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Südtirol und die italienische Presse

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Der Südtirolvertrag zwischen Österreich und Italien vom September 1946 ist seinerzeit als vorbildliches Beispiel einer Verständigung unter den Völkern gepriesen worden und stand Wochen hindurch im Mittelpunkt zwischenstaatlicher Komplimente. Aus diesem Stadium 16t der Vertrag nunmehr heraus, und wir wissen bereits über die ersten und wichtigsten Früchte dieser Saat des Friedens. Die Südtiroler Autonomie ist — wenn auch in etwas anderer Form als der gedachten — Wirklichkeit geworden; die Revision der Optionen des Jahres 1939 und 1940 wurde gesetzlich festgelegt und läuft gegenwärtig auf vollen Touren (langsam kehren auch schon die ersten Rückwanderer nah Südtirol zurück), auh das Sonderstatut über den bevorzugten Wirtshaftsverkehr zwishen Nord- und Südtirol ist nah langwierigen Verhandlungen endlich am 1. Juli 1949 in Kraft getreten.

Ohne Zweifel stellen diese Ergebnisse einer vernünftigen Außenpolitik zweier benachbarter Völker einen erheblihen Erfolg dar. Sie wurden als solher nicht nur von der österreihishen Presse, sondern auh von einem Teil der italienishen oft genug gewürdigt. Daneben allerdings ist ein Teil der italienishen Presse immer wieder bemüht, die im Vertrag niedergelegten Verpflichtungen Italiens entweder zu verwässern oder gar als mit den Existenzbedingungen Italiens unvereinbar, ja staatsgefährlih hinzustellen. Gino Belli geht im Mailänder „Avanti“ sogar so weit, zu behaupten, daß das Kompromiß von Paris nur mit dem Seitenblick auf die noh offene Frage Triests abgeschlossen worden sei, daß seine Aufnahme in den italienishen Friedensvertrag keine an diesen Vertrag gebundene Verpflichtung Italiens, sondern nur eine „Kenntnisnahme“ durch die unterzeichnenden Großmähte darstelle, die wieder durh ihre Untershrift keineswegs zur Garantie des Pariser Vertrages verpflichtet seien. Wert und Dauer dieses Vertrages hingen allein von Italien und österreih ab.

Zwei Methoden kennzeichnen diese Pressepolemik: die eine suht zu beweisen, daß Regionalautonomien besonders im Grenzgebiet, also in Südtirol, geeignet sind, dort Zonen der nationalen und militärischen Unsicherheit zu schaffen und dadurch die Siherheit Italiens zu gefährden. Die andere, robustere, suht die Südtiroler Bevölkerung vor dem italienishen Volk und in der Meinung des Auslandes als Irredentisten und staatsgefährlihe Banditen hinzustellen.

Im Mailänder Blatt der italienishen Sozialbewegung „Vent Anni“ wird die Südtiroler Autonomie besonders heftig verurteilt, und zwar erstens wegen der „separatistischen Einstellung der Südtiroler“, zweitens aus strategischen Gründen (ein Großteil der alliierten Einflüge nah Oberitalien erfolgte über das Eisacktal) und drittens aus wirtschaftlichen Gründen. Die römische „Libertä“ warnt die italienische Volksgruppe in Südtirol vor den „pangermanistischen“ Südtirolern; die italienishen Parteien sollen sih bewußt sein, daß sie in ihnen ihre gefährlihsten Feinde zu sehen haben! — Das „Komitee für die Verteidigung der nationalen Einheit Italiens“ erließ anfangs Februar einen Aufruf an das italienische Volk, in dem es gegen die Errichtung der Regionalautonomien Stellung nimmt, die das Werk der nationalen Einigung seit 1948 zunihte mähen würden; der Aufruf ist u. a. von Prof. G. Volpe, Marshall Messe, Prof. Giov. Papini, Prof. A. Scialoja und Prof. Attilio Tamara unterschrieben. — „L’Ora dell’Azione“ (Rom) behauptet, „daß sih Südtirol zu einem kleinen Dritten Reih post festum zu entwickln sheint. Diesen Anzeihen muß olle Aufmerksamkeit zugewendet werden, da nah dem Ausgang der Regionalwahlen die pangermanistischen Bestrebungen in zunehmender Entwicklung begriffen sind. In Meran, Brixen und Bozen gibt es solche Zentralen, die mit einem gewissen Mißtrauen beobachtet werden müssen, da sie eine shwere Gefahr für Italien darstellen“. — Selbst in einem se geachteten Blatt wie „L’Awenire d’Italia“ schreibt A. Donati: „Etwas aber geht auf keinen Fall. Die Italiener haben sich mit ihren eigenen Händen eine Torpedowaffe geshaffen und sie dem Feind übergeben: die fast obligatorishe Doppelsprahigkeit. Es gibt kein Gesetz, das sl festlegt, keinen Artikel das Autonomieitatuts, der sie vorsehen würde, und dennoch sprehen alle von ihr und wird sie von allen gefürhtet. Sie wissen, wenn es nah dem Wunsh gewisser Leute geht, werden in einigen Jahren, wenn die .Sommerfrischler’ (gemeint sind die abgewanderten Optanten) zurückgekommen sind, Anstellungen Und Arbeit nur für diese da sein. Die Italiener können in der Kenntnis der deutschen Sprache niemals wetteifern. Sie lieben die süße Sprache Dantes zu sehr, als daß sie sie durh eine andere ersetzen wollten.

Anfang Mai berichtete eine ANSA- Meldung an die Presse der ganzen Welt, daß die Polizei in Südtirol Werwolforgani- sationen aufgedeckt habe. Die Meraner deutschsprachige Wochenschrift „Der Standpunkt“ behauptet in einigem Widerspruch dazu, daß Südtirol in Wahrheit e i n Versuchsfeld der Kommunisten sei und daß besonders die Autonomiebestrebungen der Südtiroler von kommunistischer Seite angefaht würden.

Um to erfreuliher ist es, daß auh Stimmen laut werden, die der Südtiroler Autonomie das Wort reden. So bemüht sih besonders Luigi M e n a p a c e, der Präsident des Regionalrates für Trentino-Südtirol, der antiautonomistischen Pressekampagne entgegenzutreten, wobei er auf das Shweizer Beispiel hinweist und alle Befürhtungen zu zerstreuen versuht; er zitiert dabei den italienishen Staatspräsidenten E i n a u d i, der sih in einem Gespräch für die Regionalautonomie als Mittel zum Abbau bürokratischer Überorganisationen ausgesprochen habe. („L’Awenire d’Italia“ vom 5. Iänner und „Alto Adige“ vom 9. Februar.) — Ernesta Battist i, die Witwe des seinerzeitigen trientinishen Irredentistenführers Cesare Battisti, äußert sih am 1. Jänner in der Mailänder „Critioa Sociale“ gegen die feindselige Haltung weiter italienischer Kreise gegen Südtirol; sie bedauert, daß nah dem zweiten Weltkriege auf das „österreichische Südtirol“ nicht das Selbstbestimmungsrecht angewendet worden sei. Diese Haltung ehrt Ernesta Battisti um so mehr, als ihr als Witwe des von einem österreihishen Militärgeriht verurteilten und hingerihteten national-italienischen Kämpfers immerhin einige Voreingenommenheit gegen den österreihishen Standpunkt zuzubilligen wäre. Auh das römische „II Paese“ suchte bereits im Dezember Verständnis für die Autonomiebewegung im Trentin© zu erwecken, indem es an die vorzügliche österreichishe Verwaltung erinnert und an einzelnen Beispielen .nahweist, daß sih der Anschluß des Trentino an Italien shon vor dem Kommen des Faschismus und unabhängig von diesem nahteilig auf Wirtshaft und Lebensstandard der Trentiner ausgewirkt habe.— In Bozen selbst hat besonders der Italiener Artūro Nicolodi durh seine loyale Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber einiges Aufsehen erregt. Nicolodihat eine föderalistische Bewegung „Neues Europa“ gegründet, die für die Verständigung Beider Volksgruppen arbeitet und gegen die Auswüchse des italienischen Nationalismus ankämpft. Die Bewegung gibt in einer italienischen und deutsche Ausgabe ein Wochenblatt „Neues Europa“ heraus, in dem u. a. auch ein italienischösterreichisches Condominium für Südtirol propagiert wird.

Es hat sich im Laufe der Geschieht immer wieder erwiesen, daß die besten Verträge nicht taugen, wenn der gute Wille derjenigen fehlt, die auf der Grundlage dieser Verträge zu leben und zu handeln haben. So wird auch Südtirol seinen Weg in eine bessere und wohlgeordnete Zukunft nur gehen können, wenn auf Seite beider Volksgruppen der ehrliche Wille zu uneingeschränkter Zusammenarbeit vorhanden ist. Dieser Wille scheint glücklicherweise dort vorhanden zu sein, wo die Männer stehen, die gegenwärtig die Geschicke Italiens zu lenken haben. Daß sich die richtige Erkenntnis der Wirklichkeit und der gute Wille auch unter der übrigen Bevölkerung durchzusetzen vermöge, ist nicht’ zuletzt die Aufgabe der Presse, an deren Sauberkeit und Verantwortungsbewußtsein immer wieder appelliert sei.

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