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Stolpern auch in der Zukunft

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DIEFurchE: Braucht die ehemalige DDR so etwas wie Vergangenheitsbe-wältigung?

Hein?, EGGERT; Not tut es auf alle Fälle. Weil, wer seine Vergangenheit nicht kennt, hat auch große Schwierigkeiten mit der Zukunft. Ich bin mir also sicher, daß die Demokratielücken der Vergangenheit, wenn sie nicht rechtzeitig bewältigt werden, auch in Zukunft stolpern lassen. Das ist das eine. Das zweite ist, daß wir insgesamt in Osteuropa, übrigens auch in Westeuropa, einen Verdrängungswettbewerb haben. Auf die einfache These gebracht: Was war, das war - jetzt laßt uns nach vorne schauen, höher, schneller, weiter. Das ist aber eine psychologische Komponente, die Sie nach jedem Zusammenbruch einer Diktatur haben, weil viel zu viele verstrickt waren; wissentlich, unwissentlich, auf verbrecherische Art und Weise, auf nicht sehr ehrenwerte Weise, da gibt es viele Abstufungen.

DIEFURCHE: Könnten Sie präzisieren, wie es sich mit der Schuld verhält? EGGERT: Ich glaube schuldig wird jemand, der ganz bewußt mit einem Geheimdienst zusammenarbeitet, diesem Geheimdienst Interna über Personen übermittelt, anhand deren dieser Geheimdienst und diese Diktatur diese Menschen in den Griff bekommt - wie es im Jargon heißt: ihn unschädlich zu machen —, versucht, ihn moralisch bloßzustellen, auf alle Fälle ihm das Menschsein abspricht. Hier gibt es auch eine sehr große Palette. Nun müssen Sie sehen, daß gerade in Osteuropa diejenigen, die die Täter von gestern waren, auf einmal die gewendeten Herren von heute und morgen sind; die haben natürlich nicht das geringste Interesse an einer Aufarbeitung. Nach fünf Jahren stellt sich das in den fünf neuen Bundesländern ein wenig anders dar als am Anfang. Es ist zum Beispiel völlig unmöglich zu glauben, alles auf die Staatssicherheit schieben zu können und die Experten und Funktionäre der Sozialistischen Einheitspartei außen vor zu lassen, als ob ein Herr Modrow nicht die Staatssicherheit selber angewiesen hätte. Denn sie war der Partei unterstellt, nicht umgekehrt. Das zweite ist, daß ich schon der Meinung bin, daß Berufsgruppierungen, die einer besonderen ethischen Ausrichtung unterliegen, die einen Eid abgelegt haben wie Theologen, Rechtsanwälte, Ärzte, ihr Recht verwirkt haben, weiter in diesen Berufen zu arbeiten, wenn sie mit einem Geheimdienst kooperiert haben und dem Geheimdienst Informationen über Personen zugespielt haben, an die ein Geheimdienst selbst mit Kameras und Abhöraktionen nicht gekommen wäre. Aber auch das geschieht nicht.

DIEFURCHE: ...die also ein Vertrauensverhältnis ausgenützt haben... EGGERT: Richtig, die ein Vertrauensverhältnis sogar hergestellt haben im Auftrag der Staatssicherheit, um den einzelnen der Staatsicherheit auszuliefern.

DIEFURCHE: Sitzen heute wirklich wieder die alten Herren an der Spitze, wie sie vorhin angedeutet haben? EGGERT: Es gibt sehr wohl auch Menschen, die in diesem gesamten Prozeß gelernt haben.

DIEFURCHE: Dieses Argument impft man der Öffentlichkeit geradezu ein, indem man sagt, die haben ja gelernt, sind wahre Demokraten geworden.

Pessimismus greift um

sich, wenn Vergangenheit nicht schonungslos aufgearbeitet wird - zum Schaden für die Gerechtigkeit und die Demokratie.

EGGERT: Das ist zum Teil auch richtig. Aber ihr Demokratiesein beweist sich irr der Wahrhaftigkeit darin, wie schonungslos sie selbst mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen.

DIEFURCHE: Ein Beispiel dafür. EGGERT: Ich will ein Beispiel geben an meiner eigenen Person: Wenn die deutsehe Einheit am 20. August 1968 gekommen wäre, wäre ich zwar trotz meines jungen Alters - ich war erst 22 - , aber doch jemand gewesen, der keinerlei großen Abstand zum SED-Regime gehabt hat. Mich hat erst der

21. August 1968 so nachdenklich werden lassen, daß ich nichts mehr mit diesem System zu tun haben wollte. Das ist ein Bruch gewesen. Deswegen stehe ich aber zu dem, was vorher war und verstehe von daher auch andere. Ich glaube nicht, daß das Feld für Verständnis dadurch bereitet wird, daß man verschweigt oder eventuell Menschen, die an Demokratie einen besonderen moralischen Anspruch stellen, der ihr meiner Meinung nach auch zukommt, weiterhin verunglimpft und versucht, sie an die Wand zu spielen. Es ist ja so, daß heute, auch im Osten Deutschlands schon, die Mahner von gestern diejenigen sind, die kaum noch eingeladen werden.

DIEFURCHE: An wen denken Sie? EGGERT: Sehen Sie nur, wie man derzeit mit Frau Bohley umgeht - die sich wirklich weder den Mächtigen der DDB noch den Mächtigen der Bundesrepublik angedient hat -, weil sie es gewagt hat, mit dem Bundeskanzler ein Gespräch zu führen und in diesem Gespräch auf die besondere Verantwortung der Bundesrepublik für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu verweisen. Und wenn Sie dann noch bemerken, daß diese Jagd, die auf Frau Bohley .gemacht wird, durch eine Klientel bestimmt wird, die sich im Osten schon früher einem Herrn Honecker angedient hatte, und aus dem Westen, ohne es nötig gehabt zu haben, auch, dann versteht man den Satz von Max Liebermann, daß man gar nicht so viel fressen kann wie man kotzen möchte.

DIEFURCHE: Wie versuchen Sie in

ihrem Umfeld mit dem umzugehen, was Sie momentan an Aufarbeitung oder Nichtaufarbeitung erleben? EGGERT: Je länger wir uns von der DDR wegbewegen, umso schwieriger •wird diese Aufarbeitung. Es ist aber so, daß dadurch, daß diese Aufarbeitung nicht geschieht, in der Bevölkerung auch ein Pessimismus um sich greift, der den Gerechtigkeitsgedanken ganz stark beschädigt. Wenn man sieht, daß die ehemaligen sozialistischen Betriebsleiter, die durch ihre Unfähigkeit den Betrieb selbst an den Baum gefahren haben, dann auf einmal die marktwirtschaftlichen Führer sind, auch den neuen Betrieb an den Baum fahren, aber mit 1,5 Millionen abgesichert sind; wenn der Arbeiter, der sich politisch nicht angedient hatte, nicht mehr weiß, ob er sein Geld noch bekommen wird; wenn Sie sehen, wieviele, die früher

im öffentlichen Dienst waren, auch jetzt weiterhin abgesichert im öffentlichen Dienst arbeiten; wenn Sie sehen, daß einem Herrn Mielke der Prozeß gemacht wird, weil er angeblich zwei Polizisten ermordet haben soll, nicht für die menschenverachtende und teilweise tötende Arbeit der Staatssicherheit; wenn Sie sehen, daß man Herrn Honecker wahrscheinlich die schwerste Strafe zugemessen hat, indem man ihn seiner Frau ausgeliefert hat, ansonsten aber nichts geschehen ist; daß Soldaten, die wegen der Todesschüsse an der Mauer vor Gericht stehen, während ihre Generäle, denen sie unterstellt waren, als Zeugen aussagen und hinterher wieder nach Hause zu ihrer Frau Kaffee trinken gehen - dann muß man auch den Zusammenhang herstellen, daß zwischen dieser nichtgeschehenen Vergangenheitsaufarbeitung auch ein Glaubwürdigkeitsverlust der De-

mokratie einhergeht. Eine Demokratie kann sich keinen Glaubwürdigkeitsverlust leisten, weil sie das Mittun aller Menschen braucht.

DIEFURCHE: Beschäftigt das nur Intellektuelle wie Sie?

EGGERT: Die Intellektuellen sind nicht besonders sensibel, sie sind besonders verführbar durch die jeweils Mächtigen der Erde. Und von daher ist der intellektuellen Klasse teilweise am wenigsten an einer Aufarbeitung gelegen. Sie finden solche Gespräche schon mit den einfachen Menschen, die genau wissen, wer was getan hat. Mir sagte neulich ein Mann, und da hatte er recht: Früher sind wir eingesperrt worden, wenn wir einen Witz über Honecker machten, am Betriebsleiter konnte man eventuell noch etwas Kritisches bemerken; heute können wir über Kohl die schlimmsten Witze reißen, ohne daß uns etwas passiert, aber die Wahrheit über unseren momentanen Vorgesetzten können wir gar nicht sagen, dann sind wir arbeitslos. Das heißt, die Menschen empfinden, daß ein Erpressungsmechanismus anderer Art in Kraft getreten ist, der die Leute wieder zum Schweigen bringt, wie er sie vorher auch zum Schweigen gebracht hat.

DlEFtJRCHE: Der Westen sagt stolz Wir haben gesiegt

EGGERT: Das ist ein Irrtum. Nicht er-hat gesiegt, sondern es haben sich die Menschen in Ostdeutschland durchgesetzt, die sehr viel Mut hatten.

DIEFURCHE: Wie konnte dieser Mut in einem derartigen Spitzelsystem eigentlich entstehen?

EGGERT: Es gibt einen Satz von Camus, der lautet: Ab 30 ist jeder für sein Gesicht selbst verantwortlich. Und

ich glaube, daß dieser Satz stimmt. In jeder Diktatur gibt es ein Andienen, eine Verführbarkeit des Menschen. Ich habe immer Angst davor gehabt, daß meine Kinder, wir haben vier Kinder, eines Tages die Frage stellen: Paß mal auf, Vater, das war dein Widerstand, aber wir haben nicht studieren dürfen, wir sind nicht auf die Oberschule gegangen, wir hatten keine Chance der Entwicklung, wir gehen jetzt den unteren Weg, den wir aus freier Entscheidung nicht haben gehen wollen. Ich bin mir sicher, meine Kinder hätten mir diese Frage nicht gestellt, trotzdem hat es mich als Vater beschäftigt und belastet in dieser Situation. Und es ist auch meine Frage, ob man für sich selber ent-

scheiden will, jawohl, ich geh' dann den unteren Weg, der mich unabhängig macht, oder ich geh' diesen Weg der Verführbarkeit zur Karriere, indem ich mich am Anfang noch immer schlauer halte als die anderen, bis ich merke, ich bin mitgefangen in diesem System. Mitgefahgen heißt in diesem Fall nicht mitgehangen, denn gehängt wurde ja keiner, muß man noch einmal deutlich sagen. Ich habe selber nicht geglaubt, daß ich die deutsche Einheit noch erleben werde, ich war eigentlich überzeugt, daß ich in diesem DDR-Staat auch sterben werde. Wobei ich noch sagen muß, daß ich natürlich hinterher meinen Neimen auf Listen von Menschen gefunden habe, die zur Internierung anstanden, sodaß ich mir gar nicht sicher bin, ob der Tod nicht vielleicht eher gekommen wäre, als er biologisch vorprogrammiert war. Das darf man auch nicht vergessen, die Sache ist viel zu ernsthaft. Die Kirche hat in dieser Zeit ein Dach darstellen können für die Mißmutigen, die Unzufriedenen, für die Skeptischen und für die Widerständler. Und auf diese Rolle kann die Kirche zurecht stolz sein. Es wäre nur fatal, wenn sie das als Evangelisierungsprozeß verstanden hätte. Und ich verstehe das Klagen vieler Pastoren jetzt nicht, daß die Kirchen leer seien. Das hätten sie erkennen müssen. Und ich will auch nicht verhehlen, daß die Kirche dieses Dach noch viel stärker hätte sein können, wenn viele Pastoren und vor allem auch Kirchenleitungen weitaus mehr Mut gehabt hätte, ohne daß es an Existenzgefährdung gegangen wäre. Dazu bin ich zu sehr Insider, um das zu wissen.

DIEFURCHE: Das gilt für die evangelischen Landeskirchen wie für die kleine katholische Kirche in der Ex-DDR? EGGERT: Ganz genauso. Wo in einer Diktatur soll eigentlich ausgesprochen werden, was menschenentwürdigend, was menschenverführerisch ist, wenn nicht in der Kirche. Es gibt einen eindeutigen Auftrag des Evangeliums, die Dinge so klar beim Namen zu nennen, wie sie erfahrbar sind.

sprach Franz Gansrigier.

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