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Digital In Arbeit

Streikrecht, aber nicht Streikpflicht!

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Wer das Streikrecht der Arbeitnehmer heute leugnen wollte, tritt für die Aufhebung eines der Grundrechte der westlichen Demokratie ein. Es gibt eben Situationen auf dem Arbeitsmarkt und im Verlauf der Durchsetzung von arbeitnehmerischen Forderungen, bei denen der Streik das einzige Mittel ist, um den Arbeitnehmern zu ihren Rechten zu verhelfen. Heute können wir — rückblickend — sagen, daß das auf dem sozialen Gebiet Erreichte, daß auch die politische Stabilität zu einem guten Teil der (dosierten) Inanspruchnahme des Streikrechtes zu verdanken ist. Wenn der Arbeiter in der Lage ist, den Unternehmer durch zeitweiligen Entzug seiner Arbeitskraft unter Druck zu setzen, stellt dieses „Druckrecht“ eine Kompensation für die Vormacht dar, die der Unternehmer als Eigentümer der Produktionsmittel auf Grund seiner Eigentumsmacht besitzt. Schließlich haben auch die Unternehmer bei vielen nicht preisgeregelten Produkten die Möglichkeit, die Abnehmer ihrer Waren unter Druck zu setzen und von ihnen mit Erfolg die Zahlung von Preisen zu verlangen, deren Höhe sie — weil es sich um Güter des nicht abweisbaren lebenswichtigen Bedarfes handelt — spontan festgesetzt haben.

Es gehört also das Recht zu streiken, unbestritten zu den demokratischen Grundrechten. Nicht aber das Recht auf Bildung von Rollkommandos, auf Rechtsbeugung, auf Vernichtung wertvoller Waren, nicht das Recht, kleine Lehrbuben, weil sie Anordnungen ihrer Meister nachkommen, „in Haft zu setzen“ u. ä.

Die Tatsache, daß Streik recht vorhanden ist, bedeutet noch nicht, daß auch Streik-p f I i c h t besteht. Wer arbeiten will, soll es tun. Das ist sein Recht. Man komme uns nicht mit der Solidarität. Sie wurde im Falle der Straßenbahner in Wien vermißt. Und auch diesmal war es nach Zeitungsmeldungen so, daß in Filialen von Konsumvereinen Brot verkauft wurde.

Zu allem kommt, daß diesmal Meister (A 11 e i n m e i s t e r. wahrlich nicht im Besitz von Einkünften, wie sie etwa der Direktor eines sozialisierten Unternehmens hat) daran gehindert wurden, zu arbeiten bzw. das Produkt ihrer Arbeit zu verkaufen. Auch das gehört zur Demokratie: das Recht auf Arbeit. Warum soll 4er Meister nicht arbeiten? Etwa aus Gründen der notwendigen Solidarität? Wenn von Solidarität die Rede ist, dann in diesem Fall wohl von Solidarität des Bäckermeisters mit seinen Kunden.

Darüber hinaus gibt es eben Betriebe, in denen auch zwischen Arbeitern und den Meistern eine Art von Gemeinschaft herrscht, wie sie in Großbetrieben kaum mehr üblich ist. Warum soll der Arbeiter (der zudem noch über den Tarif hinaus bezahlt ist), streiken, wenn in seinem Fall der Streik einen menschlichen Konflikt zwischen ihm und seinem Meister hervor“ ruft? Orthodoxe Marxisten und aus einer anderen Zeit stammende Gewerkschaftsführer gehen heute noch davon aus, daß geradezu naturnotwendig zwischen dem „Kapital“ (repräsentiert durch den Meister) und der „Arbeit“ (den Gehilfen) ein Freund-Feind-Verhältnis vorhanden sein muß, das geradezu irreparabel ist. Das ist aber nicht so. Warum Spannungen züchten, wo ihr Entstehen keineswegs dem Arbeiter, wohl aber einigen Berufsfanatikern nützt?

Die Menschen zu einem Recht, wie es das Streikrecht ist, zu zwingen, stellt eine flagrante Verletzung der demokratischen Spielregeln dar. Freiheit heißt dann, wie es einmal ein prominenter Kommunist „sinnfällig“ ausgedrückt hat, das tun dürfen, was zu tun befohlen wird. Das Verhalten der Rollkommandos — nicht der Streikenden als solchen — hat den berechtigten Unwillen auch jenes Teiles der Bevölkerung hervorgerufen, der im Parteijargon als „arbeitende Bevölkerung“ bezeichnet wird. Daß Rollkommandos gebildet werden durften (offenbar mit Billigung der OeGB-Führung) ist Anlaß, ernste Bedenken zu äußern. Rollkommandos: Wir kennen sie aus der SA-Zeit, aus der Zeit, da Versammlungen gesprengt und Kultstätten angezündet wurden. Sicher war diesmal im Hintergrund die KP. Sie konnte mit dem OeGB und seinen Verantwortlichen zufrieden sein. Es hat geklappt. Unruhe war da, Güter wurden vernichtet, Menschen insultiert. Die Radikalisierung der Sozialisten (in der letzten „Zukunft“ angekündigt) hat begonnen.

Aber die Situation ist eine aridere als vor 1934. Begriffe wie „Ausbeuter“ und „Kapitalist“ haben einen anderen Inhalt bekommen. Das soll nicht heißen, daß es heute keine Ausbeutung gibt oder daß etwa die Löhne der Bäckereiarbeiter gar so. hoch seien. Niemand in der Bevölkerung (von einigen orthodoxen Liberalen abgesehen) hat diesmal das Recht der Arbeiter auf Lohnerhöhung bestritten. Um das ging es ja gar nicht. Nicht der KP und nicht den Angehörigen der Rollkommandos. Es ging um die Erzeugung von Unruhe schlechtweg.

Die „Ausgebeuteten“ waren diemal die kleinen Kinder der armen Leute und die Kinderreichen. Sie haben es gespürt, daß man ihnen zum Frühstück in die Schule kein Brot geben konnte. Und sie, die kleinen Leute, wurden daran gehindert (durch die so mit sozialen Gesten agierenden Rollkommandos), sich ihr Brot legal zu besorgen. Wenn sie mit Erfolg „brotlos“ gemacht wurden, diese „Kleinbürger“, deren Magen sie auf die Solidarität mit dem „arbeitenden Volk“ vergessen ließ, dann haben die Rollkommandos Erfolg gehabt.

Wenn etwas sich als Resultat des Bäckereiarbeiterstreiks ergibt, so ist es — wenn man die Gewichtigkeit der Preisregulierungen bedenkt — die Erkenntnis, daß es auch hätte anders gehen müssen. Die Preiserhöhungen sind derart geringfügig (freilich nicht für alle, aber für die überwiegende Mehrheit), daß man die Dinge auch vorher hätte regeln können. So meinen wir und sind weiter der Ansicht, daß die überraschende Ausrufung des Streiks andere als primär soziale Ursachen gehabt haben muß.

Was sind die außerökonomischen Ergebnisse?

1. Eine Welle von Gewerkschaftsfeindlichkeit, eine Schwächung der Position der dem Radikalismus abgeneigten Führer um Johann Böhm: Klenner und Olah. Der Mythos des Generalstreiks, die syndikalistische Entartung, im Osten ein todeswürdiges Vergehen, hat da und dort Durchbruchserfolge gehabt. Und wird sie in den nächsten Monaten noch haben. Denn der Streik der Arbeiter der Brotfabriken war nur eine kleine Probe auf das Exempel, ein Abtasten seitens der KP.

2. Wir haben aber auch erkennen gelernt, wie wichtig die gewerkschaftlichen Institutionen für die politische Stabilität sind, wie sehr es not tut, daß die staatsbejahenden Elemente unter den Arbeitnehmern aus ihrer Reserve heraus- und in die Gewerkschaften hineingehen.

3. Die Rollkommandos haben provokatorisch gewirkt. Da und dort wurden Gegenmaßnahmen eingeleitet. Wie einst. Denn was waren die verschiedenen Kampfverbände in der Zwischenkriegszeit anders als Rollkommandos? Mit dem Rollkommando fängt es an und mit dem Bürgerkrieg und mit dem Einmarsch irgendwelcher „Befreier“ endet es. Das sollte jenen zu denken geben, die da ein sehr gewagtes Spiel mit den gewerkschaftlichen Institutionen treiben und auf Kosten des Gedankens des Einheitsgewerkschaftsbundes den OeGB zu einem Instrument linksradikaler Elemente zu machen suchen.

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