ohne Zwang zur schulmäßigen Erlernung beider Sprachen. Die Aufgabe der Lehrer im gemischtsprachigen Gebiet ist jedenfalls schwerer und auch wichtiger als in anderen Gebieten Kärntens. Schwerer, weil die einen sagen: Du 'unterrichtest zuviel Deutsch, und die anderen werfen dir vor: Du unterrichtest zuviel Slowenisch. Wichtiger aber ist die Aufgabe der Lehrer hier, weil es nirgend sonst in Oesterreich so notwendig ist, zwischen den Nationalismen die Kinder zu festen, guten Oesterreichern zu erziehen.

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