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Streben nach historischer Objektivität

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Für die Anhänger der landläufigen Kriegsschuldthese ist Taylors Buch in-soferne gefährlicher, weil es sich um eine gewisse historische Objektivität bemüht. Allerdings ist unverkennbar, daß die Eitelkeit, auf keinen Fall mit der Herde blöken zu wollen, eine Triebfeder war. Vielleicht hat sie Taylor dazu bewogen, das Material nicht mit der verantwortungsvollen Gründlichkeit zu behandeln, die das Thema erfordert.

Den Vorwurf mangelnder Gründlichkeit kann man Hoggan nicht machen. Seine Akribie muß anerkannt werden. Sein Literaturverzeichnis umfaßt 53 Seiten, wobei allerdings kein Versuch gemacht wurde, die Spreu vom Weizen zu sichten. Zum Beispiel enthält es nicht weniger als 134 Titel polnischer Werke.

Das Werk eines Monomanen

Es ist tragisch, daß dieses Monumentalwerk von 900 Seiten so anfechtbar ist. Der Verfasser ist ein Monomane, der seinen Fleiß daran verschwendet hat, Hitler von jedem Makel freizusprechen. Bewunderung für Deutschland, die in seinen Studentenjahren in Harvard begann und sich später anscheinend bis zur Besessenheit steigerte, trieb ihn an. Natürlich erforderte das Bild Hitlers als eines maßvollen, friedliebenden Staatsmannes einen kriegslüsternen, skrupellosen Gegenspieler. Für diesen suchte sich Hoggan, wie erwähnt, den britischen Außenminister Halifax aus. Man sollte annehmen, er weiß, daß Halifax deswegen im Februar 1938 Nachfolger des Chamberlain nicht mehr genehmen Anthony Eden wurde, weil der Premierminister von seinem Außenminister volle Unterstützung seiner Politik verlangte. Er hätte sich daher eine geringere Blöße gegeben, wenn er gleich Chamberlain für die Rolle des Bösewichtes ausgewählt hätte. Traute er sich vielleicht nicht, weil dieser von den Nazis so gründlich düpiert worden war?

Auch Taylor entlastet Hitler von der bösen Absicht, einen Weltkrieg herbeizuführen. Er betrachtet ihn aber als Vabanquespieler, dessen Leichtsinn,

in Verbindung mit dem eines anderen Hasardeurs, des polnischen Außenministers Beck, den Krieg unvermeidlich machte.

Ein kurzer Blick in das Buch genügt, um zu sehen, daß der Verfasser ein Nachläufer des Nationalsozialismus ist. Nur im Antisemitismus unterscheidet er sich von den unbelehrbaren Apologeten des Braunauers, wenn er sich auch bemüht, die deutschen Judenverfolgungen harmloser als die polnischen hinzustellen — wohlbemerkt, er behandelt nur die Zeit bis zum Ausbruch des Krieges.

Rauschnings Mission

Konsequenterweise verfolgt er den Kronzeugen gegen Hitler, Hermann Rauschning, mit besonderem Haß. Er beschimpft ihn als „Renegaten“, der „ein Vermögen an seinen seltsamen Berichten über deutsche Verhältnisse für leichtgläubige, eng-lichsprechende Leser verdient habe“ (Seite 805). Er macht aus Rauschning einen „Gegner der gemäßigten Politik Hitlers gegenüber Polen“ und behauptet, „Hitler überredete ihn, im Juli 1933 nach Warschau zu fahren“ (Seite 85).

Dies ist eine gute Gelegenheit, um Hoggans Geschichtsklitterungen aufzuzeigen. Wie Dr. Rauschning dem Verfasser dieser Besprechung mitteilte, fuhr er aus eigener Initiative und ohne Begleitung des von Hoggan als ..polenfreundlich“ herausgestellten Arthur Greiser. Das ist derselbe Mann, der als Nachfolger Rauschnings eine nationalistische Politik betrieb, die ihn in einen Konflikt mit dem Völkerbund brachte. Rauschning bemühte sich um eine Bereinigung der Beziehungen zwischen Danzig und Polen auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Er räumte den in Danzig ansässigen Polen dieselben Minoritätsrechte ein, die den Deutschen in Polen zugebilligt waren. Unter Führung Greisers beschwerten sich die übrigen Mitglieder der Danziger Regierung hinter Rauschnings Rücken in einer Sonderafudienz bei Hitler, im Juli 1934, darüber, daß Rauschning eine Politik ernsthafter Versöhnung

mit Polen betreibe, statt Hitlers Freundschaftsbeteuerungen als Taktik zu begreifen. Dies führte schließlich zu Rauschnings Rücktritt. Hoggan streitet jede Absicht Hitlers,

„irgendwelches polnisches Gebiet zu fordern“ (S. 151), rundweg ab. Dagegen gesteht Taylor zu, Hitler sei nur deswegen nicht daran interessiert gewesen, weil er das ganze Land zum Trabanten machen wollte (S. 79). Taylor hat Recht, wenn er den Blankoscheck, den die britische Regierung Polen nach der Eroberung der Tschechoslowakei gegeben hatte, für verhängnisvoll hält. Er erklärt diese, in der englischen Geschichte einmalige Maßnahme mit schlechtem Gewissen, weil die Engländer ihr Versprechen der territorialen Garantie für die Rumpf-Tschechei nicht eingelöst hatten. Außerdem waren sie durch die Annexion Memels und die Warnungen deutscher Generale vor Hitlers

Absichten auf Polen in Panik versetzt worden. Sie erkannten jedoch sehr bald, was sie angerichtet hatten, als sie nicht auf solchen unerläßlichen Gegenleistungen Polens wie Zugeständnisse in der Danzig-Frage, Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und Hilfeversprechen für Rumä-

nien bestanden hatten. Die Polen entließen sie jedoch nicht aus ihrem Garantieversprechen, weil sie wußten, daß das angeschlagene britische Prestige eine einseitige Kündigung der Garantie nicht überstünde. Sie bildeten sich ein, die Garantie würde Hitler von einem Angriff abhalten.

Bei Hoggan dagegen sind die Engländer zu Irrtümern nicht fähig, nur zu diabolischen Machenschaften. Die Fortschritte der britischen Flugzeugproduktion hätten Halifax veranlaßt, die Garantie anzubieten, in der Hoffnung, sie würde die Polen zum Angriff ermutigen. Taylor bezeichnete ausdrücklich Neville Chamberlain als Urheber der Garantie. Bei Hoggan ist es natürlich Lord Halifax.

Der Ermordete ist schuld

Nach dieser flüchtigen Skizzierung der Hauptthesen der beiden Bücher wollen wir mit einer Betrachtung ihrer Einstellung zu Hitlers erstem Opfer, Österreich, abschließen. Man muß sich vor Augen halten, daß beide Autoren Hitler entdämonisieren. Immer wieder

reibt man sich die Augen und fragt, ist das derselbe Hitler, den man miterlebt hat? Selbstverständlich geht eine Verharmlosung Hitlers auf Kosten seiner Opfer. Darunter muß vor allem Österreich leiden, das man als „deutschen Staat“ der kein Recht hatte, sich gegen den Anschluß zu wehren, mit mitleidigem Lächeln abtut.

Taylor sieht es gewissermaßen als Verpflichtung Österreichs an, sich ohne Aufsehen von Hitler schlucken zu lassen. Daher ist die Märzkrise beileibe nicht die Schuld des „Führers“, sondern Schuschniggs. Zwar macht er zuerst eine Bemerkung, auf Grund deren man eine faire Schilderung erwartet. Schuschnigg sei „das Opfer einer eigentümlichen österreichischen Illusion“ gewesen, „des Glaubens, daß das Gewissen Europas zum Handeln gebracht werden könne, wenn nationalistische Intrigen und Agitation klar bloßgestellt würden“ (S. 139). Ganz abgesehen davon, daß dies ein Lob des österreichischen Gerechtigkeitsgefühles ist, wäre „das Gewissen Europas“ gar nicht berührt worden, wenn der Anschluß kein Unrecht gewesen wäre.

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