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Südtirol und EWG

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Die aktive Außenpolitik eines neutralen Landes ist aber mit solchen Funktionen nicht begrenzt, denn selbstverständlich gibt es eigenständige außenpolitische Aufgaben, denen jeder Staat, auch ein neutraler, nachzukommen hat. Für Österreich sind dies vor allem das Südtirolproblem und die Europäische Wirtschaftsintegration. Daß das Schicksal der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol eine Angelegenheit ist, um die sich Österreich anzunehmen hat, steht außer jeder Diskussion. Das Gruber-de-Gasperi- Abkommen von Paris hat dies auch rein völkerrechtlich bestätigt. Die Aufgabe Österreichs ist hier eine sehr schwierige. Der Schutz der Rechte der deutschsprachigen Südtiroler Volksgruppe ist nicht nur eine staatsrechtliche Aufgabe der italienischen Republik, sondern auch eine völkerrechtliche Österreichs! Das bedeutet, daß Österreich berechtigt und verpflichtet ist, seinen Einfluß auf . dieses Problem auch „ völkerrechtlich zu wahren. Darin liegt im Augenblick aber auch die ganze Schwierigkeit des Problems, die sich in ihrer ganzen Tragweite etwa dann zeigen würde, wenn die Rechte, die unter dem Begriff des „Pakets“ zusammengefaßt werden, durch einen autonomen Akt der italienischen Gesetzgebung eingeräumt würden, ohne daß Österreich eine Art Kontrollrecht über seine Durchführung ausüben könnte. Das Ziel der Verhandlungen ist also ein zweifaches: einmal den Südtirolern ein möglichst umfassendes Paket von Rechten, die der Erhaltung der Volksgruppe dienen, zu erwirken und zum anderen: im Falle der Nichterfüllung Mittel und Wege zu besitzen, die Erfüllung zu erzwingen. Daß es sich dabei nur um friedliche Mittel handeln kann, ist klar. Daß jede österreichische Regierung für einen solchen Vertrag außerdem der Zustimmung der Südtiroler bedarf, ergibt sich dabei von selbst, denn ein solches Vertragswerk muß von allen Beteiligten gemeinsam getragen werden, wenn es Bestand haben soll.

Die andere eigenständige, große Aufgabe der österreichischen Außenpolitik ist es, für die österreichische Wirtschaft einen dem Neutralitätsstatus ebenso wie den wirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechenden Weg der österreichischen Teilnahme an der westeuropäischen Wirtschaftsintegration zu finden. Es braucht in diesem Zusammenhang nicht auf die sowieso allseits bekannte, gegenwärtige Situation näher eingegangen zu werden; es sei nur festgehalten, daß Österreich aus wirtschaftlichen Gründen niemals auf diese Aufgabe seiner Außenpolitik verzichten kann, daß es daher notwendig ist, auch in Zeiten, da das gesamteuropäische Problem der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes keine Fortschritte erwarten läßt, immer wieder klar und deutlich auf seine Wünsche bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit aller Energie aufmerksam zu machen. Dazu kommt die Aufgabe und Möglichkeit, aktiv an der Diskussion über -die Lösung des gesamteuropäischen Integrationsproblems durch entsprechende Vorschläge mitzuarbeiten.

Die Entwicklung in den beiden letzten Dezennien hat aber das Ge-

biet der Außenpolitik gegenüber früheren Zeiten noch wesentlich erweitert. Heute ist das, was man Außenwirtschaftspolitik nennt, zu einem nicht mehr wegzudenkenden, wichtigen Bestandteil der Außenpolitik geworden, ja, die Außenwirtschaftspolitik hat auch quantitativ für kleine Staaten heute schon einen größeren Umfang als das Gebiet der reinen Außenpolitik im Sinne früherer Zeiten. Die immer enger werdende Verflechtung der Volkswirtschaften untereinander, die Notwendigkeit der Industriestaaten, die Überschüsse ihrer Produktion auf den Weltmärkten abzusetzen und das Problem der Entwicklungsländer haben zu der allgemeinen Erkenntnis geführt, daß die Volkswirtschaften immer unlösbarer aufeinander angewiesen werden. Das aber wieder rückt die Probleme von Handelsverträgen und industrieller Kooperation stärker in den Vorder grund. Beinahe zwangsweise ergab sich daraus auch, daß in fast allen Staaten mit der Außenwirtschaftspolitik Verwaltungsfoereiche entstanden, die ursprünglich, gleichsam als Nebengeschäft, den Außenministerien zugeteilt waren, jetzt aber meistens selbständige Ressorts darstellen. Es war daher auch in Österreich in Wirklichkeit nicht nur das Ergebnis einer durch Wahlausgänge ermöglichten., parteipolitischen Entwicklung, sondern auch die sinngemäße Folge des eben beschriebenen Prozesses, daß die Außenwirtschaftspolitik, die bis 1963 dem Außenministerium zustand, in das Handelsministerium transferiert wurde. Und es ist nicht uninteressant, daß z. B. in den Reihen der sozialistischen Opposition nun der Gedanke eines echten Wirtschaftsministeriums aufbaucht, in dem ohne Zweifel die Außenwirtschaftspolitik eine bedeutsame Rolle spielen müßte. Diese Entwicklung ergab sich auch aus der Notwendigkeit, für die Betreuung dieser Agenden einen immer mehr und besser nationalökonomisch geschulten Beamtenstab heranzuziehen. Als ein Vorläufer dieser Entwicklung in Österreich muß in diesem Zusammenhang auf die Einrichtung der von der Bundeswirtschaftskammer gestellten Außenhandelsdelegierten hingewiesen werden. Österreich hat damit schon im Jahre 1948 auf die Beibehaltung der diplomatischen Wirfschaftsattachés verzichtet und einen Weg gewiesen, um den uns heute viele Staaten beneiden.

Die Betrachtung über die österreichische Außenpolitik kann aber ohne einen Hinweis auf den Bereich der Kultur nicht abgeschlossen werden. Welches Ansehen etwa das österreichische Kulturschaffen auf dem Gebiet der Musik in der Welt genießt, ist bekannt. Darum ist es auch berechtigt, wenn im Staatsbudget jährlich hohe Summen für diese Zwecke ausgeworfen werden. Das österreichische Musikschaffen kann ohne Übertreibung als ein Teil der österreichischen Staatsräson bezeichnet werden, und unsere Oper, unsere Künstler und Orchester sind in der Ausstrahlung ihrer Wirksam keit der Arbeit der besten österreichischen, diplomatischen Botschafter gleichzusetzen. Die Weltgeltung eines Staates kann und wird durch die Repräsentanz seines künstlerischen Wirkens nicht unwesentlich gestärkt.

Wir sind bei unseren Überlegungen von dem Jubiläum ausgegangen, das der Herold-Verlag in diesen Tagen feiert. 75 Jahre stellen einen Zeitraum dar, in dem sich vieles, um nicht zu sagen, alles ändert. Die technische Entwicklung aber des letzten Vierteljahrhunderts war so rasant, daß heute die Weltgeschichte ungleich schneller abläuft als vor dieser Zeit. Gleichgeblieben aber ist für alle Zeiten die Aufgabe der Staaten und Völker, sich den jeweiligen Entwicklungen anzupassen, „mit der Zeit mitzukommen“. Gerade das aber war für die österreichische Republik in den beiden ersten Dezennien ihres Bestandes eine schwierige und fast unlösbare Aufgabe. Der Zusammenbruch eines großen Reiches stellte Probleme, mit denen Österreich nicht zuletzt deshalb nicht fertig wurde, weil es in sich uneins war. Man stellt oft die Frage, ob die Völker aus der Geschichte lernen, und diese Frage wird für alle Zeiten gestellt bleiben. Wir Österreicher aber haben jedenfalls im Schmelztiegel der sieben apokalyptischen Jahre des Nationalsozialismus und der zehn Jahre der Besetzung gelernt, daß die innere Einigkeit für den Grundsatz der Souveränität und Unabhängigkeit unseres Landes eine unabdingbare Voraussetzung ist. Daß es heute bei keinem Österreicher mehr einen Zweifel an der Notwendigkeit der österreichischen Souveränität gibt und daß wir uns bei aller notwendigen Unterschiedlichkeit in den Problemen der Parteipolitik auf die Grundsätze der unbedingten Souveränität und der immerwährenden Neutralität einigen konnten, ist der große Gewinn der siebzehn dunklen Jahre unserer Geschichte. Wenn nun die Generation dieser Zeit — man hat sie treffsicher die „1945er“ genannt — abtritt, so muß sie diese Erkenntnis der jungen Generation mit auf ihren Lebensweg geben.

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