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Streitbarkeit als Polit- Tugend

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Der „steirische Brauch” belebt Österreichs Politik. Die OVP könnte das Gstanzl um etliche Strophen erweitern. Sind die Steirer wirklich ein „wildes Bergvolk”?

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Der „steirische Brauch” belebt Österreichs Politik. Die OVP könnte das Gstanzl um etliche Strophen erweitern. Sind die Steirer wirklich ein „wildes Bergvolk”?

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Den Ruf, besonders streitbar zu sein, haben sich die Anrainer von Mürz und Mur nicht ohne Grund erworben. Genehmigen wir* uns einige Kostproben aus den letzten Jahren. Da finden wir etwa im September 1993 - und zwar ausgerechnet in einer von Herrn Pretterebner herausgegebenen Zeitschrift - folgende Aussage des steirischen ÖVP-Obmanns: „Wenn es aber nicht zu akkordierten Schritten zusammen mit der Bundespartei kommt, dann werden wir sicher unseren eigenen Weg gehen.” Derselbe meinte ein halbes Jahr früher bei einer Klausurtagung seiner OAAB-Landesgruppe im oststeirischen Wenigzell: „Der Weg der Mitte bringt den Bürger zum Gähnen.” Kurz vorher äußerte die Abgeordnete Cordula Frieser angesichts einer unergiebigen Debatte über die Geschäftsordnung des Nationalrats, sie sei „für einen Aufstand der Abgeordneten”. Schließlich sei als schärfstes Exempel hinzugefügt, was der über viele Jahre ins Wiener Parlament entsendete Paul Burg-staller der Parteizentrale entgegenschleuderte. Er war damals zwar schon dabei, der allgemeinen Ungnade zu verfallen, doch griff er ganz offensichtlich in den Grund seines kampferprobten Herzens, als er äußerte, er halte „die grüne OVP-Bagage da draußen in Wien” nicht aus, die nicht einsehen wolle, daß man mit Jörg Haider besser könne, als mit der „linken Szene, mit der man sich verhabert” habe. Streitbar zu sein ist notwendiges Attribut eines Menschen im öffentlichen Leben, der Gnade vor dem steirischen Auge finden will.

Ein weiteres, ganz wesentliches Element des steirischen Stils in der Politik ist, daß man stets auf Veränderung setzt. Die Steirer sind also ihrem Wesen nach Reformer. Sie stellen sich daher immer in die erste Reihe, wenn es gilt, die Dinge zu wandeln. Deshalb hat man immer Plattformen der Veränderung in der grünen Mark gezimmert oder zumindest von dort her unterstützt. Denken wir etwa an die seinerzeitige „Neue Österreichische Gesellschaft” oder den fast legendären „Ennstalfer Kreis”.

Sosehr das geschilderte mutige Drängen auf Erneuerung und Konfrontation positiv zu sehen ist, sosehr darf freilich auch nicht die Gefahr übersehen werden, daß Veränderung und Konflikt zum Selbstzweck werden. Überzogener Protest kann zur Blamage führen. Erinnern wir uns daran, mit welcher Vehemenz seinerzeit die steirische politische Führung gegen den Ankauf und die Stationierung der Draken-Abfangjäger zu Felde zog. Höhepunkt dieses einem sonst so wehrhaften Volk wohl nicht gut anstehenden Konfliktes war ein Mißtrauensantrag gegen den Verteidigungsminister. Das bedeutete eine einzigartige parlamentarische Aktion im Widerspruch zu allen sonst bestehenden Ixiyalitätsverpflichtungen. Später kam die Jugoslawienkrise, die die kriegerischen Auseinandersetzungen bis an die grüne Mark herantrug. Es ereigneten sich Luftraumverletzungen. Als im Juni 1991 die Draken I wenn auch nur mit Bordwaffen ausgerüstet - donnernd entlang der süd-steirischen Grenze patrouillierten, wurde kein Wort des Protestes mehr laut. Aus begreiflichen Gründen. Seit damals ist dieses Kriegsbeil begraben, wobei die Betonung auf dem Wort „dieses” zu liegen hat Man kann bei einer solchen kritisehen Betrachtung auch nicht daran vorbeigehen, daß die Steirer auf der Bühne der österreichischen Politik immer wieder neue Führer auf den Schild hoben, um gar nicht so lange danach mit Eifer dabei zu sein, wenn es darum ging, die dort Plazierten wieder herabzustoßen. Gerade das Schicksal der ÖVP-Bundesparteiobmänner ist von diesen Ereignissen gekennzeichnet, und zwar bis in die jüngste Vergangenheit. Es gibt einige eher dunkle Kapitel in der Geschichte dieser Partei, die davon berichten. Steirische Landesfürsten reisten an den Fuß des Gaisbergs oder in das Stift Melk, um dort Scherbengerichte über genau jene zu veranstalten, die man einige Zeit vorher geradezu als Heilsbringer anpries. Nomina sunt odiosa.

Gerade bei einem solchen Anlaß wurde aber einmal ein weises Wort gesprochen, das zu dem geschilderten Problem sehr viel aussagt. Wieder ging es um die ÖVP, denn bei den anderen Parteien tritt die steirische Eigenart, die wir untersuchen, viel weniger hervor - sei es, weil hier auf mehr Gleichschaltung Wert gelegt wird oder weil die politische Palette viel schmäler ist. Nach einer unglücklich verlaufenen Wahl rebellierte man offen gegen einen der Verantwortlichen und verlangte auf einem Parteitag seine Absetzung. Nachdem dieser Antrag nicht die Mehrheit gefunden hatte, herrschte unmutige Verlegenheit. Da erklomm Landeshauptmann Eduard Wallnöfer, das politische Denkmal aus Tirol, die Rednertribüne. In seiner unnachahmlichen Art räusperte er sich, nahm eine leicht gelalirnmte Haltung ein und sagte dann: „Wir brauchen die Steirer”. Kunstpause und wohlgefälliges Nicken im angesprochenen Sektor. „Und die Steirer brauchen uns. Daher meine ich, daß wir diesen Saal wieder

als geschlossene Gesellschaft verlassen sollen.” Tosender allgemeiner Beifall.

Gäbe es nicht die herb-deftige Art derer, die sich unter der grünweißen Fahne versammeln, würde der österreichischen Politik viel fehlen. Sie liefern ein wahrscheinlich unentbehrliches Element. Es wird in einem wohlkomponierten Gebilde österreichischer Politik benötigt - als Element eines Ganzen. Würde man hingegen tatsächlich die „eigenen Wege” gehen, wäre viel verloren. Nicht nur für die anderen Bundesländer, sondern auch für die Steiermark selbst. Dort weiß man das aber ohnedies.

Es wird daher wohl auch in nächster Zukunft alles beim alten bleiben, wie wir im gemeinsamen Interesse hoffen dürfen.

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