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Südtiroler Durststrecke

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Das Südtirol-Karussell dreht sich im Kreise, und je hektischer es sich dreht, um so mehr tritt das eigentliche Problem, unter dessen Schatten eine Viertelmillion Südtiroler leben, in den Hintergrund.

Der Anschlag auf der Porzescharte, der drei jungen italienischen Soldaten das Leben kostete, war das Startzeichen für den italienischen Nationalismus, wieder ungehemmt für die Verteidigung der „heiligen Grenzen“ zu trommeln. Wer diese Propagandaoffensive gegen Österreich miterlebt hat, weiß, welche zentrifugalen Kräfte in Italien einer vernünftigen Lösung den Weg versperren. Im Bannkreis politischer Emotionen bleibt kein Raum mehr für sachliche Erwägungen. Unverstand, Taktlosigkeit und Mißtrauen feierten Triumphe.

Es ist das Verdienst der Ende Juli abgehaltenen Südtiiroüdebatte in Rom, die so hochgehenden Wogen der nationalistischen Erregung wieder etwas geglättet zu haben. Ministerpräsident Aldo Moro, dem der ehrliche Wille, eine Südtirollösung anzustreben, nicht abzusprechen ist, behielt bei dieser hitzigsten Redeschlacht seit langer Zeit einen kühlen Kopf.

Zwar schoß die Opposition von links und von rechts aus allen Rohren. Der Monarchist Cuttita, General der Reserve aus Palermo, erklärte, daß er Österreich verabscheue und hasse, und forderte die Ausweisung aller Südtiroler, die unter dem Faschismus für Deutschland optiert hatten. Unter dem dröhnenden Gelächter der Abgeordneten forderte er, im Emstfall an der Spitze eines Regiments (eine Division zu befehligen, sei er schon zu alt) gegen Österreich marschieren zu dürfen. Die Neofaschisten forderten wie immer den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Wien, die Kündigung des Pariser Vertrages von 1946, das Verbot der „staatsgefährdenden“ Südtiroler Volkspartei und die Ausrufung des Notstandes in der Provinz Bozen. Die Haltung der Liberalen Partei war kaum weniger affektgeladen: Abbruch der Verhandlungen mit Wien und Bozen und die Anhängigmachung einer Klage zur Verurteilung Österreichs bei den Vereinten Nationen. Die Linksoppo-eition, Kommunisten und PSIUP-Abgeordnete, warfen der Regierung hingegen eine sträfliche Duldsamkeit gegenüber dem „deutschen Revanchismus“ vor, der Südtirol zu seinem Exerzierfeld erkoren habe.

Moro hatte es nicht schwer, sich gegen so plump abgefeuerte Geschosse zu behaupten. Viel mehr Mühe dürfte es ihm gekostet haben, den rechtsgerichteten Flügel seiner eigenen Partei einigermaßen bei der Stange zu halten. Als deren Sprecher trat der ehemalige Ministerpräsident Pella auf, der die Forderung Österreichs nach einer internationalen Verankerung des zukünftigen Südtirolabkommens schlichtweg als „beleidigend“ bezeichnete. Die Südtiroler Abgeordneten mögen sich während seiner Rede vielleicht daran erinnert haben, daß es eben Pella war, der für Triest und Istrien das Selbstbestimmungsrecht verlangte...

Die verständnisvollste Rede hielt der Sozialist Paolo Rossi, der sich als ehemaliger Vorsitzender der Neun-zehner-Kommission in die Probleme Südtirols hineangearbeitet hat. Rossi forderte die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Österreich, sobald dieses seinen Willen, den Terrorismus konkret zu bekämpfen, bewiesen habe. Davon abgesehen sollten endlich die Ergebnisse der Neun-zehner-Kommission in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Von einer Endfertigungsklausel seitens der österreichischen Regierung sei vorderhand abzusehen.

Das EWG-Torpedo Italiens gegen Wien wurde von fast allen Rednern zu beschönigen versucht, so vom einflußreichen DC-Abgeordneten Pic-coli, der meinte, daß diese Maßnahme des Außenministers „ein Akt juridischer, vor allem aber moralischer Bedeutung“ sei. An Repressalien habe man nie gedacht. Der Sozialist Ballardini, ebenfalls Mitglied der Neunzehner-Kommission, versuchte gegen den Strom zu schwimmen und nannte das Kind beim Namen: Das italienische Veto komme einer Erpressung gleich.

Moros Schlußwort war ein Kompromiß, der alle gefährlichen Klippen elegant zu umschiffen versuchte. Daß bei dieser Schaukelfahrt zwischen Skylla und Charybdis kein Raum für die wesentlichste noch offen gebliebene Südtiroler Forderung, nämlich jene nach einer wirksamen internationalen Verankerung des „Pakets“ sein würde, war zu erwarten. Daß er sie so schroff und unnachgiebig ablehnen würde, mußte hingegen (schmerzlich) überraschen. Die Tür für weitere Verhandlungen mit Wien bleibt offen, aber es liegt an Italien, zu bestimmen, wann und wieweit sie aufgemacht wird.

Die römische Diplomatie ist auf allen Fronten zur Offensive gegen Wien angetreten: Der Ballhausplatz wird mit Beschwerdenoten bombardiert, deren Zahl und Inhalt an die chinesischen Proteste (inzwischen über 400) gegen die „amerikanischen Luftpiraten“ gemahnen. Daß einige dieser Proteste eine eklatante. Einmischung in die Angelegenheiten eines souveränen Staates bedeuten, scheint bei der verdächtigen Hast, in Rom ja bald wieder gute Noten zu erhalten, gar nicht mehr aufzufallen.

Die italienische Presse berief sich kürzlich allgemein auf Informationen gut unterrichteter Kreise in Wien (siehe „Corriere della Sera“ vom 30. Juli!), die besagten, daß die Regierung Klaus unter Umständen bereit sei, die von Moro aufgezeigte Basis zu weiteren Verhandlungen anzuerkennen. Mit anderen Worten würde dies einem Verzicht auf eine echte internationale Verankerung des „Pakets“ gleichkommen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn man am Ballhausplatz zur Kenntnis nehmen würde, daß die Südtiroler in dieser heiklen Frage bereits eine klare und eindeutige Stellung bezogen haben. Der Ausschuß der Südtiroler Volkspartei hat am 23. März 1967 mit der äußerst knappen Mehrheit von 29:24:2 der Landversammlung empfohlen, das „Paket“ trotz seiner teilweise sehr schwerwiegenden Mängel (man denke nur an das wenngleich gemilderte „Vetorecht“ der sogenannten italienischen „Minderheit“ bei der Verabschiedung der Bilanz, an die Regelung der Arbeitsämter, an die Durchbrechung des territorialen Prinzips bei der Regelung der Schulfrage, an die Verweigerung des Empfanges der ausländischen Fernsehprogramme, was von besonders großzügiger „europäischer“ Einstellung spricht usw.) unter der Bedingung einer wirksamen internation'alen Verankerung anzunehmen. Die Südtiroler wissen nach über 20 Jahren leidvoller Erfahrung warum sie darauf bestehen. In dieser Frage ist man sich in der SVP trotz aller sonstigen Meinungsverschiedenheiten über den Wert und die Aufrichtigkeit des italienischen Verhandlungsangebotes fast ohne Ausnahme einig. Es muß anerkannt werden, daß Parteiobmann Dr. Magnago diesen Standpunkt unmittelbar nach Beendigung der Südtiroldebatte nochmals unmißverständlich bekräftigt hat.

In Wien und Bozen sollte man den Sommer deshalb nicht nur zur Erholung der strapazierten Nerven nützen, sondern auch dazu, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, in der man sich zur Zeit befindet. Eine echte Gewissenserforschung, eine gründliche Überprüfung der Positionen täte not. In Wien müßte man endlich aufhören, Südtirol zu sagen und oft etwas ganz anderes zu meinen.

Wie könnte die mit allen Kräften anzustrebende Ausgangsbasis für eine gemeinsame Südtirolpolitik von

Wien, Innsbruck und Bozen wieder hergestellt werden? Wir erlauben uns, dafür unter anderem folgende Schritte zu empfehlen:

• Eine Südtirolkonferenz der österreichischen Parteien, bei der man — nach gründlicher Vorbereitung — versuchen sollte, die gegenseitigen Meinungsverschiedenheiten und das derzeit gegenseitig herrschende Mißtrauen auszuräumen. ,

• Kontinuierliche Aussprachen zwischen Außenminister Dr. Toncic und dem Vorsitzenden der SPÖ, Doktor Bruno Kreisky. Eine Verankerungsformel von Wert kann wahrscheinlich nur im Einvernehmen zwischen den beiden genannten Politikern gefunden werden.

• Eine gründliche Analyse der gegenwärtigen Situation in der Südtirolfrage durch den Parteiausschuß der SVP im Herbst dieses Jahres. Dadurch wäre die Möglichkeit geboten, die innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten wieder auf ein Minimum zu reduzieren.

• Es wäre zu überlegen, ob man die von Assistent Dr. Brugger vorgeschlagene Verankerungsformel, die sich auf die Europäische Streitbeilegungskonvention des Europarates vom 29. April 1957 bezieht, in Rom nicht stärker ins Gespräch bringen sollte. Italien müßte allerdings erst die Bestimmungen über das Vergleichs- und Schiedsverfahren (Artikel 4 bis 26 der Konvention), die für Österreich bereits seit Jänner 1960 verbindlich sind, ratifizieren.

• Italien sollte nochmals mit Nachdruck die Bildung einer bilateralen Expertenkommission zur Klärung von Grenzzwischenfällen, Sprengstoffanschlägen usw. vorgeschlagen werden.

• Eine gemeinsame österreichische Außenpolitik in der Südtirolfrage muß notwendigerweise das Ende der Geheimverhandlungen bedeuten. Die Karten müssen wieder offen auf den Tisch! Die rechte Hand (ÖVP) muß in dieser nationalen Frage wissen, was die linke (SPÖ) tut und umgekehrt!

• Falls Italien nicht bis zum Herbst das „Mindestmaß von günstigen Umständen“ für Verhandlungen, von dem Moro gesprochen hat, als gegeben ansieht, müßte man schweren Herzens den Gang zum Europarat (bei dem immer noch ein Unterausschuß für Südtirol existiert) und vor die Vereinten Nationen erwägen, auch wenn die konkreten Erfolgsaussichten bei einer ersten Überprüfung recht mager erscheinen mögen.

Außenminister Toncic hat kürzlich — im Gegensatz zu Dutzenden früheren Erklärungen — in einer Fernsehdiskussion die Meinung geäußert, die weiteren Verhandlungen mit Italien zur Lösung der Südtirolfrage würden „lange, schwierig und hart“ sein und „viel Geduld“ brauchen. Diese Einstellung scheint uns äußerst realistisch zu sein. Denn wer eine brauchbare Lösung für diesen letzten politischen Eiterherd in Europa anstrebt, muß dafür auch bereit sein, eine Durststrecke zu durchwandern.

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