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Strahlenangst im Tullnerf eld

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Im kommenden Jahr bricht auch für Österreich das Atomzeitalter an. Mitte des Jahres wird mit dem Bau des ersten österreichischen Kernkraftwerkes begonnen werden. Der Standort ist bereits entschieden — Zwentendorf an der Donau, rund 13 km stromaufwärts von Tulln. Offen sind noch die Fragen, wer den Bauauftrag erhält und welcher Typus von Reaktor gebaut wird, Druckwasser- oder Siedewasserreaktor.

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Im kommenden Jahr bricht auch für Österreich das Atomzeitalter an. Mitte des Jahres wird mit dem Bau des ersten österreichischen Kernkraftwerkes begonnen werden. Der Standort ist bereits entschieden — Zwentendorf an der Donau, rund 13 km stromaufwärts von Tulln. Offen sind noch die Fragen, wer den Bauauftrag erhält und welcher Typus von Reaktor gebaut wird, Druckwasser- oder Siedewasserreaktor.

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Drei Firmen haben Anbote erstellt: die schwedische ASEA, die amerikanische BBC/Westinghouse und eine deutsch-österreichische Bietgemeinschaft, an der Siemens, Elin und die Kraftwerks-Union beteiligt sind. Die Entscheidung wird für Anfang 1971 erwartet, die Aufschließungsarbeiten beginnen unmittelbar nach der Schneeschmelze, der eigentliche Baubeginn ist dann ein halbes Jahr später.

Nach dem Hochschulreaktor im Wiener Prater und dem Reaktor in Seibersdorf, die Forschungszwecken dienen und verhältnismäßig klein sind, wird mit dem Projekt Zwentendorf erstmals ein wirtschaftliches Großprojekt der Kernenergie in Österreich verwirklicht. Seit dem Entschluß der Energiewirtschaft, in Zwentendorf ein Kraftwerk durch ein eigens hiefür errichtetes Unternehmen bauen zu lassen, die Gemeinschaftskernkraftwerk-Tullnerfeld-Gesellschaft (GKT), steht der Plan im Kreuzfeuer der Polemik. Während fast alle Staaten in Österreichs westlicher und östlicher Nachbarschaft über Kernkraftwerke verfügen, zumindest solche in Bau sind, erheben sich immer wieder Stimmen, die auf die Strahlungsgefährdung für die unmittelbare Umgebung und auf die Möglichkeit von Katastrophenfällen hinweisen. Darunter befinden sich neben zahlreichen inkompetenten Stellen auch ernstzunehmende Stimmen, etwa eine Gruppe der niederösterreichischen Ärztekammer. Die bisherigen Polemiken haben lediglich zu einer Verwirrung der Öffentlichkeit geführt. Ein Teil der Kraftwerksgegner bedient sich nicht nur unwissenschaftlicher, sondern längst widerlegter Argumente, wobei sich diese. Propagandisten über die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen im klaren sind. Sie diskreditieren damit Einwände, die tatsächlich einer wissenschaftlichen Abklärung bedürften.

Verschärft wird die Situation durch ein mangelndes Einfühlungsvermögen von Wissenschaftlern und Technikern, die von der Bevölkerung den absoluten Glauben an die Richtigkeit ihrer Entscheidungen erwarten und eine entsprechende Aufklärungstätigkeit unterlassen. Die GKT ist erst vor einigen Wochen erstmals offiziell mit der Presse in Kontakt getreten. Der Gemeinderat von Zwentendorf hat in gutfunktionierender Koalition die beiden großen Fraktionen — bei den Kommunisten überwiegt die Skepsis — selbst einen Aufklärungsabend durchgeführt.

Tatsächlich existiert eine Fülle von Material über die Sicherheit von Kernkraftwerken. Erst vor wenigen Tagen wurden in Europa amerikanische Presseberichte bekannt, wonach die Kernenergie ein „dramatisches Wachstum“ in den USA zeigt. Heuer wurden dreimal soviel Kernkraftwerke in Auftrag gegeben wie 1969. Die Kernenergie ist heute in Amerika mit traditionellen kalorischen Kraftwerken hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit konkurrenzfähig. Die Amerikaner sehen in dieser Art dar Energieerzeugung einen echten Fortschritt im Kampf gegen die Umweltverschmutzung. Die Gesamtzahl der in den USA bereits beendeten, in Bau, in Planung oder in Auftrag befindlichen Kernkraftwerke beträgt derzeit 118. Zu dieser Entwicklung hat zweifellos der Umstand beigetragen, daß die Kernenergieanlagen auf Grund entsprechender Vorschriften in allen Staaten einen außerordentlich hohen Sicherheitskoeffizienten aufweisen. Österreich ist nicht nur auf einigen Gebieten der Kontrolle durch die Seibersdorfer Arbeiten führend, ab 1. Jänner 1971 ist in Österreich auch das neue Strahlengesetz in Kraft, das beim Bau des ersten österreichischen Kernkraftwerkes voll beachtet werden muß.

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