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Störenfriede der demokratischen Einheit

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Zur Jahreswende wurde von verschiedenen Seiten eine Art Inventuräufnahme des Osterreichertums durchgeführt — mit dem fast einstimmigen Ergebnis, daß die angesichts gewisser außenpolitischer, aber auch wirtschaftspolitischer Bedrängnisse so notwendige innere Konsolidierung begrüßenswerte Fortschritte gemacht hat, dank der schon über sechs Jahre andauernden, in Europa einzig da- sthenden segensreichen Zusammenarbeit zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft in den beiden großen Parteien Österreichs. Man wies auf die anläßlich der Bundespräsidentenwahl wieder sichtbar gewordene Beschränkung der extremen Linken auf fünf Prozent des Gesamtvotums hin, auf die Fortschritte der inneren Befriedung, auf die rechtliche Gleichstellung der Heimatvertriebenen, auf die Amnestie für die Spätheimkehrer usw. Man konnte auch mit gewissen Vorbehalten das Fehlen eines Kulturkampfes feststellen, die Hoffnung auf eine einvernehmliche Regelung der Ehe- und Familiengesetzgebung hegen und sich der weit in Linkskreise hinein-, reichenden Geltung des christlichen Sittengesetzes erfreuen.

Trotzdem fehlen auch jetzt nicht Stimmen, die die demokratische Befriedung und Entwicklung zu gefährden drohen. Hierher gehören Teile des umstrittenen Aufsatzes in der Weihnachtsnummer des sozialistischen Zentralorgans, von dem hier bereits die Rede war; hierher gehört auch eine Schrift des Zentralen Schulungsausschusses der sozialistischen Jugend Österreichs , in der die Evangelien eine neue Interpretation erfahren, wonach Christus — der bekanntlich gesagt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ — eine Diktatur der Armen über die Reichen anstrebte,- und wonach die Bergpredigt mit ihrem Gebot der Nächstenliebe im Grunde genommen nichts anderes sei als ein Manifest des Klassenhasses. Wenn diese Saat parteioffiziell in die Herzen der jugendlichen Sozialisten gestreut wird, dann kann es nicht ausbleiben, daß Klassenhaß und Gesell- sch ;ftsspaltung in das Osterreichertum einen dauernden Riß bringen, der auch von den Gutgesinnten im Lager der Linken mit dem Koalitionsgeist kaum mehr überklebt werden könnte, mögen Wirtschaftsnot und Druck aus dem Osten noch Josef Hin del: „Von der Urgesellschaft zum Sozialismus“, Verlag Jungbrunnen, 1950.

so sehr zur gesamtösterreichischen Einigung mahnen.

Das Hauptkampffeld der Störenfriede gegen die demokratische Einigung in Österreich ist naturgemäß das Wirtschaftsleben. Hier lassen sich noch breite Kreise der Linken von den Schreckfiguren des Kapitalisten, des Unternehmers oder des Managers faszinieren und — weniger in der realen Sphäre des Einzelbetriebes mit seiner glasklaren Atmosphäre als draußen in der Vernebelung der politischen Agitation mit ihren Schlagworten — zum Klassenkampf begeistern, obwohl der Gegenpart in diesem Kampf schon ganz im Entschwinden ist. „Die Reichen sollen zahlen!“ Wo sind denn diese Reichen? In Österreich haben 1918, 1938 und 1945 Umstürze stattgefunden, nach denen sich, teils durch persönliche Ertüchtigung, teils auch im Gefolge politischer Zufälligkeiten Gruppen und ganze Teile der unteren Schichten den Aufstieg nach oben erzwungen haben, wie umgekehrt aus den oberen Schichten zahllose gescheiterte Existenzen und niedersinkende Gruppen nach unten fielen. Ungleich größer als der Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist heute derjenige zwischen Landvolk und Städtern, zwischen Verdienern und Arbeitslosen, zwischen Wohnenden und Wohnungslosen, zwischen Ausgebombten und Verschonten, zwischen Volksdeutschen und Einheimischen. Der städtische Realbesitz ist heute so gut wie entschädigungslos enteignet; aber das Wort vom „Zinsgeier" ist geblieben; Schlagworte haben ihre besondere Lebenszähigkeit. Ähnlich sieht es mit dem Mobilkapital aus, wo man Akkumulationen erheblichen Ausmaßes, die mehr als 50 Jahre in ein und demselben Familienbesitz geblieben sind, an den Fingern einer Hand abzählen kann. Vom österreichischen Aktienbesitz befinden sich heute 47,3 Prozent in öffentlicher Hand, 8,6 Prozent in USIA-Verwal- tung, 10,7 Prozent in öffentlicher Verwaltung, 8,6 Prozent unter öffentlicher Kontrolle und ganze 24,8 Prozent in privaten Händen. Von den Gewinnen der Kapitalsgesellschaften schöpft der Fiskus zunächst einmal 75 Prozent ab; vom Rest müssen Investitionen bezahlt werden und vom noch bleibenden Gewinn weitere Dividendensteuern und Einkommensteuern, so daß den „Kapitalisten“ im Durchschnitt 3,6 Prozent Übrigbleiberi.

Vor zwei Monaten mahnte das österreichische Wirtschaftsdirektorium angesichts des Zuendegehens der Marshall- Plan - Hilfe, mehr zu arbeiten und mehr zu sparen. Die österreichische Volkswirtschaft kommt ins Gleiten, wenn sich nicht bald ein eigener Kapitalmarkt bildet. Ohne Kapitalmarkt keine Stabilisierung der Währung. Denn Auslandshilfen werden unter erträglichen Konditionen kaum zu bekommen sein; und eine Verlagerung der Kapitalbildung auf die öffentliche Hand würde wegen des damit verbundenen unerhörten Steuerdruckes und seines Ubergreifens auch auf die breiten Massen die Lust zur Arbeit bald allgemein lahmlegen. Die der Entfaltung des Spartriebes entgegenstehenden Vermögenssteuern, Vermögenszuwachssteuern, Grundenteignungsgesetze, Mieterschutzgesetze, Scheingewinnbesteuerungen usw. aber können nicht weggeräumt werden, da dahinter die Klassenkampfparole steckt. Wer im

Export heute gute Preise erzielt, was unstreitig im Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist, ist ein Bösewicht. Wenn aber ein sozialistisch verwaltetes Gemeinwesen Ausgebombten ihren Grund unter Hinweis auf Änderungen des Flächenwidmungsplans um ein Drittel des Marktpreises abnehmen will, dann ist dies in Ordnung; offenbar will man dadurch den Spartrieb ankurbeln.

Will man in den Ländern mit Klassenkampfideologie zwischen Unternehmern und Arbeitern nach dem Muster der amerikanischen human relations eine engste Zusammenarbeit herstellen oder wird gar vom Industriellenbund eine Preissenkungsaktion gestartet, dann ertönen Warnungspfiffe der Störenfriede mit der Unterstellung, daß auf jenen Wegen die Unternehmer ihre Gefolgschaft nur noch mehr ausbeuten wollen. Gleichzeitig aber bahnt sich in Amerika, das längst nicht mehr das Land der Multimillionäre ist, eine Art Sozialisierung des Kapitalismus an: Hier gibt es heute bei 154 Millionen Einwohnern nach einem Schätzungsdurchschnitt zehn Millionen Aktienbesitzer. „General Electric"hat 200.000, „General Motors" eine halbe Million, „American Telegraph and Telefone Company" eine Million Aktienbesitzer, wobei die Mehrzahl der Aktien oft den Arbeitern des eigenen Unternehmens gehört. In den USA hat jeder zweite Arbeiter sein Auto. Österreich hat dafür seine Klassenkampfideologie und, dadurch bedingt, eine Unterbindung der Kapitalbildung, was letzten Endes zur wirtschaftlichen und politischen Knechtschaft, von welcher Weltgegend immer her, führen kann.

Was in den USA bereits erreicht ist, das bahnt sich erfreulicherweise auch in Europa, auch in Österreich an: das naturgesetzliche Hineinwachsen der Arbeiterschaft in den Mittelstand sowohl in materieller. wie auch in kultureller Hinsicht. Die jetzt erfolgte Übernahme des Hotels Panhans auf dem Semmering durch die Wiener Gebietskrankenkassa mag hiefür als Symbol gelten, Dies alles unter dem Beifall nicht nur des verantwortungsbewußten Bürgertums, sondern auch unter Förderung weitblickender Arbeiterführer, ja zum Teil auch der Parteipresse. Das aber ist so gar nicht nach dem Geschmack der Störenfriede des Klassenkampfes. In der bereits zitierten Schrift des Zentralen Schulungsausschusses der sozialistischen Jugend Österreichs wird dieser historische gesellschaftliche Aufstieg der Arbeiterschaft als „proletarischer Minderwertigkeitskomplex“ geschulten. Danach ist es schlecht, wenn Arbeitermädchen alles nachahmen, was die Jugend des Bürgertums macht; wenn Arbeiterfunktionäre in den „Salons bürgerlicher Dämchen" als gesellschaftsfähig gelten; wenn sie sich durch Titel und akademische Grade imponieren lassen; oder gar wenn „sozialistische Minister, die vor ihren reaktionären Sektionschefs zittern, die Gefangenen der ihnen unterstellten Bürokratie sind" usw., usw. Und wozu das Ganze? Das Ziel ist die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, wobei allerdings „diese Revolution nicht blutig, aber gründlich und konsequent sein muß". Um dies zu sichern, muß eben die Klassenkampfideologie mit ihren Schlagworten rein erhalten bleiben, womöglich im Sinne der altmarxistischen V erelendungstheorie; der Riß im österreichischen Volk muß offen bleiben und womöglich verbreitert werden — eine Mentalität, für die das an sich gewiß sehr bedrohliche Schritt- machertum der extremen Linkspartei ebensowenig als politisch-taktisch,e Entschuldigung gelten kann, wie die Tat sache, daß es 'leider auch unter den Unternehmern nicht wenige Dunkelmänner gibt, die etwa durch Devisenschiebungen die Volkswirtschaft schädigen oder durch frivolen Luxus den Gemeingeist vergiften.

Was nützen alle Aufbaupläne, Wirtschaftsaktionen, Marshall-Hilfen usw., wenn es nicht gelingt, jene grundsätzlich negativ eingestellten Störenfriede in ihrer inneren Konzeption auf das Gemeinwohl auszurichten und dadurch eine wirtschaftliche demokratische Einigung zu sichern! „Ich wollte mich doch lieber aufhängen, als ewig negieren, ewig in der Opposition sein, ewig schußfertig auf die Mängel und Gebrechen meiner Mitlebenden, Nächstlebenden lauern." Diese Worte stammen von Goethe; der war allerdings auch nur so ein Regierungsbürokrat und Hausbesitzer.

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