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Steht es dafür?

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Am 15. Dezember jährt sich zum dritten Male der Tag, an dem Oesterreich zusammen mit Albanien und einem Dutzend anderer, seit langem antichambrierender Staaten in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen wurde. Die Wiederkehr dieses von der österreichischen Bevölkerung und Regierung damals so sehnsuchtsvoll erwarteten Tages legt den Gedanken nahe, ungeachtet der Kürze der seither verstrichenen Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, die man einfach in die Worte zusammenfassen kann: Ist es dafür gestanden? oder: Steht es dafür?

Es besteht kein Zweifel, daß das Wiedererscheinen Oesterreichs auf der weltpolitischen Bildfläche — nach einer 17jährigen Unterbrechung — nicht nur sein eigenes Selbstbewußtsein verstärkt haben dürfte, sondern auch anderen Ländern die Existenz und Existenznöt-wendigkeit Oesterreichs wieder in Erinnerung gerufen hat. Es ist auch als selbstverständlich anzunehmen, daß die Gelegenheit der bei der jährlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen sich bietenden persönlichen Kontakte zwischen Staatsmännern auch österreichischer-seits zur Anknüpfung neuer und zur Vertiefung bereits bestehender wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen, besonders mit dem ferneren Ausland, benützt worden ist. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß, rein stimmungsmäßig, das bescheidene Auftreten Oesterreichs — zum wohltuenden Linterschied von anderen neuen

Mitgliedern — in den Konferenzsälen und Wandelgängen des Glaspalastes am New-Yorker East River eine gewisse Sympathie für das schwer geprüfte und in seinem Wiederaufbau so erfolgreiche, Land erzeugt und zum, yejstätdnis für seine besondere Lage, vor allem im Gefolge der Ereignisse an seiner Ostgrenze, beigetragen hat. Es wird auch in dem nicht immer harmonischen Konzert der Staaten angenehm vermerkt worden sein, daß bei den seltenen Gelegenheiten, in denen Oesterreich seine Stimme erhoben hat, besonders in den Ansprachen seines Außenministers an die Generalversammlung, in den oft scheinbar nur dem Namen nach „vereinigten“ Nationen eine konziliante, zu Vernunft und Toleranz mahnende Stimme gehört werden konnte. Auch die aus Fremdenverkehrs- und Prestigegründen gleichermaßen willkommene Entscheidung, den Sitz des ständigen Sekretariates der Internationalen Atomenergieorganisation nach Wien zu legen, mag mit der Mitgliedschaft Oesterreichs in den Vereinten Nationen in Zusammenhang gebracht werden. Und es muß wohl als Erfolgsfaktor gezählt werden, daß Oesterreich in einige, allerdings nicht überragend wichtige Organe (Fachausschüsse des Wirtschafts- und Sozialrates, Ausschuß für Völkerrecht) gewählt wurde, freilich, wie — trotz der geheimen Wahl — Eingeweihte behaupten, oft mit den Stimmen der Volksdemokratien und des afro-asiatischen Blocks gegen die der fest zusammenhaltenden und zu allerlei Gegendiensten verpflichteten NATO-Staaten.

Schließlich ist noch zu erwähnen, daß in dem Stab der Konzeptsbeamten und des höheren Verwaltungsdienstes der Vereinten Nationen (1214 im August 1957) sich auch einige wenige, nämlich drei, Oesterreicher befinden, von denen freilich keinem politisch einflußreiche oder auch nur hierarchisch überragende Positionen eingeräumt wurden; prozentmäßig stellt sich die Zahl der Oesterreicher im ständigen Dienst des Sekretariates der Vereinten Nationen auf 0,25 (während der Nichtmitgliedstaat Schweiz mit 18 Beamten 1,81 Prozent der Posten füllt), obwohl der österreichische Beitrag zum Normalbudget der Organisation 0,35 Prozent (für 1959 aber bereits 0,43 Prozent) beträgt. Im Bereich der Sonderverwaltung der Technischen Hilfe waren von den Vereinten Nationen selbst, das heißt unter Außerachtlassung der Sonderorganisationen, am 1. April 1958 zehn österreichische Staatsbürger als Sachverständige verwendet, denen von den beiden benachbarten Nichtmitgliedstaaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, neun bzw. acht Staatsangehörige gegenüberstanden.

Immerhin sind alle diese Vorteile verschiedenster Art gewiß nicht niedrig einzuschätzen, auch wenn sie nicht in Schilling oder Dollar abgewogen werden können oder auch bei näheren Vergleichen einiges von ihrer beschränkten Bedeutung einbüßen.

Was haben nun diese Vorteile Oesterreich gekostet?

Hier kommt in erster Linie, wenngleich weder ausschlaggebend noch erschöpfend, der direkte, effektive Preis der Mitgliedschaft in Betracht, wie er sich in dem von der Generalversammlung alljährlich festgelegten — und ständig steigenden — Mitgliedsbeitrag zum Normalbudget der Vereinten Nationen äußert. Dieser Mitgliedsbeitrag stellt sich im Jahr 195 8 für Oesterreich auf 160.798 Dollar (1955: 16.052, 1956: 158.285, 1957: 158.238, 1955-1958: 493.373 Dollar oder 12,828.000 S); hierzu kommt noch der österreichische Zwangsbeitrag zum Reservefonds in der Höhe von 79.200 Dollar (2,059.200 Schilling).

Damit sind aber die in bar zu erbringenden Beitragsleistungen durchaus nicht erschöpft. Denn zu dem obligatorischen Mitgliedsbeitrag zum Normalbudget (und Reservefonds) kommt noch eine ganze Reihe mehr oder weniger freiwilliger Beiträge zu Sonderbudgets.

In Bedeutung und Dauer steht an erster Stelle der Beitrag zu dem Sonderbudget für das Amt für den Wiederaufbau von Korea: bisher hat Oesterreich insgesamt 179.474 Dollar (4,666.300 Schilling) beigetragen. An nächster Stelle kommt der österreichische Beitrag zu dem Sonderbudget für Technische Hilfe: 5 7.692 Dollar im Jahre 1958 (je 38.500 Dollar in den vorangegangenen drei, Jahren; 1955—1958; 173.192 Dollar'oder 4,503,000 S), von denen allerdings, ein Großteil den Sonderorganisationen zufließt, so daß den Vereinten Nationen selbst von Oesterreich 1958 nur 13.040 Dollar zukommen, und zwar in Schilling.

Unter den weiteren Beiträgen zu den Sonderbudgets ist zahlenmäßig am bedeutendsten derjenige, den Oesterreich für die Kosten der Einsatztruppe der Vereinten Nationen (UNEF, United Nations Emergency Force) zu leisten hat; er beträgt 1958 87.500 Dollar (1957: 52.883, 1957-1958: 140.383 Dollar oder 3,649.600 S). An nächster Stelle steht der Beitrag zum Kin-derhilfswerk der Vereinten Nationen mit 1,000.000 S (38.462 Dollar; ebensoviel 1957; in den Jahren 1955 und 1956 je 800.000 S oder 30.769 Dollar; 1955-1958: 3,600.000 S oder

1 3 8.462 Dollar). Dann kommt der Beitrag zum Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Refugee Emergency Fund) mit 6000 Dollar (156.000 S; ebensoviel 1957; in den Jahren 1955 und 1956 2200 bzw. 3000 Dollar; 1955-1958: 17.200 Dollar oder 447.200 S), welcher Beitrag natürlich nicht die in viele Millionen gehenden Aufwendungen für die in Oesterreich befindlichen Flüchtlinge umfaßt; und schließlich der Beitrag zum Hilfsfonds für die arabischen Flüchtlinge aus Palästina mit 1400 Dollar (36.400 S; 1955, 1956, 1957 je 700 Dollar oder 18.200 S; 1955-1958: 3500 Dollar oder 91.000 S).

Seit seiner Zulassung zu den Vereinten Nationen (1955) hat somit Oesterreich zu den verschiedenen Budgets der Organisation und ohne Berücksichtigung der Sonderorganisationen in Form von Zwangs- oder sogenannten freiwilligen Beiträgen nicht weniger als 1,224.784 Dollar oder 31,844.300 S in bar beigesteuert. (Ebenfalls unberücksichtigt bleiben hierbei, da es“sich eben nur um B'eiträge zu den Vereinten' Nationen selbst handelt, die Summen, die Oesterreich zu den autonomen Sonderorganisationen zu leisten hat und die sich bloß für das lahr 195 8 und bloß für die fünf größten Sonderorganisationen (Internationale Arbeitsorganisation, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, UNESCO, Internationale Organisation für Zivilluftfahrt, Weltgesundheitsorganisation) auf die ansehnliche Summe von 153.142 Dollar (3,981.700 S), also fast auf den gleichen Betrag wie den ordentlichen Mitgliedsbeitrag zu den Vereinten Nationen selbst, stellen.)

Freilich darf man, wie schon erwähnt, das rein materielle Element der direkten oder indirekten Kosten nicht überschätzen, zumal sich jedem objektiven Beobachter die Erkenntnis aufdrängt, daß Oesterreich in seiner ganz besonderen, einmaligen Lage für seine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen noch einen anderen — vielleicht sogar höheren — Preis zahlen muß als den, der sich in Dollar und Schilling ausdrücken läßt.

Als neutraler, seine Neutralität wirklich ernst nehmender Staat kann nämlich Oesterreich keinem der zahlreichen, manchmal einander überschneidenden Blocks angehören, die sich in den Vereinten Nationen ausgebildet haben und deren einem oder anderem in irgendeiner Form alle übrigen Mitgliedsstaaten angehören. Mit dieser zwangsläufigen Isolierung muß Oesterreich darauf verzichten, in dem diplomatischen „Kuhhandel“ Geschäftspartner zu werden.

Vor allem aber ist Oesterreich ständig der Gefahr ausgesetzt, bei allen politischen und vielen unpolitischen Abstimmungen andere Staaten,' besonders die in der Minderheit verbleibenden, zu verstimmen und sich den Vorwurf mangelnder Neutralität zuzuziehen. Wie immer man stimmt, verstimmt man. Und auch die gelegentlich geübte Flucht in die Stimmenthaltung birgt keine Rettung; denn auch sie wird, und nicht nur von den bei der Abstimmung unterlegenen Staaten, als Stellungnahme oder als Mangel der gewünschten Stellungnahme empfunden.

Der beste Beweis für die durch seine besondere politische Lage, seine Neutralität und seine daraus sich zwangsläufig ergebende Nichtzugehörigkeit zu irgendeinem Block oder zu einer Mächtegruppe bedingte Isolierung, die jede im Verhandlungsweg zu erreichende Unterstützung weitgehend illusorisch macht, besteht wohl darin, daß Oesterreich darauf verzichten muß, die ihm sentimental und juristisch am nächsten liegende ungelöste politische Frage — Südtirol — vor dem Forum der Vereinten Nationen aufzuwerfen. So bedauerlich dies sein mag, hat Oesterreich doch zweifellos recht getan und weise gehandelt Südtirol nicht vor den Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen„ würde es sich doch sofort eine.mmassiven Bleck von Staaten gegenübersehen, die Italien als NATO-Partner oder aber aus der Ideologie der „Latinität“ unterstützen würden, ja, in einer politischen Organisation, wie es die Vereinten Nationen nun einmal sind, gleichgültig darum, wo das Recht liegt, unterstützen müßten, während es selbst bestenfalls auf die fragwürdige Hilfe jener Staaten rechnen könnte, die Südtirol nur zu einem neuen Vorwand für ihren Kampf zugunsten des Ideals des Selbstbestimmungsrechtes — besonders bei den anderen! — nehmen und vor allem als Gelegenheit zu Angriffen auf den Jmperialismus europäischer Staaten verwenden würden, die Oesterreich immer noch näher stehen als etwa Indonesien.

Sind somit die politischen Vorteile, die Oesterreich aus seiner Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ziehen kann, beschränkt und werden sie durch die Kosten und Nachteile aufgewogen oder in der Waagschale gehalten, die aus der aktiven Teilnahme Oesterreichs an der weltpolitischen Organisation entspringen, so wird man wieder einmal die Besonnenheit und Zurückhaltung eines anderen neutralen Staates in ähnlicher Lageder Schweiz zu schätzen wissen, die es bewußt vorgezogen hat, zwar auf technischen, unpolitischen Gebieten mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten (Internationaler Gerichtshof, Kontrolle des Rauschgifthandels, Technische Hilfe, Kinder-hilfswerk, Flüchtlingsfürsorge usw.) und allen im wesentlichen unpolitischen Sonderorganisationen anzugehören, aber doch dem politischen Treiben der Weltorganisation fernzubleiben und es — wie Oesterreich vor seiner Zulassung in die Vereinten Nationen — nur durch einen Beobachter zu verfolgen. Damit wußte die Schweiz alle Vorteile mit der Vermeidung so mancher Nachteile zu verbinden und ihre unerschütterliche und unerschütterte Stellung als neutraler Staat mit dem allgemeinen Respekt für seine humanitäre und kulturelle Sendung und Mittlerrolle zu wahren.

Jedenfalls bleibt die Frage offen, ob es für Oesterreich dafürgestanden hat, Vollmitglied der Vereinten Nationen zu werden, es wäre denn, daß man ihre Bejahung oder Verneinung als ideologische Rückendeckung verwendet, um einem allgemeinen Attachement für die Friedensaufgabe der Vereinten Nationen oder der Bejahung internationaler Zusammenarbeit Ausdruck zu geben.

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