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Südtirol: Warten auf Europa
Mussolini selbst hat ausgesprochen, nach welchen Richtlinien die faschistische Politik arbeitete: In seiner großen Rede über Südtirol in der römischen Abgeordnetenkammer im Februar 1926 sagte der italienische Regierungschef:
„Im oberen Trentino machen wir die Politik der ltalianität. Wir betrachten die dortigen Einwohner als Italiener und wenden auf sie unser Gesetz an. Täten wir das nicht, so hätten wir an der Grenze einen Staat im Staate!... Auf alle Fälle muß ich mit unbedingter Bestimmtheit erklären, daß die italienische Politik im Etschland nicht um Haaresbreite von ihrem Weg abweichen wird. Wir werden streng, methodisch, hartnäckig mit jener Methode, mit jener kalten Zähigkeit, welche im faschistischen Ziele liegen muß, alle unsere Gesetze anwenden, die genehmigten und jene, die wir noch genehmigen werden ... Wir werden jene Gegend italienisch machen, weil sie italienisch ist. Sie ist in erdkundlichem und geschichtlichem Sinne italienisch . .. Die Deutschen des Etschlandes sind keine nationale Minderheit, sondern ein Volksüberbleibsel. Es sind ihrer 180.000, während in der Tschechoslowakei allein, deren Kern durch 5 Millionen Tschechen gebildet wird, 3,5 Millionen Deutsche leben. Von diesen 180.000 sind 80.000, so behaupte ich, verdeutschte Italiener, welche wir wieder zu gewinnen trachten werden. Wir werden trachten, sie ihre alten italienischen Namen wiederfinden zu lassen, wie sie in alten Akten der Staatsämter aufscheinen. Wir werden trachten, ihnen einen Stolz auf ihre staatsbürgerliche Zugehörigkeit zum großen italienischen Vaterland beizubringen ... Die anderen sind das Ueberbleibsel aus der Zeit der Barbareneinbrüche, als Italien für sich selbst keine Macht sein konnte und.daher der Tummelplatz für andere kriegführende Mächte des Westens und des Nordens war. Auch auf diese werden wir die römische Politik der strengen
Billigkeit, anwenden.“
Die.se Worte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der italienische Faschismus hatte aber schon, bevor er zur Macht kam, seine blutige Visitenkarte abgegeben:
Im Jänner 1921 hatten die Faschisten, die bereits ein Machtfaktor in Italien geworden waren, in Bozen ein Kampf-Fascio gegründet. Der erste schwere Schlag wurde am „Blutsonntag“, dem 24. April 1921, in Bozen geführt. Mehrere Hundertschaften Faschisten aus den oberitalienischen Städten überfielen einen im Rahmen der Bozner Messe abgehaltenen Trachtenzug. Bomben wurden geworfen, Pistolenschüsse peitschten. Das Ergebnis: 48 Verwundete; der Lehrer Franz Innerhofer, der zwei Buben in Sicherheit bringen wollte, wurde hinterrücks niedergeschossen und war sofort tot. Dann erst griff das Militär ein, das bereitgestellt war, weil noch vor dem Eintreffen der Faschisten Generalkommissar Credaro von Tiroler Seite gebeten worden war, Gewalttätigkeiten zu verhindern. Das Militär griff ein: Es deckte den Abmarsch der Faschisten zum Bahnhof und feierte Verbrüderung. Credaro verurteilte entrüstet den Ueberfall, Verfolgung der Täter setzte keine ein. Ministerpräsident Gio- litti gab ebenfalls eine Erklärung gegen diesen Ueberfall ab. Mussolini aber verherrlichte ungehindert den Ueberfall:
„ln Italien gibt es mehrere hunderttausend Faschisten, die bereit sind, Südtirol eher zu zerstören und zu verwüsten, als die Trikolore, die auf der Vetta d'ltalia weht, einziehen zu lassen. Wenn die Deutschen verprügelt und zerstampft werden müssen, um Vernunft anzunehmen, wohlan, wir sind bereit. Viele Italiener sind auf dieses Geschäft trainiert.“ Einen Tag später erklärte Mussolini, die Bombe von Südtirol sei nur eine erste feierliche Warnung gewesen, die Dolche und das Petroleum der Faschisten lägen für die Deutschen in Südtirol bereit.
Am 21. September 1922 hatte die italienische Regierung dem Beschluß der Genfer Völkerbundversammlung, die Minderheiten gerecht zu behandeln, zugestimmt. Zehn Tage später marschierten die Faschisten in Bozen. Dieser Sturm auf das Bozner Rathaus, der über Beschluß der faschistischen Gesamtpartei und nach persönlicher Vorbereitung durch Mussolini erfolgte, wurde von den Faschisten später stolz als „Ge-
1 Vgl. „Die Furche" Nr. 13 und 14/1959.
neralprobe für den Marsch auf Rom“ bezeichnet. Vom Bozner Rathaus führt ein direkter Weg zur Machtergreifung durch, den Faschismus! Damit war auch das Schicksal Südtirols besiegelt. Hatte die liberale Partei, die Italien bis 1922 regierte, das Deutschtum in Südtirol langsam und ohne viel Aufsehen töten wollen, so wandelte der Faschismus die Methoden ..,
Aber noch einmal zurück zum Marsch auf das Bozner Rathaus: Am 12. September 1922 hatten die Faschisten dem Bozner Gemeinderat zehn Forderungen überreicht, darunter das Verlangen nach dem Rücktritt des Bürgermeisters
Dr. Julius Perathoner und des Gemeinderates, nach Auflösung der Stadtpolizei, Uebergabe der Schule in der Elisabethstraße an die Italiener usw. Die Stadt Bozen antwortete mit Gegenvorschlägen, daraufhin überreichten die Faschisten am 27. September ein viertägiges Ultimatum. Am 1. Oktober kamen aus Inneritalien einige tausend bewaffnete Faschisten in Stahlhelmen nach Bozen, besetzten die deutsche Schule in der Elisabethstraße und zwangen die eigenen italienischen Lehrer, den Unterricht für die italienischen Kinder dorthin zu verlegen. Die italienische Regierung, die behördlichen Schutz zugesagt und ganze vier Karabinieri aufgeboten hatte, anerkannte den Raub der Schule. Bürgermeister Dr. Perathoner, der erst vier Monate vorher gewählt und vom König bestätigt worden war, wurde von der Regierung des Amtes enthoben. Trotzdem drangen am 2. Oktober die Faschisten in das Rathaus ein, das zwar zum „Schutz“ mit Militär und Karabinieri umstellt war, in das die Horden jedoch kampflos hineinspazieren konnten. Die Beamten wurden vertrieben, der Gemeinderat gesprengt. Drei Tage blieben die Faschisten im Rathaus, dann verlangten sie 65.000 Lire „Entschädigung“. Diese „Entschädigung" zahlte die Regierung zwar nicht aus, anerkannte jedoch die Auflösung des Gemeinde-
rates und setzte einen Regierungskommissär ein, der Bozen bis März 1924 verwaltete.
Mit der amtlichen Machtübernahme des Faschismus am 28. Oktober 1922 begann erst recht die Regierung des Rutenbündels über Südtirol: Das faschistische Italien begann mit der Italianisierung der Orts- und Straßennamen, verfügte die Aufhebung der Schulen, machte tausende Südtiroler brotlos; verbot die deutschen Zeitungen, die Südtiroler Parteien usw., bis es schließlich zum Vertrag mit Hitler über die Austreibung der Südtiroler kam. Nicht erwähnt sind alle die Vorfälle, die „nebenher“ liefen und persönliches Leid über eine Familie oder Person brachten, wie die Mißhandlung des greisen Pfarrers Simon Delueg in seinem eigenen Pfarr- hof oder: deutsche Geschäftsschilder wurden zertrümmert, Mauern mit Farben und Kot beschmiert. Ein besonderer „Spaß“ war es, Passanten in Tracht, die das Mißfallen der Faschisten erregt hatten, Rizinusöl einzuflößen.
Hier jedoch sollen jetzt nur noch die Akten sprechen. Entsetzen erfüllte das Tiroler Land, als folgendes Dekret veröffentlicht wurde:
„Der Präfekt der Provinz Trient hat nach Einsichtnahme in das vorhergehende Dekret vom 29. November 1922, Nr. 21.083 Gab., nach Feststellung, daß die Bürger die Anwen- dun g jenes Dekretes in ihrem eigenen Interesse schon erweitert haben und mit Rücksicht und Dringlichkeit, in dieser Provinz den Gebrauch der deutschen Sprache in Beziehung zu dem der italienischen Sprache zu regeln und nach Einsicht in den Art. 3 des Gemeinde- und Provinzialgesetzes dekretiert:
Artikel I.
ln der Provinz Bozen sind alle Manifeste, Ankündigungen, Angaben, Hinweise, Inschriften, Tabellen, Ueberschriften, Verzeichnisse, Fahrpläne und im allgemeinen alle Aufschrif- ' ten und Beschreibungen, welche sich an die Oeffentlichkeit wenden oder hierfür bestimmt sind, sei es, daß dieselben öffentlich, an gebracht oder der Oeffentlichkeit zugänglich sind, auch wenn sie private Interessen betreffen, ausschließlich in der offiziellen Sprache des Staates zu verfassen ..."
Ettore Tolomei, der Hauptfeind Südtirols, hatte gut vorgearbeitet: Seine 12.000 erfundenen italienischen Ortsnamen wurden nun Amtsbezeichnungen, dann kamen sogar Familiennamen, dann Vornamen der Südtiroler dran. Denkmäler wurden entfernt, aus den Lesebüchern wurden die Bilder Andreas Hofers herausgerissen, bis die deutsche Sprache schließlich gänzlich aus den Schulen verbannt wurde, usw.
Folgerichtig erschien denn auch folgendes Dekret am 8. August 1923:
„Nach Einsicht in das Dekret vom 21. Jänner 1923, Nr. 93, usw., dekretiert der Präfekt: Außer der amtlichen Bezeichnung ,Provincia di Trento‘ und der Regionalbezeichnung ,Venezia Tridentina ist für diese Provinz keine andere Bezeichnung zugelassen.
Als subregionale Bezeichnungen sind nur gestattet: ,Alto Adige‘ für den nördlichen Teil der Provinz Trient und ,Trentino‘ für den südlichen Teil.
Provisorisch und duldungshalber ist der Gebrauch der Ausdrücke ,Oberetsch4 und ,Etschländer als den ,Alto Adige‘ und ,Ate- sino‘ entsprechenden Ausdrücken gestattet.
Jede andere Bezeichnung ist verboten, und es werden daher der Gebrauch von Bezeichnungen wie ,Südtirol‘, ,Deutschsüdtirol‘, .Tiroler' oder andere gleichwertige oder ähnliche Uebertretungen des vorliegenden Dekretes nach Artikel 434 des Strafgesetzbuches geahndet.
Trient, g. August 1923.
Der Präfekt, gez. Guadagnini.“ Der Name Südtirol wurde ausgelöscht.
In einer der letzten Ausgaben, als der „Tiroler“ noch unter seinem bisherigen Namen erscheinen durfte, schrieb der Südtiroler Dichter Dr. Joseph Georg Oberkofler unter der Ueberschrift „Ade, mein Land Tirol“ noch Abschiedsworte an den alten Landesnamen. Dieser Artikel zeigt, daß die Südtiroler nicht gewillt waren, sich durch derartig drastische Methoden ihren Mut und ihre Hoffnung und vor allem ihren Glauben nehmen zu lassen. Der Artikel schließt mit den Worten:
„Tragen wir das Schwere1 Klage dürfen wir erheben und Mut müssen wir schöpfen aus der Bitterkeit! Unsere Berge ändern sich nicht, auch unser Volkstum nicht, wohl aber ändern sich die Zeiten und es wird auch jene Stunde kommen, in der, wie eure Abgeordneten euch zuriefen, die Sonne der Völkerversöhnung über unser Heimatland Tirol strahlt.
Letzter Gruß an die Heimat, du erster Gruß des Wiedersehens auch, klinge weit über alle Welt hinaus, rein aus unserem Herzen gesprochen, nur erfüllt von der Liebe zur Heimat und vom Weh über das Unrecht„ das uns geschieht — halle, brause, dröhne, Andrä- Hofer-Gruß:
Ade, mein Land Tirol!“
(Die Veröffentlichung wird fortgesetzt.)
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