6780150-1969_40_03.jpg
Digital In Arbeit

Südtirol — das Opfer der Innenpolitik?

19451960198020002020

In Österreich verkennt man bis heute noch immer die grundsätzlich-vergängliche Bedeutung des seinerzeitigen Pariser Abkommens. Es beruhte praktisch auf einer einmalig günstigen Lage für Österreich und einer ebenso einmalig ungünstigen Lage für Italien. Daß diese Situation nicht lange dauern werde, war von vornherein klar; Eile, sie auszunützen, war also geboten. Das widersprach jedoch dem Kurialstil des Ballhausplatzes. So steht auch am Beginn dieses Problems ein Widerspruch: der des nicht sogleich energisch betriebenen Interesses, verbunden mit der Schwäche des geduldigen Gläubigers. Für beides sind die seit dem Pariser Abkommen verflossenen 23 Jahre ein trauriger Beleg.

19451960198020002020

In Österreich verkennt man bis heute noch immer die grundsätzlich-vergängliche Bedeutung des seinerzeitigen Pariser Abkommens. Es beruhte praktisch auf einer einmalig günstigen Lage für Österreich und einer ebenso einmalig ungünstigen Lage für Italien. Daß diese Situation nicht lange dauern werde, war von vornherein klar; Eile, sie auszunützen, war also geboten. Das widersprach jedoch dem Kurialstil des Ballhausplatzes. So steht auch am Beginn dieses Problems ein Widerspruch: der des nicht sogleich energisch betriebenen Interesses, verbunden mit der Schwäche des geduldigen Gläubigers. Für beides sind die seit dem Pariser Abkommen verflossenen 23 Jahre ein trauriger Beleg.

Werbung
Werbung
Werbung

Hingegen ist Italien nicht müßig geblieben. Es hat mit der Schaffung der Region Trentino-Südtirol (27. Juini 1947) und des Autonomie- Statuts für sie (29. Januar 1948), also binnen nicht ganz 17 Monaten, Österreich vor ein verfassungsrechtlich untermauertes fait accompli gestellt, dem Wien zunächst bis Ende 1951 mit der billigen Hoffnung, daß sich die Autonomie „einspielen” werde, ziemlich tatenlos zusah, um sodann miiit einer Verbalnote einen hoffnungslosen Papierkrieg zu beginnen. Als Italien in der zweiten Hälfte 1953 Selbstbestimmung für Triest verlangte, wunde das öster- reichischerseits zugunsten Südtirols nur sehr lahm ausgenützt. Die fruchtlose diplomatische Korrespondenz lief dann von 1954 bis Mitte 1856 weiter. Als Nationalrat Professor DT. Franz Gschnitzer Staatssekretär im Außenamt wurde, war es — dies läßt sich heute leicht einsefhen — angesichts der weltpolitischen Veränderungen im vergangenen Jahrzehnt für österreichische Forderungen aus dem Pariser Vertrag bereits zu-spät…

Hątįte „sich doch Jfgggn), wgl oli sehe Position bis dahin entscheaaend verändert. Seit 4. April 1949 war es Mitglied der Nordatlantikpaktorga- nisation (NATO) und damit zugleich eines der strategisch wichtigsten, was zur Folge hatte, daß die politischen und militärischen Bestimmungen des Friedensvertrages mit Italien vom 10. Feber 1947 entweder de facto oder in Noten der Alliierten vom Dezember 1951 ausdrücklich als „überflüssig” bzw. als „nicht vereinbar mit Italiens Stellung als gleichberechtigtes Mitglied der demokratischen und freiheitsliebenden Völkerfamilie” erklärt wurden. Darunter fiel immerhin auch der Artikel 15 des Friedensvertrages, mit dem Italien unter anderem verpflichtet wurde, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um allen Personen unter italienischer Jurisdiktion … den Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sichern”, sowie unter anderem das Verbot von Spezialwaffen, das Österreich noch viereinhalb Jahre später auf erlegt wurde. Die Tatsache, daß der Artikel 10 des Friedensvertrages, in dem die Alliierten von dem Pariser Abkommen im Annex 4 Kenntnis nehmen, nicht unter die „gestrichenen” Bestimmungen gefallen ist, versetzt Österreich nur in die hoffnungslose Rolle des nunmehr einzigen Gläubigers aus dem Friedensvertrag.

Hebt sich doch der Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 erst von dieser Folie doppelt ungünstig als ein de facto und de jure den Status eines besiegten Landes begründendes Instrument ab: alle Verpflichtungen, deren Italien seit achtzehn Jahren ledig ist, bleiben Österreich so weiterhin von außen auferlegt; es sind dies vor allem die Einschränkung der außenpolitischen Beweglichkeit (Art. 4), der Achtung der Menschenrechte (Art. 6) und jener der Minderheiten (Art. 7), wesentliche Grundsätze der Verfassung (Art. 8,, Verbot von Spezialwaffen (Art. 13) und die Erhaltung fremder Siegesdenkmäler auf eigenem Boden (Art. 19). Angesichts dieser Tatsache erscheint die Bezeichnung der österreichischen Neutralität als „adäquat” erst richtig ad absurdum geführt.

Ferner hatte allein schon die von Italien mit Macht betriebene Einwanderung von Italienern nach Südtirol einen sehr maßgebenden Faktor der Grundlage des Pariser Abkommens so entscheidend verändert, daß diesem bereits damals praktisch ein anderer Vertragsgegenstand zugrunde lag, für den es nicht gemeint war. Bezeichnenderweise ist denn auch seitens Italiens seit Jahr und Tag von der Notwendigkeit die Rede, in allen allfälligen weiteren Vereinbarungen den Status einer italienischen Minderheit in Südtirol zu berücksichtigen, die es zur Zeit des Abschlusses des Pariser Abkommens, zumindest im heutigen Ausmaß, nicht gab.

Die unbefriedigenden Zustände lösten schließlich eine Serie von Sprengstoffanschlägen aus, über deren eigentlichen Anlaß die Welt durch prompte Entschuldigungen von offizieller österreichischer Seite dauernd hinweggetäuscht wurde. Diese Taktik führte schließlich folgerichtig zum italienischen Veto gegen die Erteilung eines weiteren Mandats an die EWG-Kommission zu Verhandlungen mit Österreich; aus dem Gläubiger in Paris war nach 21 Jähren der Sündef in Brüssel geworden, mit dem Italien nunmehr ungleich leichteres Spiel hatte.

Das hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich gezeigt. Hier kam Rom vor allem die in Eduard Ludwigs Buch „Österreichs Sendung im Donauraum” gestreifte, vielleicht größte Schwäche Österreichs zugute: der traditionelle Primat der Innenpolitik auch über die Außenpolitik, der sich darin ausdrückt, daß diese vorwiegend parteipolitisch gelenkt wird.

Die „Bruderpartei” Dr. Jennys

Seit der Südtiroler Landtagsabge- ordnete Dr. Egmont Jenny zuerst in den Verdacht kam, von der SPÖ „ferngesteuert” bzw. ihr „langer Arm” zu sein und schließlich Ende April 1966 die „Südtiroler Soziale Fortschrittspartei” gründete, hat die Tiroler Fraktion der SPÖ und durch sie die Leitung der Sozialistischen Partei alles getan, um diese gefährliche, allerdings bis jetzt kaum schädliche Spaltung — nicht nur hat Jenny bei den Landtagswahlen am 17. November 1968 kein Mandat gewonnen, sondern die Südtiroler Volkspartei hat das durch seinen Ausschluß verlorene Mandat zurückgewonnen — nach Kräften zu fördern. Sie ist dabei Ende 1967 so weit gegangen, ihre weitere Teilnahme an Beratungen mit den Südtirolem an die Bedingung zu knüpfen, daß auch Dr. Jenny, für den bei den Landtagswahlen von 227.422 Wählern nur 5329 (2,34 Prozent) gestimmt hatten, zugezogen werde. Im gleichen Geist sprach der SPÖ-Vorsitzende Doktor Kreisky am 25. Feber 1968 in Solbad Hall von der „Bruderpartei”.

Daß die Tiroler Vertreter der sozialistischen Partei nunmehr an der Innsbrucker Südtirolkonferenz am 15. Februar 1969 auch ohne Doktor Jenny schweigend wieder teilgenommen haben, entsprang natürlich wieder nicht staatspolitischen Erwägungen und Einsichten, sondern war nach der Niederlage der „geringsten Bruderpartei”. , und angesichts der : für zwei ,Tage später anberaumten Bešprė &ungen zwischen deni’ Generalsekretär der italienischen Sozialisten und dem Vorsitzenden der SPÖ wiederum nur ein parteipolitisches Vorbeugen, nämlich der bereits ziemlich deutlichen Gefahr der Ausschaltung. Besagte Besprechungen brachten dann die wesentliche Erfahrung, daß der italienische Partner das ausgesprochen waidmännische Interesse der österreichischen Seite an der Jagd nach dem Wahlschlager natürlich nicht teilt und sein Sozialismus dort endet, wo das nationale Interesse beginnt, das der österreichische Durchschnittspolitiker im Parteiinteresse leichthin preisgibt.

Dies spricht deutlich von der empfindlichsten Schwäche der österreichischen Außenpolitik: von ihrem brüchigen innenpolitischen Unterbau. Das zeigt sich heute wieder einmal deutlicher denn je, unter anderem darin, wie beide großen Parteien im Zusammenhang mit Südtirol einander die Jagd nach dem Wahlschlager vorwerfen; beide haben natürlich recht. Das nationale Anliegen wird so zum parteipolitischen Schlagwort auf den eigenen Straßen. Es gibt aber nicht nur diesen allseitigen österreichischen Zwiespalt, sondern auch noch eine wachsende Entfremdung zwischen diesem durch ihn geschwächten Apparat und den Südtirolern. Dafür nur ein Beispiel: Nachdem sich der Tiroler Landeshauptmann am 11. September 1968 höchst optimistisch über die Absichten der damaligen Regierung Leone — wer hatte sie ihm anvertraut? — geäußert uhd gemeint hatte, es sei zu erwarten, „daß im Laufe des Oktober oder November die noch offenen Fragen auf Ministerebene behandelt und vielleicht zu einem befriedigenden Abschluß gebracht werden können” usw. usw., sagte der Südtiroler Abgeordnete Dr. Karl Mitterdorf er einen Tag später in dem von ihm auf dem Kongreß der Föderation der europäischen Volksgruppen gehaltenen Hauptreferat unter anderem, eine Lösung von Minderheitenproblemen auf dem Verhandlungswege sei nicht möglich. Lösungen gebe es nur zweierlei: Entweder man vertreibe die Minderheit, oder diese kehre zum zugehörigen Staatsvolk zurück. Optimismus sei nicht am Platz; er habe in den bisherigen Verhandlungen den Optimismus verlernt.

Von italienischer Seite kommt jedoch nicht die geringste Ermutigung zum Optimismus, es sei denn, man nimmt hierzu eine neuere Meldung zum Anlaß, wonach in Rom zur Beratung der noch offenen Fragen ein Ministerkomitee gebildet werden soll. Gewiß: die Maschine rotiert seit zirka 23 Jahren ununterbrochen, aber sie produziert nicht.

Mit einem Zankapfel zwischen der Volkspartei und der Sozialistischen Partei sowie der österreichischen und Südtiroler Seite kann man natürlich schwer nach außen wirken; dies um so weniger, als es hier nicht nur um einen internen theoretischen politisch-taktischen Disput, sondern um ein zuweilen perniziöses Tun geht.

Wie will man da gegen einen Partner aufkommen, dessen politische Parteien aus Mitgliedern bestehen, die, wie Kreiskys Meraner Erfahrung zeigt, zuerst einmal ganze Italiener sind. Wo ist dagegen ein ganzer Österreicher, der nicht zuerst Parteimann ist?

Unter solchen Umständen fehlt natürlich auch hier jede Folgerichtigkeit und Geradlinigkeit.

Das andere Übel

Es ist hier leider nicht der Platz, um unter anderem im Zusammenhang mit der österreichischen Politik im Falle Südtirol die tiefe Verwurzelt- heit eines ihrer bösesten Übel aufzuzeigen, nämlich des Mangels realistischer Einschätzung bestimmter Fakten. Genauso wie man vor 120 Jahren das Wesen einer gewaltigen sozialen Umwälzung verkannt und zunächst um die Erhaltung eines durch sie überholten Absolutismus gekämpft hat, so steht man nach i 23 Jahren auf dem Bode meines ebenfalls durch den Gang der Geschichte längst überholten Abkommens und agiert, noch immer von ihm ausgehend, im luftleeren Raum. Auf diese Weise wächst die oben mit konkreten Beispielen belegte Entfremdung zwischen einem Klienten, der um die Erhaltung seiner ihm gemäßen Existenzform kämpft, und seinem Anwalt, der nicht nur ihn, sondern auch die eigenen Leute nur „abspeisen” will. Wie weit dies bereits gediehen ist, ist daraus zu ersehen, daß die Südtiroler allmählich lieber mit Rom verhandeln und sowohl die Wiener als auch die offizielle Innsbrucker Haltung mit gewissen Ausnahmen nur schweigend zur Kenntnis nehmen, um sich sodann in der lateinischen Klarheit Roms von dem jede Staatspolitik von vornherein vereitelnden Wiener Parteigeist zu erholen.

Rom und Bozen

Die Ironie der gegenwärtigen Situation liegt darin, daß die österreichische Außenpolitik auf dem besten Weg zu sein scheint, zwischen Rom und Bozen eine Art russisch-amerikanischer Interessengemeinschaft herbeizuführen und zu stärken, das heißt sie sich von verschiedenen Standpunkten her in der Ablehnung eines Konzepts finden zu lassen, in dem die einen eine ungebührliche Erweiterung des Pariser Abkommens und Einmischung in interne Verwaltungsmaßnahmen, die anderen ein Ergebnis sehen, das ihnen den Strick um den Hals legt. Die in letzter Zeit sich abzeichnenden Schwierigkeiten könnten so den beiden Partnern jenseits des Brenners gegen alle Erwartung des Ballhausplatzes am Ende noch willkommen werden.

So ist es sehr leicht möglich, daß unsere Südtirolpolitik an der vereinigten Ablehnung der Südtiroler und Italiener scheitern wird, da letztere sich jetzt, da sie mit Bozen nun wenigstens schon in der mißbilligenden Zurückweisung dei österreichischen außen-innenpolitischen Hydra eines Sinnes sind, kaum noch von Wien bei allenfalls nicht ganz aussichtslosen Verhandlungen mit den Südtirolem werden stören lassen wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung