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Statt 4:1 jetzt 1:4?

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Die Debatte über den ORF im Parlament drängte die Auseinandersetzung über das Budget in den Hintergrund. Begreiflich, denn das Budget wird nach einigem Theaterdonner über die Bühne gehen, während sich das Problem des ORF ähnlich dem des Bundesheeres immer mehr zuspitzt. Dies hängt mit Terminen zusammen. Die Dienstzeitverkürzung von neun auf sechs Monate soll nach Kreiskys Versprechen ab Jänner 1971 eintreten, und der Vertrag des derzeitigen Generalintendanten des ORF läuft im Frühjahr 1971 aus. Nun geht das Problem des Bundesheeres einem großen Teil der Österreicher, wenigstens derzeit noch, kaum unter die Haut, obwohl es Sprengstoffe enthält, deren Explosion auch internationale Schwierigkeiten bringen können. Das Problem ORF aber geht den meisten Österreichern nahe: Daß dies so ist, kann als eine Folge der Reform im Jahre 1966 angesehen werden. Damals ist die ÖVP unter dem Druck der unabhängigen Presse über ihren Schatten gesprungen und gab damit unter anderem auch grünes Licht für eine ungefilterte Nachrichtenübermittlung.

Wenn wir sagen, daß die ÖVP 1966 über ihren Schatten sprang, dann deshalb, weil sie gar nicht wissen konnte, ob sich die Einrichtung eines unabhängigen ORF zu ihrem Vorteil oder Nachteil auswirken wird. Der unabhängige ORF entwickelte sich, rein parteipolitisch gesprochen, für die ÖVP auch nicht allzu günstig, obwohl die Volkspartei im Aufsichtsrat über eine Mehrheit der Stimmen verfügt. Chefredakteur Kreuzer vom ORF hat dies einmal deutlich gemacht, als er sagte, daß der ORF in Gebiete vorgedrungen sei, die bisher von den politischen Ereignissen praktisch abgeschnitten waren. Durch die neue Form der Interviews und der Fragestellung, die sich seit 1966 im ORF entwickelte, wurde die Bevölkerung direkt mit allen Problemen konfrontiert. Daß es hier die Regierungspartei, die für alles verantwortlich zeichnete, schwerer hatte als die Opposition, ist naheliegend. Die Fehler der Regierungspartei wurden transparenter. Die Öffentlichkeit in unserem Land besaß wie noch niemals zuvor eine Informationsquelle, die keinerlei Rücksicht auf parteipolitisches Denken nahm und die deshalb auch nicht ihre innerpolitischen Nachrichten nach einem Proporzschlüssel sendete wie vor 1966, wozu damals noch kam, daß selbst diese bereits den Proporz berücksichtigenden Nachrichten zusätzlich noch Rücksicht auf die beiden Großparteien nahmen. Die unabhängige Nachrichtengebung kam so auf lange Sicht gesehen der Opposition zugute, deren Stellung in allen wesentlichen Fragen eingeholt wurde, und deren Kritik, die noch dazu von zwei Seiten, von rechts und von links kam, versetzte der Regierung etliche Tiefschläge, die. wie die verschiedenen Wahlen bewiesen, von der ÖVP nicht verkraftet werden konnten. Natürlich war es nicht der ORF allein, der die Regierung Klaus stürzen half, ganz abgesehen davon, daß es gar nicht in seiner Absicht liegen konnte. Auf jeden Fall aber veränderte die neue und proporzfreie Form der Nachrichtengebung die politische Landschaft. Der Österreicher verfolgte die Geschehnisse plötzlich ohne Parteibrille. Die Oppositionsparteien, die SPÖ ebenso wie die FPÖ, hatten durch die Rundfunkreform im Jahr 1966 Vorteile errungen. Das weiß natürlich auch Kreisky. Deshalb versuchte er in der Zeit der ÖVP-Alleinregie-rung nicht zuletzt auch in seiner Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrates ein vernünftiges Verhältnis zum ORF-Generalintendanten Bacher zu erreichen. Wie dieser Versuch ausging, bleibe beider persönliche Angelegenheit. Sicher dagegen ist, daß sich die SPÖ selbst und der ÖGB mit der Person Bachers ebensowenig wie mit der Reform des ORF abfinden wollen. Da die Reform gegen ihre Stimmen und die Bestellung Bachers gegen ihren Willen erfolgte, betrachten die SPÖ und der Gewerkschaftsbund die Entwicklung des ORF mit Mißtrauen, ja, auf Grund einiger Vorkommnisse innerhalb der ORF-Führung, sogar mit Haß. Hatte sich die Reform des ORF für die SPÖ insbesondere für Kreisky zwischen 1966 und 1970 zwar als günstig erwiesen, so müßte sich, auf einen längeren Zeitraum gesehen, die bisherige Form der Nachrichtengebung notwendigerweise nun für die ÖVP-Opposition günstig auswirken. Hier nun fallen Kreiskys persönliche Interessen mit den Interessen seiner Partei und des ÖGB zusammen. Nun wäre es naheliegend, daß die SPÖ und Kreisky klare Vorwürfe gegen die derzeitige Führung des ORF erheben, und auf Grund dieser Vorwürfe, wenn sie tatsächlich schwerwiegend sein sollten, die Ablöse der derzeitigen ORF-Führung fordern. Gegen ein derartiges offenes Vorgehen wäre nichts einzuwenden, und es käme lediglich darauf an, ob sie dafür die Mehrheit des Aufsichtsrates, aber auch die der öffentlichen Meinung erhielten,' das heißt, ob ihre Anklagen beweiskräftig genug wären, um derartige Konsequenzen nach sich zu ziehen. Ein solches Vorgehen erfolgt jedoch nicht. Kreisky versucht auf Umwegen sein Ziel zu erreichen, und hier ist Mißtrauen geboten. Die Formel von der Demokratisierung, eine Standardformel der Linken in ganz Europa, wird dazu verwendet, um zunächst einmal geänderte Machtverhältnisse zu schaffen.

Die Zusammensetzung des 22köpfl-gen Aufsichtsrates sieht derzeit so aus: sechs Bundesländervertreter gehören der ÖVP, drei der SPÖ an. Drei Mitglieder stellt die Sozialistische Partei, zwei die ÖVP und eines die FPÖ. Von den beiden Betriebsräten im Aufsichtsrat kann die ÖVP und die derzeitige ORF-Führung mit je einem rechnen. Das Verhältnis der parteipolitischen Zusammensetzung im Aufsichtrat steht also zehn zu sieben zugunsten der gegenwärtigen Führungsverhältnisse innerhalb des ORF. Dazu kommen nun die sogenannten VirUstimmen, um die der große Kampf ausgebrochen ist. Sie wurden 1967 vom Akademischen Senat, vom Kunstsenat, von den Religionsgemeinschaften, vom Bundessportbeirat und vom Ring der Volksbildungsvereine vorgeschlagen. Aus dem Dreiervorschlag, der Bundeskanzler Klaus von diesen Körperschaften zuging, nahm Klaus jeweils den Erstvorgeschlagenen. Zweifellos kein undemokratisches Vorgehen, wenn es auch kein Zufall war, daß vier dieser fünf Virilisten — der Vertreter der Volksbildung, Prof. Speiser, gehört der SPÖ an — der ÖVP nahestehen. Diese Virilisten sind auf drei Jahre gewählt und müssen neu bestellt werden. Gelingt es Kreisky, der als Bundeskanzler die Gesellschaftsrechte des ORF vertritt und die Virilisten ernennt, das Verhältnis umzukehren, so daß es statt 4:1 für die ÖVP 4:1 für die SPÖ steht, dann hat er im Aufsichtrat für die SPÖ die Parität erreicht und damit die Möglichkeit, die Führungsverhältnisse im ORF entscheidend mitzubestimmen. Da es auf Grund der Vorschläge der bisherigen Körperschaften nicht wahrscheinlich ist, daß die sozialistische Rechnung vollends aufgeht, spricht Kreisky von der Erweiterung des Forums, das die Wahl der Virilteten des ORF vornehmen soll. Das sieht zweifellos sehr demokratisch aus,, mag es sogar teilweise auch sein. Was aber daran verstimmt, ist die Absicht!, die dahintersteckt. Nicht bessere — gegen die Virilisten wurden bis zur Zeit keinerlei Vorwürfe erhoben —, sondern parteipolitisch anders gesinnte Leute werden gesucht. Hier aber beiginnt der Gefahrenbereich, wenn man die Öffentlichkeit nicht informiert. Kontrollen ja — es kann für einen Monopolbetrieb, der noch dazu das Meinungsmonopol auf einem bestimmten Gebiet innehat, nicht genug Kontrollen geben. Abschaffung von Mißständen, falls es solche gibt, ebenfalls ja. Nur von parteipolitischer Manipulation zu sprechen, um selbst parteipolitische Manipulation zu betreiben, fordert den Widerstand aller heraus, die von keiner Seite manipuliert werden wollen.

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