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Stefan George und Österreich

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Die hundertste Wiederkehr von Stefan Georges Geburtstag brachte zahlreiche Würdigungen des Dichters, aber nur wenige beschäftigten sich mit dem Verhältnis Georges zu Österreich. George hat auf seinen frühen Wanderungen durch Europa Österreich zwischen 1891 und 1894 viermal besucht und zum Teil längere Zeit in Wien verbracht. Österreich wurde für ihn das wichtigste Land im deutschen Sprachgebiet, in dem er ernsthaft Boden zu fassen suchte, und er bemüht sich gleichzeitig hier, ähnlich wie Hermann Bahr, die Kunst des französischen Symbolismus, der Verlaine und Mallarme zu vermitteln. Der rheinfränkische Dichter suchte immer in anderen Landschaften Mitarbeiter und Freunde. Ein Studienaufenthalt in Berlin, 1890, ließ ihn zwar den Weggefährten Carl August Klein finden, aber Berlin und sein wilhelminisch-preußischer Geist waren dem Dichter nicht genehm. Auch in München, das später sein bevorzugter Aufenthaltsort wurde, war er um 1891 noch nicht recht zu Hause. So war Wien, die alte Kaiserstadt, mit ihren Schlössern und Barockpalais, ihren Gassen und Kunstmuseen für George ein Anziehungspunkt.

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Die hundertste Wiederkehr von Stefan Georges Geburtstag brachte zahlreiche Würdigungen des Dichters, aber nur wenige beschäftigten sich mit dem Verhältnis Georges zu Österreich. George hat auf seinen frühen Wanderungen durch Europa Österreich zwischen 1891 und 1894 viermal besucht und zum Teil längere Zeit in Wien verbracht. Österreich wurde für ihn das wichtigste Land im deutschen Sprachgebiet, in dem er ernsthaft Boden zu fassen suchte, und er bemüht sich gleichzeitig hier, ähnlich wie Hermann Bahr, die Kunst des französischen Symbolismus, der Verlaine und Mallarme zu vermitteln. Der rheinfränkische Dichter suchte immer in anderen Landschaften Mitarbeiter und Freunde. Ein Studienaufenthalt in Berlin, 1890, ließ ihn zwar den Weggefährten Carl August Klein finden, aber Berlin und sein wilhelminisch-preußischer Geist waren dem Dichter nicht genehm. Auch in München, das später sein bevorzugter Aufenthaltsort wurde, war er um 1891 noch nicht recht zu Hause. So war Wien, die alte Kaiserstadt, mit ihren Schlössern und Barockpalais, ihren Gassen und Kunstmuseen für George ein Anziehungspunkt.

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Die Stationen des Georgeschen Weges sind oft durch neue Freundschaften markiert. Der erste längere Aufenthalt in Wien im Frühjahr 1891 muß jedoch recht einsam verlaufen sein, wie es im Motto seiner hier entstandenen „Pilgerfahrten” heißt, in dem er sich als „ein Fremdling fühlt, mit dem keiner trauerte”. Er verbrachte etwa die Zeit eines Universitätssemesters in Wien, ohne immatrikuliert zu sein, und kehrte im Oktober des gleichen Jahres wieder in die Hedmat zurück. Erst nach weiterem zweimonatigem Aufenthalt findet eine der wesentlichsten Begegnungen seines Lebens hier statt, die mit dem jungen Hugo von Hofmannsthal, und in ihm glaubt er den Gefährten gefunden zu haben, mit dem er gleiche dichterische und literarische Ziele verfolgen kann. Die Geschehnisse sind aus dem ersten Abschnitt des von Boehringer herausgegebenen Briefwechsels ziemlich genau bekannt. George muß in seiner ungestümen und besitzergreifenden Art den jungen Wiener Dichter beängstigt haben, und dieser distanziert sich nach einigen Wochen intensiver- Gemeinschaft. George sieht darin eine Beleidigung und spielt sogar mit dem Gedanken eines Duells. Er läßt sich immerhin durch die weltkluge Vermittlumgskunst von Hofmannsthals Vater besänftigen. Die Beziehung wandelt sich zu einer Arbeits- und Werkfreundschaft und beginnt mit der Gründung der „Blätter für die Kunst”, der esoterischen Zeitschrift Georges für einen geladenen Leserkreis in Wien im Juni 1892. Wie der Briefwechsel zeigt, läuft die Korrespondenz noch weitere 15 Jahre. Hofmannsthal zieht es vor, trotz größter Schätzung von Georges künstlerischen Qualitäten, in einem gewissen Abstand von Georges Zentrum, an der Peripherie des sich bildenden Kreises zu leben und so seine persönliche und künstlerische Eigenständigkeit zu behaupten. In seinen frühen Essays über die „Hirten- und Preisgedichte” und über das „Jahr der Seele” (Gespräch über Gedichte), hat er vielleicht das Schönste gesagt, was über George geschrieben wurde. Anderseits hat der rheinfränkische Dichter seinen Freunden immer wieder Hofmannsthals Begabung vorgehalten.

Dennoch verläuft die Entwicklung beider Dichter in entgegengesetzten Richtungen. George kommt nach schweren Krisen, über das Maximinerlebnis, zur Idee einer platonischen Akademie für die geistige und künstlerische Jugend, Hofmannsthal aber wendet sich nach Überwindung seiner Jugendperiode der großen Form des Dramas zu. Die literarischen Verbindungen und gelegentlichen Besuche laufen aber noch bis zum Jahre 1906 weiter, wie auch der Abdruck von Gedichten in späteren Folgen der „Blätter für die Kunst”. Auch nach der Trennung, die durch ein rein äußerliches Mißverständnis erfolgte, haben sie einander, wie die Zeugen berichten, gegenseitig geachtet. George pflegte zu sagen, daß Hofmannsthal der erste Mensch auf österreichischem Boden gewesen sei, der ihn verstanden habe und Hofmannsthal schreibt noch 1622 bei der Ankündigung der „Neuen Deutschen Beiträge” in lobenden Worten über ihn. Von den anderen österreichischen Menschen, die George in jenen Jahren kennenlemte, reichte wohl keiner an die Bedeutung Hofmannsthals heran, aber einige von ihnen wurden mit ihren Beiträgen in Georges Zeitschrift aufgenommen. Dabei kam die Vermittlung nicht immer durch Hofmannsthal zustande. Leopold Andrian fand seinen Weg ganz allein zu George, er sandte schon im Herbst 1893, vor seiner Bekanntschaft mit Hofmannsthal, den ,31ättern” Gedichte und besuchte George selbst im Februar 1894 in München. Es gab überhaupt nur zwei Begegnungen. Andrians Erzählung „DA Garten der Erkenntnis” ergriff den Dichter so, daß er sie nicht nur abschreiben ließ, sondern auch später mit Verwey ins Holländische übersetzte. George hat bis 1901 frühere Gedichte von Andrian in den Blättern veröffentlicht. Durch Hofmannsthal wurde er dann dem Musiker Clemens Fran- ckenstein vorgestellt, der einige Gedichte von George mit dessen Zustimmung vertonte, und auch Josy Graf Schönbom, ein anderer junger Freund Hofmannsthals, wurde zu George gesandt und hat sich mit ihm gut verstanden. Später kam noch August Meyer-Oehler hinzu, dessen Ephebengedichte in den „Blättern” abgedructot wurden.

George liebte es auch, entfernteren Freunden und Bekannten Gedichte zu widmen, so tragen einige Verse aus dem „Teppich des Lebens” die Namen Leopold Andrians und Clemens Franckensteins. Im „Jahr der Seele” gibt es Verse auf Hofmannsthal, die dort mit H. H. bezeichnet sind. Ob an ihn wirklich das Gedicht „Der Verworfene” gerichtet ist, wie es kürzlich in einem auch sonst nicht sehr korrekten Aufsatz von Heinz Politzer über George und Österreich behauptet wurde, ist stark zu bezweifeln, zumal die gleichzeitige Korrespondenz alles andere als „verwerfend” ist, und es erscheint noch abwegiger, nun die IJaßgedichte aus dem .„Siebenten Bing” auf Hofmannsthal zu beziehen, während neuere Forschung sie klar als an Frau Isi Dehmel gerichtet bestimmt hat. Gerade zur Zeit Ihrer Entstehung gibt es eine letzte Annäherung der Dichter in München 1903 während einer Schaffenskrise Hofmannsthals.

Lediglich das Gedicht „Den Brüdern”, das Andrian gewidmet ist, scheint, wie der Inhalt zeigt, die österreichischen Dichter im allgemeinen zu treffen, und vielleicht sogar Hof- mansthal im besonderen mit seinen Schlußzeilen von der „schwanken Schönheit Grabesmüder” und dem „farbenvollen Untergang”. George bekennt hier, daß er sich stärkeren Trieben zuigesellte, als es ihm nicht gelang, die Freunde an sich zu reißen, das heißt auf seine Bahn zu bringen.

George äußerte im Gespräch mit Edith Landmann, daß er im „Garten der Erkenntnis” tiefste Wesensverwandtschaft fand und der schöne Vierzeiler im Siebenten Ring zeugt davon: „Bozen. Erwins Schatten.” Stimmen hin durch die duftige nacht verschwommen

Der mauern zitterglanz tote der natur Entzücktes beben: sind sie nur entnommen

Mein Erwin, deiner zarten spur?

Das Hofmannsthal-Erlebnis mag ln George wie eine Fixierung nachgewirkt haben, denn er versucht immer wieder, jüngere Menschen ZUT Dichtung zu erziehen. Erst bei Gundolf scheint er viele Jahre später gefunden--zu’-haben, was Hcrfitiaflnšttial ihdi-Versage1 mußte: Jüngeriftm tifö Gefolgschaft, bis auch diese Freundschaft an den Realitäten des Lebens zerbrach. Später trat die Schweiz aul seinen Wanderungen an die Stelle Österreichs. Erst in den dreißiger Jahren bildete sich so etwas wir eine österreichische Gruppe des George- Kredses, die sich um Wolfram von den Steinen, einen Schweizer Historiker, der in Wien lehrte, scharte. Es gab auch einen eigenen Verlag, von Filip Schmidt-Dengler geleitet, in dem neben dem Verleger Robert Krottmeyer, Friedrich Schreyvogl und der Maler Victor Hammer u. a. Gedichte und Prosa veröffentlichten, und den Andrian zeitweilig als Lektor unterstützte. Dies dürfte George aber kaum noch zur Kenntnis gekommen sein, da er ja schon im Dezember 1933 starb. In diesem Zusammenhang müssen noch einige Worte zur Richtigstellung von Politzers Aufsatz ausgesprochen werden, der in „Wort und Wahrheit” (Heft 3, 1969) erschien. George hat zu Andrian keineswegs ein Verhältnis wie zu einem Kinde gehabt. Zur Korrespondenz müssen auch die C.-A.-Klein-Briefe gerechnet werden, da George sich gern hinter dem Namen des Freundes verbarg, wenn er Negatives sagen mußte; auch zu Hofmannsthal spricht er sich lobend über den „Garten” aus. Andrian war merkwürdig frühvollendet, ähnlich wie Hofmannsthal, dann aber, von schweren Nervankrisen geplagt, früh verstummt. Man muß aber Politzers abwertende Sätze zurüdeweisen, daß „Andrian schon als Jüngling vergreisend, sich in Diplomatie und Bürokratie rettete, um bei völlig versiegender Schaffenskraft als professioneller Österreicher zu enden”. Solch eine völlig falsche Bemerkung im Stil der „Demolierten Literatur” dem Jugendwerk des Karl Kraus, sollte einem renommierten Literarhistoriker nicht unterlaufen, da sich jedes Wort durch die Tatsachen widerlegen läßt.

Österreich bedeutete viel für den jungen George, aber es ist in seinem späteren Leben eine überwundene Stufe, und es bleibt ein zartes Erlebnis seiner Jugend, das in Erinnerung und Gespräch bis ins hohe Alter nachklingt.

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