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Strukturwandel im deutschsprachigen Verlagswesen

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Die Verlagsproduktion eines Jahres, die im deutschsprachigen Bereich durch die buchhändlerischen Fachorganisationen und die Nationalbibliotheken titel- und umfangmäßig festgehalten wird, kann als analytische Quelle ersten Ranges und als aufschlußreicher Gradmesser für die Veränderungen und Verlagerungen des geistigen Interesses und der geistigen Bewegungen angesehen werden. Ganz besonders deutlich dann, wenn die statistischen Ergebnisse eines Jahres denen früherer Jahre gegenübergestellt werden.

Vor kurzem sind die Produktionsziffern für 1952 aus der Schweiz bekanntgeworden. 3245 Titel wurden in- und außerhalb des Buchhandels veröffentlicht. Diese Zahl ist die tiefste seit 1945; sie liegt um 30 Prozent niedriger als die Produktion im Rekordjahr 1948, das 4691 Titel verzeichnete. Zahlenmäßig fielen gegenüber dem Jahr 1951 am stärksten folgende Buchgruppen ab: Belletristik — um 136 Titel, Jugendschriften — um 96 Titel, Geschichte und Biographie — um 84 Titel. Die Sparten: Theologie, Medizin, Bau-Ingenieurwissenschaft, Kunst, Geographie und Reisebeschreibungen haben leichten Anstieg auszuweisen. Die Gesamtproduktion ist gegenüber 1951 um 10 Prozent geringer. Hinter 577 belletristischen Titeln rangieren als nächste Gruppen: Kunst mit 425, Rechts-Staatswissenschaft mit 324, Theologie und Erbauungsliteratur mit 282 Titeln.

Die Produktionsziffern für West- und Ostdeutschland und Oesterreich sind für 1952 noch nicht errechnet. Es kann aber erwartet werden, daß der Titelschwund nicht nur auf die Schweiz beschränkt ist. Genau genommen, müßten freilich die Auflagenhöhe der einzelnen Veröffentlichungen und der Absatz bekannt sein, um ein rechtes Bild vom Buch als Kultur- und Bildungsfaktor zu erhalten. Die Auflagenhöhe wie auch der Absatz ist aber vorläufig glicht in der Gesamtheit erfaßbar.

Der zahlenmäßige Schwund an erschienenen Titeln muß noch nicht ein Absinken des Interesses bedeuten. Ganz gewiß aber ein Absinken des verlegerischen Wagnisses. Dieses hat auf Kosten der fortschreitenden Industrialisierung, des deutlich erkennbaren Zuges zur Massenherstellung eines billigen Buchtyps, wie er nach amerikanischem Muster der „Pocket-Books“ in deutscher Abwandlung in den „Taschenbüchern“ von Rowohlt, S. Fischer, Non-stop und anderen Reihen sich abzeichnet, gelitten. Ohne Zweifel kommt diese Entwicklung dem Bedürfnis des lesenden Publikums entgegen. Der Kurt-Desch-Verlag hat — ebenfalls nach amerikanischem Vorbild der Buchklubs ■— eine Buchgemeinschaft für jedermann: „Die Welt im Buch“, geschaffen, die dem Abonnenten zwar keine Wahl läßt, dafür aber absatzgesicherte Riesenauflagen von Werken sogenannter „teurer“ Autoren mit Weltruf bietet. Ein Monatsbuch kostet nur ein Viertel des Ladenpreises der Originalausgabe. Daß Desch im Gegensatz zu den sonstigen Buchgemeinschaften den gesamten Sortimentsbuchhandel als Vertriebs-slellen kalkulatorisch hat einbeziehen können, sichert dem kühnen Unternehmen eine ungeheure Weite. Wir finden unter den ersten Monatsbüchern Autoren wie Remarque, Wiehert, Fallada, Plivier, Kades, Edschmid, Robert Neumann, Monnier, Hermann Kesten, Pearl S. Buck.

Wie sich diese Entwicklung hin zum Marken-und Massenerzeugnis auf das Verlagsleben auswirken wird, läßt sich heute noch nicht ermessen. Wir möchten wünschen, daß sich neue Leserschichten, die „Noch-nicht-Leser“ und die „Nicht-niehr-Leser“, die der Bequemlichkeit der Unter-haltungsmaschine im Rundfunk und Film verfallen sind, einstellen.

Wir möchten aber auch wünschen, daß durch das Diktat der Buchklubs nicht die wertvolle verlegerische Pionierarbeit begraben wird, ohne die ja kein Buchklub seine „Schlager“ hätte erwählen können. Die Gefahr der Kollektivisierung des Geistes ist gegeben; ihr ein wirksames Gegengewicht zu erstellen, ist die vordringlichste Aufgabe des Verlegers, sei es nun durch größeres Wagnis oder durch neue Methoden zur Verbilli-gung der Buchherstellung.

Die Statistik der erschienenen Titel zeigt eine fallende Tendenz. Die Zahl der gedruckten Bücher durch die aufgezeigte Entwicklung eine steigende.

Die verlagswichtigen Orte Die Struktur des Buchhandels wird nicht allein durch die Auflagenhöhe, die Zahl der Titel, den Umfang der einzelnen Veröffentlichung bestimmt. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat jüngst durch den Buchhändler S. Teubert eine interessante Statistik erstellen lassen, aus der der Umfang und die regionale Struktur des Verlagswesens ersichtlich wird. Auch von diesen Faktoren hängt die Entwicklung des deutschsprachigen Buches ab.

An der Buchproduktion 1951 waren 1985 Verlage beteiligt. Die Größenordnung dieser Verlage zeigt, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil dieser Firmen die Buchproduktion bestimmt. 41,15 Prozent aller westdeutschen Verlage gaben i951 nur einen Titel heraus, 14 Prozent nur zwei Titel und 16,8 Prozent drei bis fünf Titel. ,71,95 Prozent, also 1429 Verlage von den 1985 Verlagen, können nur als Gelegenheitsver-

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leger angesehen werden. Die überwiegende Mehrzahl der Titel, 81 Prozent der Gesamtproduktion, die 14.161 Titel umfaßt, wurde von 556 Verlagen herausgebracht. Von den 14.161 im regulären Buchhandel erschienen Titeln wurden verlegt in

Die fünf führenden Verlagsorte sind demnach München, Stuttgart, Westberlin, Hamburg und Frankfurt.

Nach der Zahl der in diesen Städten erschienenen Titel gereiht, rückt Stuttgart mit knapp 13 Prozent vor. München an die erste Stelle. Stuttgart hat 1951 — 1826 Titel, München 1678, Westberlin 1136, Hamburg 688 und Frankfurt 646 Titel herausgebracht.

Der Leipziger Platz ist weithin von Verlagen entvölkert. Kaum ein führender Verleger, der sich nicht nach Westen abgesetzt hätte.

Der Verein der österreichischen Buch-, Kunst-und Musikalienhändler hat bis nun noch keine Statistik nach regionalen Gesichtspunkten angestellt. Trotzdem sollen wenigstens auf Grund des Adreßbuches des Oesterreichischen Buchhandels und der Kenntnis der Verlagsproduktion die entsprechenden österreichischen Ziffern gewagt werden. Die Produktion verteilt sich auf die sechs Landeshauptstädte. Wien ist weithin führend. Auffallend sind die große Anzahl Verlagskonzessionen ohne Produktion. Den echten über fünf Titel im Jahr produzierenden Verlegern, 78 an der Zahl, stehen 291 Gelegenheitsverleger gegenüber.

Verlagsorte lieber 5 Titel Gelegenheitsvcrlage

Wien 57 207

Innsbruck 6 12

Salzburg 5 34

Graz 4 12

Linz 3 14

Klagenfurt 3 12

Vor einem Vierteljahrhundet dürfte es in Oesterreich kaum mehr als 10 Prozent dieser Verlegerzahl gegeben haben. Oesterreich hat sich in die europäische Buchproduktion eingegliedert und behauptet seinen Platz.

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