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Stepinac

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Der Name wird sich fortan in die Geschichte des unglücklichen Landes einheften, schicksalshaft, wie der Name Stjepan Radic. Jugoslawien kann nicht zur Ruhe kommen. In kurzen Abständen wird es von den schweren Stößen vulkanischer Kräfte erschüttert, die nie ein Ende, irnme' wieder den Anfang neuen Unheils ankündigen. Das Verdikt, das am 11. Oktober in Agram von einem Gerichtshof über Erz-bischof Dr. Alois Stepinac gefällt wurde und ihn zu sechzehn Jahren Zwangsarbeit und darüber hinaus zu fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Rechte verurteilte, ist deshalb so erschütternd, weil es dokumentiert, daß die Schrecken des siebenjährigen blutigen Ringens nicht vermocht haben, überall die Mächtigen Friedensliebe und Gerechtigkeit zu lehren vielmehr Gewalt und Grausamkeit auch auf weltanschaulicher Ebene in einem einseitig geführten Bürgerkrieg ihre Fortsetzung finden können Das Agramer Urteil gilt einem Manne, der seint Pflicht, inmitten eines Wirbelsturme:, der Leidenschaften und der Verbrechen, seinem Volke ein strenger Mahner und sittlicher Wegweiser zu sein, ohne Rücksicht auf Gunst und Ungunst gegen links und rechts erfüllte. Aber dieser Prozeß galt auch der Institution, die der nun in Sträflingskleidern zur Zwangsarbeit wandernde Erzbischof bisher als oberster Würdenträger der katholischen Kirche auf jugoslawischem Boden verkörperte.

Man muß die letzten zwei Jahrzehnte jugoslawischer Geschichte zurückgehen, um Sinn und Widersinn des jetzigen Agramer Geschehnisses sich ganz vor Augen zu stellen. Als 1924 der gewesen Arkerbauschüler A\oh Stepinac das väterliche Gut in Krasic bei Agram verließ, um in Rom philosophische und theologische Studien zu beginnen, lag ein bitteres Erlebnis hinter ihm. Der Sechsundzwanzigjährige war einer jener jungen Menschen gewesen, die während des ersten Weltkrieges, von der jugoslawischen Idee, der staatlichen Einigung der Kroaten und Serben erfüllt, als Legionär gegen die Mittelmächte an der Salonikifront gedient hatte. Der ah Offizier Heimgekehrte hatte bald die Erfahrung hinnehmen müssen, daß die jugoslawische Staatsidee auf den zentralistischen Herr-schaftswUlen der serbischen Traditions-politiker gestoßen war und das öffentliche Leben des neuen Staates von fast hoffnungsloser Verwirrung erfüllt war. Bei seiner Heimkunft als neugeweihter Priester im Jahre 1930 fand er seine Heimat unter der zentralistischen Militärdiktatur Ziv-kovic'. zerfleischt in inneren Kämpfen, nach den Mordszenen des Jahres 1928 in der Skuptschina Serben- und Kro-itentum weiter voneinander getrennt als je Und doch konnte es keine andere Lösung geben als die Versöhnung, einen gerechten Ausgleich, als eine Wiederherstellung der verletzten staatsbürgerlichen und religiösen Freiheiten. Papst Pius XL, dieser große Papst und vielerfahrene glänzende Kenner der europäischen Politik, ersah m dem hochbegabten jungen Kronen, der sich an der Gregorianischen Universität zwei Doktorhüte geholt hatte; den rechten Mann für eine Situition, in der ein überzeugter Wille zum jugoslawischen Staate di- Loyalität der kirchlichen Würdenträger außer Zweifel stellen sollte. So wurde Dr. Stepinac schon 1931 Assistent und drei Jahre später Koadjutor des Agramer Erzbischofs Dr. Bauer, dessen scharfumrissene Persönlichkeit noch aus der österreichisch-ungarischen Monarchie herüberragte, in Belgrad suspekt und schließlich als Feind behandelt. Es war eine Entlastung der Kirche von alten politischen Residuen, als nach dem Tode des Erzbischofs sein bisheriger Koadjutor an die Spitze des Episkopats in

Jugoslawien trat, ein Bejaher des neuen Staates, Anhänger seiner föderativen Gestaltung, ein selbständiger Geist, der nicht der Kandidat einer politischen Gruppe gewesen war und auch jetzt nicht, wie er bald bewies, ein Diener der Parteipolitik, kein Teilhaber an den inneren Kämpfen. Der neue Erzbischof sollte bald Gelegenheit haben, auch zu dem neuen Machthaber, der schon über Mitteleuropa das Hakenkreuz aufgepflanzt hatte, Stellung zu nehmen. In Scharen kamen Flüchtlinge aus Deutschland über die Grenze, aus politischen und namentlich rassischen Gründen Verfolgte. Das Elend war groß unter ihnen. Da war es der katholische Erzbischof von Agram, der sich dieser beklagenswerten Juden und zumeist protestantischen Sozialisten und Kommunisten annahm, mit seiner ganzen Autorität zur Hilfeleistung für sie aufrief, freigebig mit seinem Beispiel voranging und als Präsident an die Spitze der von ihm gegründeten Vereinigung zur Betreuung der Flüchtlinge trat.

Auf diese scharf profilierte Persönlichkeit eines Kirchenfürsten traf 1941 die von den Deutschen patronisierte Ustasa-Diktatur. Sie hatte die Macht. Es war nicht die Sache der Kirche, den Kampf mit ihr auszutragen. Die Kirche mußte sich den gegebenen Tatsachen fügen, aber sie schwieg nicht zu den Sünden der Diktatur. In seinen Anweisungen an den Klerus, von der Kanzel, in Hirtenbriefen nahm der Erzbischof freimütig Stellung, verurteilte öffentlich die Ausschreitungen der Ustasa und ließ sich in dieser kritischen Haltung auch dadurch nicht beirren, daß die Pavelic-Regierung den konfessionellen Schulen Freiheit gab, in Sarajevo die Gründung einer theologischer. Fakultät zuließ und überhaupt eine wohlwollende Haltung gegenüber der Kirche manifestierte. Er hatte zuviel von den Wechselfällen des politischen Getriebes gesehen. Er war ein Kroate, aber er war nicht der Paneimann der Regierung. Diese wußte es und klagte darüber.

„Wir sind in der T age“ — schrieb kürzlich angesichts des Agramer Prozesses „Ii Quotidiano“ das römische Organ der Katholischen Aktion Italiens, — „zwei entscheidende Gegenargumente anzuführen. Im Mai 1943 mußte Monsignore Stepinac sich nach Rom begeben. Bei dieser Gelegenheit ließ der Ustasa - Staatschef Ante Pavelic den Heiligen Vater wissen, der E z-bischof müsse dazu gebracht werden, seine feindselige Haltung gegenüber der Regierung aufzugeben Im Dezember desselben Jahres erklärte der damalige Agramer Innenminister in einem Gespräch mit dem apostolischen Visitator in Jugoslawien, dem Abt Marcone, daß Erzbischof Stepinac die Ustasa Regierung bisher mit keinem Wort anerkannt habe Es fehlt auch nicht an anderen Dokumenten, die die absolute Unabhängigkeit des Erzbischofs gegenüber der Pavelic-Regierung bestätigen.“ — Es war doch wohl auch ein Ausdruck dieses Verhältnisse, daß der Vatikan der kroatischen Diktatur die staatliche Anerkennung verweigerte, also auch die diplomatischen Beziehungen mit der Agramer Regierung nicht aufnahm und sich damit begnügte, den Benediktinerabt Marcone als kirchlichen Visitator zu senden.

Die Tatsachen liegen zu klar und sind zu öffentlich bekannt als daß die Urteils-findung gegen Erzbischof Dr. Stepinac darüber hätte hinwegschreiten dürfen Bezeichnend ist, daß seine Verhaftung sofort nach der Verlesung des jüngsten gemeinsamen Hirtenbriefes der jugoslawischen Bischöfe erfolgte, in dem es unter anderem hieß: „Man gebe dem schönen Wort von der Gewissensfreiheit einen praktischen Sinn. Wenn man auf der einen Seite den Atheismus und den Materialismus sich frei entwickeln läßt, so mag man auch uns volle Freiheit geben, die Wahrheit zu verkünden, die von Gott kommt und zu Gott führt.“ Mit demselben Freimut, mit dem er den Exzessen der Ustasa entgegengetreten war, erhob sich der Erzbischof an der Spitze des jugoslawischen Episkopates auch gegen den blutigen Terror ihrer siegreichen Gegner. Die Anklage bezichtigte den Kirchenfürster als Kollaborateur der Pavelic-Diktatur und der Ustasa gegen den jugoslawischen Staat, beschuldigte ihn der Verschleppung der Archive, die er gegen Zerstörung pflichtgemäß geschützt hatte und warf ihm, um auch die Stimmung der Orthodoxie gegen ihn zu mobilisieren, illegale Konversionspropaganda vor.

Es wird berichtet, der Kirchenfürst habe sich in würdiger Haltung verantwortet, in unerschütterlicher Ruhe mit einem: „Mein

Gewissen ist rein.“ Was die blutbefleckte Gestapo Himmlers gegen einen Bischof Galen nicht gewagt hatte, das wagte man hier. Das Schicksal des Erzbischofs stand seit seiner Verhaftung fest. Er hatte nichts anderes zu erwarten, als diesen Urteilspruch, der härter, unbarmherziger ist als ein Todesurteil, und Schrecken zu verbreiten bestimmt ist. Gibt es keine Rettung für ihn, so wird der Acht-undvierzigjährige die irdische Freiheit nicht mehr erleben. Zu den Märtyrern, die seit vier Jahren aus allen Diözesen Jugoslawiens zu langem Zuge sich gesellt haben, wird ein Erzbischof treten.

Wird der Plan gelungen sein, einen Pfeiler der katholischen Kirche und der christlichen abendländischen Kultur in den ßalkan-ländern umzustürzen? Man kann nicht daran zweifeln, daß in Jugoslawien eine Religionsverfolgung im Gange ist. In ihr gibt es zeitliche Triumphe. Dauernde nie.

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