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Südtiroler Sorgen

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Die letzten Gemeindewahlen in Bozen haben mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, daß die Unterwanderung aus den italienischen Provinzen ständig fortschreitet. Zwar konnte die Südtiroler Volkspartei ein Mandat mehr erringen, und zwar auf Kosten der Neo-faschisten, deren Rückgang deutlicher als alle anderen Argumente zeigt, daß der Neofaschismus immer mehr an Einfluß nicht nur in Südtirol, sondern auch in den alten italienischen Provinzen verliert, aber über die nackten Tatsachen der Statistik kann dieser Erfolg nicht hinwegtäuschen. Sie verloren zwei Mandate und ihre Stimmenanzahl ging von 16 auf 10 Prozent herunter.

Das kann aber nicht darüber hinwegtrösten, daß die italienischen Stimmen ständig steigen.

Zunächst die amtlichen Ziffern: Bei den letzten Gemeindewahlen der Stadt Bozen war dieselbe in 107 Wahlsektionen eingeteilt; von diesen 107 Sektionen haben die Südtiroler in ihrer eigenen Landeshauptstadt nur noch in 14 Sektionen die Mehrheit. In 18 weiteren Wahlsektionen erreichte ihr Stimmenanteil nur 7 bis 10 Prozent der abgegebenen Stimmen, in weiteren 22 Wahlsektionen kamen sie nur noch auf nicht einmal drei Prozent! Es handelt sich hier, wie schon erwartet, um die Industrieviertel, die unter der faschistischen Ära gewaltsam gebildet wurden, und die daran anschließenden Wohnviertel, die insgesamt 12.087 gültige italienische Stimmen zählten, während die deutschen Südtiroler in allen diesen 22 Sektionen nur insgesamt 285 Stimmen erobern konnten!

Daß die neue von Dr. Raffeiner gebildete Tiroler Heimatpartei ebenfalls einen gewaltigen Stimmenrückgang gegenüber den Regionalratswahlen erlitt (sie verlor innerhalb eines halben Jahres ein Drittel ihrer Stimmen), ist wohl ein Verlust, von Stimmen der angestammten Bevölkerung, der ebenfalls in Berücksichtigung gezogen werden muß.

Situation in Bozen: alarmierend

Dieser Stimmenrückgang in Bozen ist alarmierend und zeigt mit nur allzu großer Deutlichkeit die Taktik der Italiener, die darauf abzielt, jede definitive Lösung so lange hinauszuziehen, bis in Südtirol eine Italienische Mehrheit entstanden ist, und dann wird die Autonomie mit allen Versprechungen, die im Neunzehnerausschuß bis jetzt am Papier stehen, illusorisch.

Wenn man nur die offiziellen Zahlen der Bevölkerung Südtirols ansieht, dann wird man zur Erkenntnis kommen, daß die bange Frage „Wie lange noch?“ nur allzu berechtigt ist In Südtirol gab es im Jahre 1910 bei einer Gesamtbevölkerung von 241.000 Seelen 230.000 deutschsprachige Tiroler und Ladi-ner, im Jahr 1955 bei einer Gesamtbevölkerung von 340.000 Seelen 220.000 mit deutscher Muttersprache und Ladiner und im Jahre 1961 bei insgesamt 370.000 Seelen 240.000. Die italienische Bevölkerung betrug im Jahre 1910 lediglich 7000 Seelen, im Jahre 1955 bereits 120.000 und im

Jahre 1961 aber schon 130.000 Seelen. Das bedeutet klipp und klar, daß die Tiroler Bevölkerung von 1910 bis 1961 sich nur um 10.000 Seelen vermehrt hat, während im gleichen Zeitraum die italienische Bevölkerung in Südtirol um 123.000 Seelen anstieg. Deutlicher kann diese Zuwanderung der Italiener in Süd-ticol wohl nicht mehr gezeigt werden.

Zahl der Tiroler Studenten sinkt

Es ist richtig, daß der Zuwachs der italienischen Bevölkerung hauptsächlich in den beiden Städten Bozen und Meran, welche auch von allen sieben Städten Südtirols eine italienische Mehrheit aufweisen, während die anderen fünf Städte eine deutsche Sprachmehrheit besitzen, ständig steigt, aber im Gesamtbild der Bevölkerung ist das nicht maßgebend, sondern lediglich die Gesamtziffer, und diese Gesamtziffer weist eine erschreckend steile Linie zugunsten der Italiener nach oben und eine ständig langsamer werdende Steigerung der deutschen und ladinischen Bevölkerung auf, so daß es nicht schwerfällt, den Zeitpunkt auszurechnen, wann die Italiener in Südtirol die Mehrheit errungen haben, ob diese Mehrheit sich nun auf Bozen und Meran beschränkt, ist dabei vollkommen gleichgültig. Dazu kommt noch, daß die Zahl der studierenden Südtiroler sinkt, während -die Anzahl der italienischen Studierenden hauptsächlich an den Mittelschulen ständig zunimmt, und zwar in einem Maß, welches dem allgemeinen Zuwachs der italienischen Bevölkerung nicht nur entspricht, sondern ihn sogar übertrifft.

Die Situation auf dem Land

Was hilft es letzten Endes, wenn die Landbevölkerung zu 70 Prozent deutschsprachig ist, wenn die Südtiroler Bauern in ihren Genossenschaften und Verbänden mehr denn je zusammengeschlossen sind und die Südtiroler Landesregierung alles daransetzt, der angestammten Bevölkerung zu ihrem Recht zu verhelfen und die Südtiroler Abgeordneten und die Südtiroler Senatoren immer wieder in Rom bei den Zentralstellen vorstellig werden, endlich die Verhandlungen über eine tuahre Autonomie zu Ende zu führen? Man verfolgt seit Jahren die alte Taktik des Zeitgewinnens, bis eben der Zeitpunkt erreicht ist, wo es für Südtirol zu spät ist, weil Südtirol dann eine italienische Mehrheit besitzt, die den Ton angibt, und dann — das kann man sich an den Fingern abzählen — wird die beste Autonomie, wenn sie überhaupt zustande kommt, nicht mehr viel anders sein als ein Blatt Papier oder ein unein-gelöster Wechsel, über den man hinweggeht.

Wenn auch bei den letzten Regionalratswahlen von 97 Landgemeinden lediglich fünf eine italienische Mehrheit hatten (Branzoll, Franzensfeste, Leifers, Pfatten und Salurn), während 92 Gemeinden, einschließlich der acht ladinischen Gemeinden, eine deutsche Sprachmehrheit aufwiesen, was nützt es, wenn von den sieben

Städten Südtirols lediglich Bozen und Meran italienische Mehrheiten hatten, während die anderen fünf Städte noch vorwiegend und überwiegend Tiroler Wähler aufweisen konnten, das alles hilft über die ständig wachsende italienische Zuwanderung nicht hinweg, und darin liegt die Hoffnung, aber auch die Stärke der Italiener.

Die Sprachenzulage lockt

Man darf nicht vergessen, daß von italienischer Seite alles getan wird, daß die italienische Beamtenschaft (von Militär und Carabinieri gar nicht zu reden) auf den Posten in Südtirol bleiben kann, ja, daß die Beamten noch vermehrt werden können. Hieher gehört vor allem die Sprachenzulage, die den italienischen Beamten versprochen wurde, wenn sie die deutsche Sprache erlernen und eine Sprachprüfung ablegen. Rund 8000 italienische Beamte haben sich zu diesen Sprachenprüfungen, mit deren erfolgreichen Bestehen nicht unwesentliche Sprachenzulagen verbunden sind, gemeldet; die per-zentuelle Verteilung der Beamtenposten ist damit von vornherein unterbunden, weil dann für einheimische Beamte einfach kein Platz mehr vorhanden ist, wenn die Beschlüsse der Neunzehnerkommission wirklich einmal in Kraft treten sollten. Die unmittelbare Folge von dieser Politik ist zunächst, daß für die Südtiroler Jugend immer weniger Platz und Arbeit ist. Die Arbeitsämter sind vollkommen in italienischer Hand, so daß auch auf diesem Sektor die Möglichkeiten für die deutsche Bevölkerung immer mehr eingeengt wird. Bereits voriges Jahr mußten schon mehr als 3000 Bauernsöhne auswärts Arbeit suchen, da für sie in der Heimat keine Arbeitsmöglichkeit bestand.

Wenn man daher die berechtigte Frage stellt: Wie lange noch?, so ist dies die Lebensfrage der Südtiroler Bevölkerung geworden. Wenn man noch dazunimmt, daß bei der Vergebung der Volkswbhnhäuser-wohnungen für die Südtiroler nur höchstens drei Prozent beteiligt werden, während 97 Prozent den italienischen Zuwanderern gegeben werden (und in jeder Wohnung, die von italienischen Familien bewohnt wird, sind meistens mehrere Familien, Geschwister, Schwäger, Großeltern beteiligt), so wird diese Frage noch mehr untermauert.

Schien es unter dem damaligen Außenminister und jetzigen Staatspräsidenten Saragat, daß die Verhandlungen mit Österreich zu einem guten Ende geführt werden könnten, so ist die Südtirolfrage unter dem jetzigen Außenminister Fanfani, der kein besonderer Freund der Südtiroler ist, wieder in weite Ferne gerückt, und alle Verhandlungen verlieren ihren Sinn in dem Augenblick, der von vielen Italienern sc heiß ersehnt wird: der Tag, an dem die Italiener die Mehrheit in Südtirol erhalten.

Die Frage: Wie lange noch? steht wie ein Menetekel über der Zukunft Südtirols und über den Lebensrechten der einheimischen Bevölkerung.

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