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Straenbau: Fleckerlteppiche?

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Bewundernd und nicht frei von Neid ruht der Blick des österreichischen Kraftfahrers auf dem Straßennetz der Bundesrepublik Deutschland. Und der Durchschnittsbürger ist der festen Überzeugung, daß dort weit zügiger, konsequenter und rascher gebaut wird als daheim in Österreich. Immerhin durchzieht bereits heute das Land mit der bedeutendsten Wirtschaftsmacht Europas ein Autobahnnetz von 3617 km Länge. Auf den ersten Blick muten dagegen die 411 km fertigen Autobahnstrek-ken Österreichs bescheiden an. Während man die scheinbare ausländische Überlegenheit im Straßenbau „ungeschaut“ als Faktum akzeptiert, gehört es gleichzeitig zum guten Ton, je nach Mentalität über den österreichischen Autobahnbau Witze zu reißen oder ihn als „Skandal“ ab-zutun.

So wird etwa als Indiz für „begründeten Mißmut“ gewertet, daß es von 1954 bis 1967 — also 13 Jahre — gedauert habe, bis die als Fleckerlteppich gebrandmarkte Westautobahn zum hochleistungsfähigen Band zwischen Salzburg und Wien zusammenwuchs.

Verärgert übersieht man gern, daß in der gleichen Zeit auch die sechs-spurige Südautobahn von Wien bis Wr. Neustadt und mit der Brennerautobahn die erste Gebirgsautobahn Europas verkehrswirksam gemacht werden konnten. Und da man auf den zusammen über hundert Kilometer langen Baustrecken, die augenblicklich in ganz Österreich in Arbeit sind, noch nicht fahren kann, zerbricht man sieh darüber auch nicht viel den Kopf...

Österreichs.Autobahnen; haben viel Freunde im Ausland und noch mehr Feinde daheim. Über ihnen lastet der Fluch der guten Tat. Und ihr mageres Ansehen verdankt sie nachweislich einer systematischen Ver-teufelungskampagne, die in den frühen fünfziger Jahren begann. Damals wurde der Plan, auch in Österreich mit dem Autobahnbau zu beginnen, zunächst als Wahlschlager abgetan. Später, als dieses Werk allen Widerständen zum Trotz Gestalt annahm, kam das Spottwort vom Fleckerlteppich. Und als sich der Erfolg nicht mehr abstreiten ließ, folgte der „Autobahnskandal“, der heute, Jahre danach, zwar unbewiesen, dennoch stark meinungsbestimmend nachwirkt.

Vor dieser Kulisse vollzieht sich die Beurteilung des österreichischen Autobahnkonzeptes, das bekanntlich ein Wunschnetz von 1780 km Länge umfaßt. Neue Ansatzpunkte zu kritisch-pessimistischen Kommentaren lieferten die Experten selbst mit der Feststellung, es werde etwa 20 Jahre bis zur Vollendung dieses Netzes dauern.

In letzter Zeit fielen eine Reihe wichtiger Entscheidungen, durch die das Ausbautempo wesentlich beschleunigt werden wird. So wird die Inntalautobahn schon 1972, vier Jahre rascher als vorgesehen, fertiggestellt sein, die Tauernautobahn soll in einer ersten Ausbauphase innerhalb von fünf Jahren Wirklichkeit werden, und viele Grundsatzfragen sind nach längerem Tauziehen entschieden.

Ende 1969 wird auf wissenschaftlicher Basis auch eine Neubewertung des Bundesstraßennetzes vorliegen, von der man sich entscheidende Hinweise für eine optimale Reihung der Ausbaumaßnahmen und damit einen noch wirksameren Einsatz der vorhandenen Mittel erhofft. Wird es Österreich gelingen, den Anschluß an die Straßenbauentwicklung in den Nachbarstaaten zu finden?

Wie groß ist der Rückstand, den es aufzuholen gilt?

Geht man diesen Fragen auf den Grund und vergleicht man die Situation in Österreich mit jener etwa in der Bundesrepublik Deutschland, dann kommt man zu einem verblüffenden Resultat: Straßenbautechnisch ist der „goldene Westen“ nämlich gar nioht so glänzend, wie dies auf den ersten Blick scheint.

Mit 59,5 Millionen Einwohnern hat Westdeutschland heute etwas mehr als die achtfache Bevölkerung Österreichs. Das Autobahnnetz umfaßt in der Bundesrepublik 3617 km und ist damit neunmal so lang als das österreichische mit seinen 411 Kilometern. Die aus dem Vergleich zwischen Bevölkerung und vorhandenen Auto-bahnstrecken sich ergebende leichte Überlegenheit der Bundesrepublik verkehrt sich indes rasch in das Gegenteil, wenn man auch den Motorisierungsgrad in die Überlegungen einbezieht. Hier stehen 12 Millionen Personenwagen in Deutschland etwas mehr als 1 Million Personenwagen in Österreich gegenüber, und daraus ergibt sich deutlich, daß den Österreichern auf ihren Autobahnen weit mehr Verkehrsfläche zur Verfügung steht, als den Bundesrepublikanern in ihrem Wirtschaftswunderland.

Verläßt man die Autobahn und übersiedelt auf die Bundesstraßen, wird dieses Mißverhältnis noch deutlicher.

Die Bundesrepublik verfügt über Bundesstraßen von 31.987 km, denen in Österreich Strecken von 9243 km gegenüberstehen. Damit hat Deutschland nur dreieänhalbmal soviel Bundesstraßen als Österreich, bei zwölfmal soviel Personenautos!

Während Österreich schon 1967 daranging, die Neubewertung des Bundesstraßennetzes auf wissenschaftlicher Basis in Angriff zu nehmen, hat man mit ähnlichen Maßnahmen in Deutschland erst ein Jahr später begonnen. Österreich hat also auf diesem Gebiet einen wertvollen Vorsprung.

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