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Stephan von Sarkotic

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Überschattet vom drängenden Geschehen der Zeit verstrich, von der breiteren Öffentlichkeit unbeachtet, kürzlich der Oktobertag, an dem vor zehn Jahren der letzte Landeschef von Bosnien-Herzegowina, Generaloberst Stephan Freih. Sarkotic von Lovßen, in Wien zu Grabe getragen wurde. Er hatte in seinem letzten Willen ein einfaches Begräbnis dritter Klasse angeordnet und bloß die Teilnahme etlicher Männer aus seinem engsten Freundes- und Kameradenkreis erbeten. Aber an jenem grauen I lerbsttag hatte ihm, einem der letzten Paladine des ehemaligen Donaureiches, auf dem Wiener Zentralfriedhof eine große Schar von Trauernden das Geleite gegeben, in Wien lebende Kroaten, altösterreichische Würdenträger und Soldaten der alten Armee. Prunklos war dieses Begräbnis, doch hatte es die Feierlichkeit eines geschichtlichen Epilogs, der das Leben eines bedeutenden Mannes und wohl des größten Kroaten seiner Epoche ehrfürchtig abschloß. Sein Elternhaus, in dem Stephan Sarkotid, Sohn einer alten Soldatenfamilie, am 4. Oktober 1858 geboren worden war, batte in der Lika, dem Örtchen Sinac gestanden, auf jenem blutgedüngten Boden am Tore des Balkans, auf dem Generationen seiner Voreltern für Kaiser und Reich und für die Sicherheit Europas Wache gestanden waren.

Stephan von Sarkotid war bestimmt, noch einmal in sich die geschichtliche Rolle seines Grenzvolkes zu erfüllen. Als er im zweiten Jahr des ersten Weltkrieges als militärischer Landeschef an die oberste Spitze der bosnisch-herzegowinischen Landesverwaltung berufen wurde, da stand bereits allen, die sehen wollten, vor Augen, daß im Raume der südslawischen Ländergebiete der Monarchie der Schwerpunkt der künftigen Entscheidungen lag. Nicht die Tschechen waren die Zunge an der Waage, sondern die Slowenen, Kroaten, Serben, vor denen der Krieg und die Feindpropaganda die Lockungen eines selbständigen nationalen Staates aufgerissen hatten. Jenseits der Save und Drina stand der sprachverwandte Nachbar, der längst die südslawischen Grenzgebiete der Monarchie, namentlich Bosniens, durch Agenten, Ge- heimgeselllschaften und Verschwörungen in-surgiert hatte. Sein stärkstes Argument war immer der Hinweis auf die hoffnungslose politische Zerrissenheit der österreichischungarischen Südslawen gewesen, ihre Zerteilung zwischen Österreich und Ungarn, die ihnen einen gestaltenden politischen Einfluß verwehrte. Innerstaatliche Reformkonzepte, welche die österreichische politische Literatur und die ernstesten Zukunftspläne des Thronfolgers Franz Ferdinand beschäftigt hatten, waren an dem unerbittlichen Einspruch der ungarischen Regierungen gescheitert. Und dennoch enthielten sie die einzige sieghafte Idee, die gegen die nationalistische Erregung der südslawischen Völker zu schützen vermochte.

In das vom Krieg umtoste und von inneren politischen und religiösen Konflikten durchwetterte Bosnien-Herzegowina kam Stephan Sarkotic, der hier jeden Baum, jeden Stein und wie keiner so gut die Psyche dieser Menschen kannte, um deren Seele er hier als oberster Chef der militärischen und zivilen Behörden ringen sollte. Hier auf diesem vulkanischen Boden bedurfte es eines besonderen Geschickes und Taktgefühles, die starken politischen, nationalen Gegensätze, zu denen sich die religiösen zwischen Orthodoxen und Katholiken, zwischen Christen und Mohammedaner gesellten, auszugleichen. Das große Kunststück, das Vertrauen dieser heterogenen Elemente zu gewinnen, gelang Sarkotid schon nach erstaunlich kurzer Zeit; er vermochte sogar, was keinem seiner Vorgänger gelingen wollte, ihre Zusammenarbeit zu sichern. Die bosnischen Serben, in ihren großserbischen Bestrebungen verfangen, waren ihm als prinzipielle Widersacher begegnet, er entwaffnete sie durch seine Sorge und Bemühung für die Gesamtbevölkerung ohne Unterschied der Nationalität und des Glaubens; er besuchte selbst die verlassensten Dörfer, man sagte von ihm, er habe in jede Berghütte geblickt, um sich von den Lebensbedingungen auch der letzten der ihm anvertrauten Menchen zu überzeugen. Er säuberte die Verwaltung von einem überetän- digen Bürokratismus und von Nichtstuern, sorgte für eine strenge Kontrolle und gerechte Verteilung der Lebensmittel; trotz Kriegszeit gelang es ihm, das Schulwesen zu heben. Mit wachsendem Respekt verfolgte die Bevölkerung, Freund und Feind, diese zielbewußte Tätigkeit und die unparteiische Sauberkeit seiner Amtsführung. Von Sarkotic stammte damals das Wort: „Nur derjenige kann heute ein Land regieren, der imstande ist, 16 Stunden täglich zu arbeiten.“ Er handelte danach. Er hätte sonst ah Oberkommandierender aller Truppen in Bosnien, Herzegowina und Dalmatien während des Krieges und den gleichzeitigen ungeheuren Aufgaben der Verwaltung dieser vom Krieg zeitweilig betroffenen Länder nicht nachkommen können. Und dennoch bleibt es kaum verständlich, daß dieser Mann, der sich in die Arbeit für die Landesverwaltung förmlich eingrub, zugleich die oberste Führung der militärischen Operationen innehatte, die im Jänner 1916 in der Eroberung der mächtigen Felsenfestung des Lovöen gipfelten.

Sarajewo war während des Krieges eine der ‘ wichtigsten politischen Wetterwarten. Sie registrierte, je schwerer sich das Ringen für die Mittelmächte gestaltete, um so deutlicher die Verschärfung der jugoslawischen Bewegung, den beginnenden Abfall der slowenischen Führer, die Zersetzung der politischen Kräfte in Kroatien in bedrohlichen Kurven. Doch schien der Thronwechsel und die Aufnahme, die Sarkotic für seine Darlegungen bei dem jungen Kaiser fand, eine neue Situation vorzubereiten. Er hatte schrankenlos die Dinge beim Namen genannt: die staatsrechtliche Vereinigung der südslawischen Ländergebiete im Rahmen der Monarchie wird zur Bestandfrage des Reiches! Das Programm fand das Verständnis des jungen Herrschers, aber den Widerspruch der ungarischen Regierung, und dieser änderte sich auch nicht, als in dem Kronrat vom 30. Mai 1918 der kroatische Banus Mihajlovich sich mit Sarkotic in dem gleichen nachdrücklichen Vorschlag vereinigte. Es war knapp vor Torschluß, als Sarkotic für den 3. September eine gemeinsame Besprechung mit den Ministerpräsiden- ten Hussarek und Wekerle in Budapest erreichte. Auch diesmal schlug der ungarische Gesprächspartner alle Mahnungen und Warnungen in den Wind. Er werde nochmals die Frage studieren —, in sechs Wochen werde er Bescheid geben. Genau nach diesen sechs Wochen, am 18. Oktober, tagte in Agram der „Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben“, um feierlich zu verkünden, er fordere „die Vereinigung des gesamten Volkes der Slowenen, Kroaten und Serben auf dessen gesamtem ethnographischem Territorium ohne Rücksicht auf irgendwelche provinzielle und staatliche Grenzen, in denen es heute lebt, in einem einheitlichen, vollkommen souveränen Staate“. Gleichzeitig wurde das Manifest, mit dem Kaiser Karl die Völker der Monarchie zur Mitarbeit an der Neuformung der Monarchie zu einem Bundesstaat nationaler Einzelstaaten aufrief, abgelehnt.

Die Kugel war aus dem Lauf. An den Folgen des geschehenen Unglücks haben heute Europa und vor allem die damals nächstbeteiligten Nationen zu tragen. — Ringsum zerbrachen im Süden der Monarchie schon alle Bande der Ordnung, als Sarkotic in Sarajevo noch immer den ganzen Staatsapparat beisammen hielt. Auch dort wurde ein Nationalrat geschaffen. Aber er bezeugte dem bisherigen Landeschef seinen Dank, nahm ihn nach dem Zusammenbruch unter seinen Schutz und ließ ihn in einem Sonderzug, unter starkem Schutzgeleit, nach Agram abreisen. Der bosnische setzte seine Befreiung durch, als man ihn dort gefangennahm.

Es war ein müder, von den schicksalsschweren Ereignissen der letzten Zeit hart mitgenommener Mann, der zu seiner Familie nach Wien zurückkehrte. An dem Schicksal seines Volkes, für das bald di Zeiten bitterster Enttäuschungen kamen, und an dem Ende des Reiches, dem seine treue Liebe und sein Wirken gehört hatten, trug er schwer. Sein starker katholischer Glaube, eine tiefe religiöse Innerlichkeit und wohl auch das Bewußtsein vorbehaltlos erfüllter, das eigene Selbst schenkender Pflicht hielten ihn aufrecht. Nun, da die unglückliche Entwicklung des neuen großen Königreiches der Karageorgjewitsche, rnd in dessen Mitte das Zerrinnen aller kroatischen Träume, in allzu später Erkenntnis seine Richtweisungen und Mahnungen bestätigte, wuchs das Bild Stephan von Sarkotic’ vor seinem Volke zu wahrer Größe. In der hoffnungslosen Verlassenheit, in die sich das kroatische Volk gestoßen sah, umrankten seine Gestalt die Verehrung der Besten und manche illusionistische Erwartung. Stjepan Radic und sein Nachfolger Dr. Macek suchten seinen Rat, ohne ihn zu verstehen, als er empfahl, daß die kroatische Bauernpartei sich zur gesammelten Kraft der ganzen Volksgemeinschaft wandeln müsse. In Belgrad fürchtete man ihn; in seiner Wiener Wahlheimat mußte er zuweilen gegen Anschläge geschützt werden. Für die Wiener war der Greis in schlohweißen Haaren, der mit seiner soldatischen Haltung und der Adlernase im scharfkantigen Antlitz wie eine legendäre Erscheinung aus den Heldengesängen seines Volkes erschien, eine volkstümliche Persönlichkeit geworden. Mit seinem Tode schied von dieser Welt eine der Persönlichkeiten, deren Wesen in vielen Generationen der alten Monarchie ihr Gepräge gegeben hatte, Verkörperungen der Ideen, die den alten Völkerstaat groß und zu einer tragenden Hauptrolle in dem Staats- und Friedenssystem des europäischen Festlandes gemacht hatten.

Stephan von Sarkotic war ein Likauer gewesen, ein Grenzer, nicht nur der Geburt nach, ein Grenzer auch im symbolischen Sinne des Wortes, da er an der Wasserscheide zweier Zeitalter gestanden, ein altersgrauer Wegweiser, ein Verkünder und Prophet.

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