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Südtirol gestern und heute

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Bozen, Anfang Jänner Vor mir erheben sich Türme steil zum Himmel, Nadeln und Zacken, so unwahrscheinlich kühn, als sollten die Naturgesetze nicht mehr gelten; rosenrot leuchtet der Dolomitkalk in diesem scharfen Lichte, Drunter eine Harmonie von dunklen Wäldern und Wiesen. Bis 1500 Meter braune Streiten: bis zu dieser Höhe baut der Bauer in diesem gesegneten Lande Gerste und Hafer, und sein fleißiger Arm zwingt den Weizen noch bis 1000 Meter Höhe. Nun, da ich vom Süden komme, es wiedersehe, packt mich seine Schönheit mit Allgewalt. Wer würde dieses Land und seine Menschen, die er kennengelernt, nicht lieber^! An einer nationalen Katastrophe ist Deutsch-Südtirol vorübergekommen. Sieben Jahre lang habe ich dieses Land entbehren müssen.

Man hat es nicht verstanden und es den Südtirolern verargt, daß gerade sie in so großer Anzahl — 89 Prozent zu Beginn, später als die Wahrheit durchsickerte, gab es Widerrufungen — für Hitler-Deutschland stimmen konnten. Wer aber die Manöver und Wahlpraktiken kennt, die die Nationalsozialisten anwendeten, um das unwissende Volk zu betrügen und irrezuführen, wird sich nicht mehr wundern. Geschlossene Südtiroler Siedlungen im österreichischen Alpengebiete, in Burgund, im Elsaß wurden ihm versprochen, sogar die Dörfer sollten die alten Tiroler Namen erhalten; alle „Dableiber“ aber müßten nach Sizilien auswandern. Später wurde diese Schreckensnachricht dahin gemildert, es genüge das Gebiet jenseits des Po. Denjenigen, die noch nicht überzeugt waren, wurde geheimnisvoll bedeutet, es müßten alle geschlossen für Deutschland stimmen, denn Mussolini werde sich hüten, die gc-samtt Bevölkerung auszutreiben. Die unentwegten Tiroler, die „Verräter“ aber erhielten Drohbriefe. — Welcher Bauer, wenn auch nicht aus diesem Paradiese stammend, verläßt leichten Herzens seine Heimat, er, dem schon die Fahrt in die Stadt ein Ereignis, die fremde Erde aber die große sdireckcnsvolle Unbekannte ist? Gewiß, es gab auch Nazisten in Südtirol! Das Bauernvolk aber — und Südtirol besteht zu 75 Prozent aus Bauern — ist katholisch und hatte mit Nationalsozialismus nichs zu tun. Nur die lügnerische Propaganda und die Hoffnung, nach 20 Jahren Peinigung endlich Erlösung zu finden, ließen ihm den großen Schritt wagen.

Die deutschen Schulen hatte man ihm schon längst genommen, selbst der Privatunterricht in deutscher Sprache galt als Verbrechen, das mit Konfinierung auf den liparrischen Inseln geahndet wurde. (Der Privatunterricht war nur bis zu vier Schülern gestattet, womit man allen minder-, bemittelten Schichten die Teilnahme unmöglich machte. Ungeachtet der Gefahr, organisierten jedoch die meisten' Landpfarrer mit Hilfe von eingesdimuggelten Fibeln insgeheim einen notdürftigen Deutschunterricht, so daß. weon heute die Jugend die Muttersprache *uf Not lesen und schreiben kann, dies ihr großer geschichtlicher Verdienst ist.) Wohl war es

Dollfuß gelungen, Mussolini zum Zugeständnisse zu bewegen, unter gewissen Voraussetzungen den deutschen Privatunterricht zu gestatten, in der Praxis aber wurde dieses Zugeständnis wieder zur Farce: im ganzen Lande wurden... zwei deutsche Schulen errichtet! Alle Aufschriften, gleichgültig, ob öffentlicher oder privater Natur, waren italienisch; bei der Durchführung der Einsprachigkeit war mit rücksichtsloser Härte vorgegangen worden, so daß zahlreiche Personen, die die Durchführung innerhalb der kurzen gestellten Frist nidit durchführen konnten, mit Strafen belegt wurden. Alle deutschen Beamten und Lehrer waren (mit ganz geringen Ausnahmen) entlassen. In den Ämtern traf man höchst selten Beamte, die der deutschen Sprache mächtig gewesen wären; ich war Zeuge eines Vorfalles, bei dem ein 70jähriger Bauer aus einem weltfernen Ge-birgstale in einem Syueramte abgewiesen wurde, weil er der italienischen Sprache nicht mächtig war. Die Orts- und Flurnamen waren schon längsfitalienisicrt worden, nun ging man an die Familiennamen heran. Erst versuchte man es mit e:ner freiwilligen Italienirierung, dann, als diese keine Resultate zeitigte, wurde dekretiert, daß alle jene Namen, die nachweisbar aus dem Italienischen stammten (und der Nachweis wurde unschwer erbracht), sowie jene, die an eine örtlichkeit anknüpften, in die italienische Urform zurückzubringen seien. Um dem Werke die Krone aufzusetzen, wurden Italiener mit Macht aus den alten Provinzen hereingepumpt. Von Mussolini selbst stammte die Idee der Bozencr Industriestadt, die bald 30.000 italienische Arbeiter zählte.

So war es denn nicht zu verwundern, daß selbst Menschen, deren Weltauffassung der des Nationalsozialismus diametral entgegenstand, die Rettung aus diesem Elende in einer Auswanderung nach Deutschland sahen. ,

Der Dank Hitlers für das Bekenntnis zu Deutschland? Sofort nach dem Einmarsch'im September 1943 begannen die Verhaftungen und Internierungen; schon nach wenigen Wochen wurde die gesamte Jugend, also auch diejenigen, die für Italien gestimmt hatten, zum Waffendienste herangezogen, und als das Polizeiregiment Brixen sich weigerte, Schergendienste zu tun (sie hatten „schlapp“ gemacht!), wurde es strafweise an einen russischen Frontabschnitt versetzt, dorthin, wo der Tod seine reichste Ernte holte. Kaum einer sah seine Heimat wieder!

Wie ist nun.heute die Lage in Südtirol? Ich will versuchen, getreu, als Chronist zu schildern, wie ich wieder das Land gefunden. Die Kritik sei anderen überlassen.

Nach ihrem Einzüge hatten die Deutschen die Verhältnisse sofort auf den Kopf gestellt. Die Alliierten haben dann während ihrer kurzen Besetzungszeit versucht, einen gerechten Ausgleich herzustellen. Heute kann man im allgemeinen von einer Zweisprachigkeit in Südtirol sprechen; die öffentlichen Aufschriften, Straßennamen, amtlichen Verlautbarungen sind doppelsprachig; für die Straßennamen

wurde teilweise auf die alten traditionellen Bezeichnungen zurückgegriffen, meiste-teils verblieben allerdings die aus iem Italienischen stammenden Bezeichnungen. Es existieren Schulen für beide Nationalitäten, und zwar sowohl Volks- als Mittelschulen; jeder sendet sein Kind in die Schul seiner eigenen Sprache. In den Volksschulen wird täglich eine Stunde Unterricht in der anderen Landessprache erteilt, in den Mittelschulen entsprechend mehr. Die Bürgermeister der einzelnen Gemeinden gehören jenem Voiksstamme an, der in der betreffenden Gemeinde die Mehrheit besitzt, in Bozen, Meran und wenigen anderen Gemeinden, wo die Italiener infolge Zuwanderung bereits in Mehrzahl sind, sind es daher Italiener, in den übrigen Gemeinden Tiroler. Die Bevölkerung beklagt sieh über einige Ausnahmen zugunsten der Italiener; amtliche Bescheide, Gerichtsurteile werden doppelsprachig ausgestellt. Ein schwer zu lösendes Problem ist die Heranbildung zwei Sprachen beherrschender Beamten. Die faschistische Regierung hat fast alle devJtsch-sprechenden Beamten und Lehrer ert-v lassen. Bisher ist eine L e h r e r i n n,e,n-b i 1 d1S n g s a n s t a 11 und ein Kurs für Gemeindesekretäre errichtet worden; die italienischen Staatsbahnen haben überdies Ausschreibungen für Beamtenstellen (größtenteirs technischer Natur), die von Tirolern zu besetzen sind, i angekündigt. Radio Bozen ist itaüeAfseh, sendet jedoch zweimal täglich Nachrichten in deutscher Sprache.

In der Frage des Anschlusses;** Österreich war ganz Südtirol “einig. Trotz der ungünstigen Vorentscheidungen der vier Großen hoffte man noch immer auf eine, günstige Wendung. Eer einfache Mann konnte nicht verstehen, daß durch Kompromisse und Verquickung mit anderen Fragen klares Recht so plötzlich mißachtet werden sollte. Nach Verlautbarung der Vereinbarung zwischen Österreich und Italien war daher die Enttäuschung im ersten Augenblicke groß; erst langsam begann man einzusehen, daß das Erreichte das Maximum dessen darstellte, was für den Augenblick erhofft werden konnte. Die meisten innerpolitischen Fragen waren ja im Abkommen mehr oder minder eindeutig geregelt. Das größte Bedenken, da man in Südtirol gegenüber einem VerWeih im italienischen Staatsverbande gehegt hatte, nämlich jenes, daß die Vtfeiwbimim mit

der heutigen italienischen Regierung von einer späteren Regierung umgestoßen werde könnte^ *ie einst Mussolini erklärt hatte, durch die Versprechungen der früheren Regierungen nicht gebunden zu sein, war nunmehr zerstreut, da ja das Abkommen international verankert werden sollte und daher nicht mehr vom guten Willen einer Regierung allein abhängt. Doch sind zwei weitere Bedenken der Südtiroler durch das Abkommen nicht ohne weiteres geklärt. Vor allem ist es nicht klar, oh die zu erwartende Autonomie anf das deutschsprachige Gebiet abgegrenzt werde, wie es die Mehrzahl der Südtiroler wünscht, oder ob die Autonomie den Provinzen Bozen und Trient gemeinsam gegeben werden soll, wie De Gasperi es ursprünglich geplant hatte. Man ist nicht abgeneigt, in ein näheres Verhältnis mit den Trcntinern zu treten, mit denen die Südtiroler durch historische Vergangenheit, Verwandtschaft der Sitten und Auffassungen und Gemeinsamkeit gewisser Interessen verbunden sind, wünscht jedoch in allen jenen Fragen, die dje Sprache betreffen, mit der Regierung allein verhandeln zu können, um die Gefahr einer 'Majorisierung zu vermeiden. Immerhin vernimmt man, daß in dieser Frage n'pcli“ Verhandlungen g e-pf lpge-n erden. Noch weniger beruhigt föhlr'man sich jedoch hinsichtlich einer anderen alten Beschwerde, der der forcierten Einwanderung aus den alten Provinzen des Reiches. Schon heute bilden d*V- Italienerv infolge dieser Einwanderung • in manchen Städten die Mehrheit und man ■fürchtet, daß'^bei Fortsetzung dieses Zustande die„ heimische Tiroler Bevölkerung früher oder später in die Minderheit gedrängt werden könnte, abgesehen davon, daß das Bergknd nicht unbegrenzte Lebensmöglichkeiten bieten kann und durch die Einwanderung überflüssiger Elemente der Lebensstandard, der in den Städten schon heute ein recht gedrückter ist, sich noch ungünstiger gestalten könnte.

Man wiederholt sich aber, daß noch' wichtiger ak der Inhalt des Dokumentes der Geist ist, der die Partner bei der Durck-führung beseelt, und daß es für Italien gerade im gegenwärtigen Augenblicke von Wichtigkeit sein muß, wenigstens an einer Grenze eine zufriedene Bevölkerung rmd einen freundlich gesinnten Nachbarn zu besitzen.

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