Eine Arbeitsgemeinschaft katholischer und evangelischer Christen. hat im Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, und im Tübinger Furche-Verlag je eine katholische und evangelische sowie eine gemeinschaftliche Reihe von Zeugnissen der kämpfenden Kirche in Deutschland aus der Zeit von 1933 bis 1945 herausgegeben. Aus der katholischen Reihe sei an dieser Stelle die Schrift „Schlaglichter“ (herausgegeben von Dr. Konrad Hofmann) genannt, die eine Auswahl von Belegen und Bildern aus dem Kampf des nationalsozialistischen Regimes gegen die katholische Kirche enthält. In 16 Aufsätzen wird an typischen Beispielen das erbitterte Ringen dargestellt, das die nationalsozialistische Weltanschauung gegen das christliche Erbe mit dem offenkundigen Ziel geführt hat, jede Form der christlichen Gefolgschaft endgültig aus dem deutschen Menschenbild und Kulturbesitz auszulöschen.
Ob es sich um den Kampf gegen das katholische Schrifttum und die Verfolgung katholischer Schriftsteller handelt oder um den Leidensweg der katholischen Jugendbewegung oder um Gottesdienste in den Gefangenen- und Konzentrationslagern oder um den Feldzug des Nationalsozialismus gegen das Kreuz und andere christliche Symbole in der Schule oder um Justizmorde durch das Volksgericht: in allen diesen Bereichen wird das Martyrium sichtbar, das die Kirche nicht nur für die unbeirrte Verteidigung des christlichen Glaubens erlitten hat, sondern auch für die Bewahrung menschlicher Freiheit und Würde. Besonders hervorgehoben zu werden verdient der Bericht von Leopold Masounabe, in dem er zeigt, wie die französischen Christen, die als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschickt worden waren, Verständnis und Hilfe bei ihren Glaubensgenossen in Deutschland gefunden haben. Über die Grenzen der Nationen hinweg hat christliche Nächstenliebe triumphiert, die sich besonders in jenen Fällen bewährte, wo es galt, die katholischen Priester, die, als Arbeiter getarnt, nach Deutschland gekommen waren, um ihren Landsleuten heimlich als Seelsorger unter ständiger Lebensgefahr zu dienen, vor dem Zugriff der Gestapo zu bewahren.
Für uns Österreicher ist von besonderem Interesse das Martyrium des Schriftstellers Friedrich Ritter von Lama, der einem alten österreichischen und spanischen Geschlecht entstammt. Je mehr der Nationalsozialismus sich durch Wort und Schrift bemühte, den deutschen Menschen ganz auf das Diesseits „auszurichten“, war es Lamas besonderes Anliegen seit 1926, in verschiedenen Werken über zeitgenössische Mystiker die Wirklichkeit und Macht der übernatürlichen Welt aufzuzeigen, wodurch er sich bei der Gestapo verdächtig machte. Auch hatte er sich bereits in den zwanziger Jahren als Redner gegen Hitler und sein Programm ausgesprochen. Nach mehreren Verhaftungen durch die Gestapo und mehrmaliger Haft im Gefängnis und Konzentrationslager ist er schließlich zuletzt nach dreiwöchiger Haft im Gefängnis wegen Abhörens des Vatikansenders „an Herzschwäche ruhig entschlafen“, eine Angabe, die sicherlich nicht der Wahrheit entspricht, zumal sein Sarg unter strengem Verschluß stand.
Besonders bemerkenswert ist in diesem Heft der Bericht von Josef Joos über die geplante „Reichskirche", die nach dem Kriege die Aufgabe haben sollte, alle anderen Religionsgemeinschaften zu beseitigen, vor allem aber das Christentum mit Stumpf und Stiel auszurotten. In 30 Programmpunkten wird dargelegt, wie an Stelle der Religion des christlichen Kreuzes die politische Religion des Hakenkreuzes, das heißt die Vergötterung Hitlers und die Anbetung seines Staates, als der einzige und allgemeine Kult für das deutsche Volk treten sollte. Als aber der katholische Pfarrer Josef Reu land gelegentlich seiner Gemeinde Greimerath (Rheinland) davon Mitteilung machte, wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Zersetzung des Volkes und Begünstigung des Feindes" vom Volksgericht zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Beim Herannahen des Feindes wurde er von der Gestapo durch einen Genickschuß „liquidiert“. Und dennoch lebt er noch heute, weil durch Gottes wunderbare Fügung der Schuß des aufgeregten Schergen nicht tödlich war.
Unvergeßlich bleiben jedem Leser dieses Heftes die letzten Briefe, die Priester und bekenntnistreue Christen wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung an ihre Angehörigen oder Gemeinden geschrieben haben. In diesen Briefen findet sich kaum ein Wort der Verbitterung und der Anklage über die ungerechte Todesstrafe, über ihnen liegt vielmehr der Morgenglanz der Ewigkeit und das Leuchten einer himmlischen Erwartung, vor der der Tod seinen Stachel und das Henkerbeil allen Schrecken verloren hat.
Von den vorläufigen zwei Heften der gemeinschaftlichen Reihe steht im Vordergrund unseres Interesses das Heft „Sieger in Fesseln“, in dem verschiedene katholische und evangelische Zeugnisse über das religiöse Leben in Gefängnis und Konzentrationslager gesammelt sind (herausgegeben von Konrad Hofmann, Reinhold Schneider und Erik Wolf). Diese Bekenntnisse aus den beiden Konfessionen sind ein beglückender Beweis dafür, wie in den Zeiten höchster Bedrängnis des Christentums das Bewußtsein vom gemeinsamen Glaubensbesitz über alle sonstigen Verschiedenheiten lebendig wird. In den Perioden solcher Drangsal wird, wie der bekannte Dichter und Schriftsteller Reinhold Schneider in seinem Geleitwort sagt, die Krypta sichtbar, die den geteilten Kirchenraum trägt: der eine heilige Raum, dem alle verpflichtet sind. Über die besonderen Bekenntnisse hinweg wird eine Einheit über alles Begreifen hinaus wirklich: „das Übermächtigwerden“ von Christus, da Verlangen zu sterben in Ihm und dieses Sterben selbst. Die Berichte vermeiden es bewußt, die tierische Grausamkeit eines entfesselten Macht- und Blutrausches und die entsetzlichen Schrecken und furchtbaren
Greuel einer losgelassenen Hölle ausführlich zu schildern. Es geht den Berichterstattern vielmehr darum, zu zeigen, wie ich mitten im Abgrund dämonischer Finsternis plötzlich und für die Bekenner selbst überwältigend der Abgrund göttlicher Wunder: die Kraft zum Bekennermut und zur dienenden Liebe, ja zur Feindesliebe auftut. Inmitten des Tobens teuflischer Gewalten erschallt der Lobgesang, ähnlich wie ihn Paulus und Silas im Gefängnis von Philippi angestimmt haben, der Lobgesang auf Christus, der in der Welt des Satans seine Gemeinde baut, dort, wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, oder wo ein einzelner in grauenvoller Einsamkeit »einer Einzelzelle oder Dunkelhaft die Verheißung des Herrn erfährt: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Besonders ergreifend wirkt der Bericht von Reinhold Friedrichs über die kirchengeschichtlich wohl einzigartige Dachauer Priesterweihe des sterbenskranken Diakons Karl Leisner, der heimlich von dem französischen Bischof Piquet zum Priester geweiht worden ist. Nicht weniger erschütternd ist das Schicksal des evangelischen Theologiedozenten Dietrich Bon- h o e f f e r, der das illegale Predigerseminar der bekennenden Kirche bis zu seiner Auflösung durch die Gestapo leitete. Ohne Umschweife hat er seinen Peinigern bekannt, daß er von jeher durch seine christliche Überzeugung ein Feind des Nationalsozialismus gewesen sei. Knapp vor Ein1 treffen der amerikanischen Truppen wurde er zusammen mit dem bekannten Admiral Canaris im Lager Flossenbürg gehängt. Ein ähnliches Schicksal fand sein älterer Bruder, der Rechtsanwalt Klaus Bonhoeffer, der im Zusammenhang mit den Vorgängen des 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und mit einem Genickschuß beseitigt wurde.
Überwältigend ist das Bekenntnis der Sekretärin des bekannten Jesuitenpaters Friedrich Muckermann und Schriftstellerin Nanda Herbermann, die ihre Erlebnisse unter dem Psalmwort zusammenfaßte: Ein Abgrund ruft den andern Abgrund! Ihr gerade wurde das Konzentrationslager, ein Abgrund teuflischer Bosheit, zu einem gesegneten Abgrund göttlicher Barmherzigkeit. Auf ihrem Kreuzweg ist sie zahllosen Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück (Mecklenburg) zu einem Engel der dienenden Karitas geworden, besonders in der Zeit, da sie ein Jahr lang Blockälteste über einen Block gescheiterter und tief unglücklicher Mädchen und Frauen sein mußte.
Aus den Briefen des evangelischen Pfarrers Ludwig Steil an seine Frau aus dem Konzentrationslager Dachau klingt immer wieder der Lobgesang Gottes, obschon Steil durch die Gefangenschaft schwerer Krankheit ohne jegliche Pflege preisgegeben war, an der er im Alter von 44 Jahren gestorben ist. Nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus dem reichen Schatz des christlichen Liedes hat er Kraft und Trost für sich und andere geschöpft. Aus dem Konzentrations-lager gibt er immer wieder seiner Frau Weisungen, wie sie an seiner statt das Predigt- und Trostamt in der Gemeinde weiterführen soll. Er läßt »ich von seiner Frau die Listen der Familien schicken, die durch Bombenangriffe in schwere Not geraten sind, um für jede einzelne besonders zu beten. Sein Leben und Sterben, sein Dienen und Leiden stand stets unter seiner Losung: Weg von mir, hin zu Christus!
In dieser Losung liegt auch das besondere ökumenische Erlebnis der bewußten Christen, vor allem der Geistlichen im Dachauer Konzentrationslager: es ist das Erlebnis der Una Sancta, der einen christlichen Kirche als des einen Volkes Gottes, das über alle dogmatischen Schranken hinweg sich in der gemeinsamen Front gegen den Angriff der dämonischen Mächte bewährt. Unter den 17 Zeugnissen dieses Buches gibt es zwei dieser Art von katholischer Seite. Das zweite, mit dem das Buch schließt und damit seine Krönung findet, stammt von Dr. Max Josef Metzger, dem Gründer der „Christkönigsgesellschaft vom weißen Kreuz“ in Meitingen bei Augsburg, die das dreifache Ziel hat: sozial-karitative Arbeit und Seelsorgehilfe, christlicher Pazifismus und Befriedung der Völker und zuletzt besonders die Arbeit für die Una Sancta, für die Befriedung und Einigung der christlichen Konfessionen. Dr. Metzger hatte trotz Warnungen von Seiten seiner Freunde seine interkonfessionellen Beziehungen zu der lutherischen Kirche in Schweden und der anglikanischen in England für ein baldiges Kriegsende zu verwerten gesucht. Er wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt, wobei der berüditigte Vorsitzende des Volksgerichtes Freisler ausrief: „Die Una Sancta sind wir!" Mit den Worten des Dankes ist er gestorben, daß Gott ihn durch dieses Opfer seines Lebens so tief in die Jüngerschaft Christi hineingezogen habe. Nach dem Empfang des Sakraments wartete er auf den Tod mit den Worten: „Nun, Herr Jesus, ich komme bald!“ Mit dem Ausspruch Jesu am Kreuz: „Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist“, hauchte er sein Leben unter dem Henkerbeil aus.
Aus allen Dokumenten und Zeugnissen beider Hefte geht eindeutig hervor, daß der Nationalsozialismus in der Existenz der christlichen Kirche das größte Hindernis seiner totalen Herrschaft in allen privaten und öffentlichen Bereichen des Lebens sah und daß er entschlossen war, mit allen Mitteln von der propagandistischen Lüge an und Entstellung jeglicher Wahrheit über die Drohung und Gewaltanwendung bis hin zu Gefängnis, Konzentrationslager und Tod das Christentum radikal auszurotten. Die nationalsozialistischen Machthaber mußten zu ihrem Ärger und Schrecken erkennen, wie das aus den geheimen Stimmungsberichten der Amtswalter der Partei hervorgeht, daß ihnen in der christlichen Kirche ein Widerstand entgegentrat, mit dessen Größe und Zähigkeit sie nicht gerechnet hatten. Sie hatten die christliche Kirche zum Tode verurteilt und sie zur sterbenden Kirche erklärt, aber sie wußten nichts von dem Mysterium des Corpus Christi, sie ahnten nicht, daß der Sterbensweg der Kirche nach dem Wort ihre Flerrn der Weg ihres Lebens, ihres Sieges, ihres Triumphes ist. So brennt über den Stätten der Schande ein Morgenrot. Ist es das Morgenrot eines Schlachttages und des Unterganges, fragt Reinhold Schneider in seinem Geleitwort, oder ist es das Morgenrot einer Liebe, kraft deren der Mensch sich wieder erhebt?
Nach dem Zeitalter der Entchristlichung und Entgottung sind wir in das Zeitalter der Entmenschlichung eingetreten. Der Entscheidungskampf um das letzte Menschsein des Menschen, um die elementarsten Rechte seiner Freiheit und Würde hat begonnen. Haben die Menschen und Völker aus den Erfahrungen des christlichen Martyriums in der Gegenwart, das hinter dem Martyrium einer neronischen und diokletianischen Verfolgung nicht zurücksteht, endlich erkannt, daß die christliche Kirche der Ort ist, wo das letzte Menschsein des Menschen, die wahre Humanitas, dadurch gerettet wird, daß der Mensch sich nicht selbst und keinem Machthaber der Welt gehört, sondern Gott in Christus, dem Herrn aller Herren und König aller Könige? Alle Zeichen der Zeit rufen den Menschen zur Entscheidung und Antwort auf diese Schicksalsfrage seiner Existenz!