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Superopa aus Amerika

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Wie überlebt Rest-Jugoslawien wirtschaftlich? Der Glaube an das Wirtschaftsprogramm eines alten Professors macht’s möglich.

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Wie überlebt Rest-Jugoslawien wirtschaftlich? Der Glaube an das Wirtschaftsprogramm eines alten Professors macht’s möglich.

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Es gibt ein Land mitten in Europa, in dem im letzten Halbjahr die Durchschnittspreise um 0,5 Prozent, die Reallöhne um 500 Prozent gesunken sind, die Produktion um 130 Prozent gestiegen ist. Die Landeswährung ist stabil. Dieses Wunderland nennt sich Bundesrepublik Jugoslawien.

Die Inflation für das Jahr 1993 desselben Landes betrug unaussprechliche 6.000.000.000.000.000 Prozent (sechs Billiarden).

Anders herum: Eine DM war am 31. Dezember 1993 fünf Trillionen - 5.000.000.000.000.000.000 - Dinar wert. Um die Umrechnung, die mit keinen Computern und in keinen Formularen mehr möglich war, zu erleichtern, wurden am 12. Jänner neun Nullen gestrichen. Man mußte eine Tasche voller Scheine von 500 Milliarden Dinar mit sich tragen, um einkaufen zu gehen.

Der Spuk war am 26. Jänner 1994 mit einem Schlag zu Ende. Seither ist der Dinar mit minimalen Schwankungen eine DM wert. Allerdings kann man in Banken nur bis 100 DM täglich eintauschen und das auch nichf’immer und ohne Schlange zu stehen. Aber auf dem Schwarzmarkt bekommt man harte Währung mit einem Aufschlag von zehn bis 15 Prozent.

Der Mann, dem das Wunder zugeschriebenwird, ist der Gouverneur der Nationalbank, Dragoslav Avra- movic. Obwohl sonst redselig, nennt er sein Alter nicht. Da er sein Studium in Belgrad vor 1941 abgeschlossen hat, muß er über 75 sein, was ihm allerdings nicht anzusehen ist. An seine Dokumente ist schwer heranzukommen, weil er — wahrscheinlich im Laufe der Balkankriege oder des Ersten Weltkrieges — in Mazedonien geboren wurde. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte der junge Mann krank, oder sich krank stellend, von niemandem behelligt in Belgrad. Obwohl sonst nach dem Krieg an wichtigen Stellen meist nur Teilnehmer des Befreiungskampfes beschäftigt wurden, nahm man Avramovic in die Kommission, die den Umtausch des Besatzungsgeldes in eine neue jugoslawische Währung bewerkstelligte.

DER „FINANZ-KARAJAN“

Von 1953 bis zu seiner Pensionierung war Avramovic, der erst danach in Belgrad promovierte, Angestellter, später Abteilungsleiter der Weltbank. Nach seiner Pensionierung fungierte er als Fachberater der Regierungen Indonesiens und der arabischen Emirate und war auch in der Nord-Süd-Kommission unter der Leitung von Willy Brandt. Menschen, die ihn aus jener Zeit kennen, nennen ihn einen „Finanzkarajan“.

Avramovic kehrte 1989 als Rentner nach Belgrad zurück, wo ihn der mindestens dreißig Jahre jüngere Slobodan Milosevic selbst, obwohl Jurist, ehemaliger Bankdirektor, in eine Kommission für die Währungsreform holte. Sein Rezept war einfach: knappes Geld. Es wurde neu nur in Mengen ausgegeben, für die es in Gold oder harter Valuta Deckung gab. Als erste bekamen Rentner und Offiziere je 30 neue Di- neu. Er ließ aus den Staatsreserven Waren billig auf den Markt werfen und setzte durch, daß der Staat von der Nationalbank keine Kredite mehr bekommt, seit 1. August ist der Staatshaushalt stabil.

Man wird über das jugoslawische Wirtschaftswunder unter erbarmungslosen Wirtschaftssanktionen noch viel schreiben. Sachverständige hatten der Reform eine Dauer von Wochen oder bestenfalls Monaten prophezeit. Der Hauptgrund für den Erfolg scheint psychologischer Natur zu sein. Ein Geldschein ist ja nur ein Schein ohne anderen Wert, als verabredet ist. Jedermann in Jugoslawien hatte Inflation und Unberechenbarkeit so satt, daß man an den neuen Dinar glauben wollte. Die Erscheinung Ävramovics als Superopa aus Amerika war dazu angetan, Vertrauen zu erwecken.

Die Reform ist von geschickten Nebensächlichkeiten begleitet. Daß man Goldstücke im Wert von 150 und 600 Dinar (oder DM) prägen ließ, ist ein psychologischer Trick. In Serbien wird Gold geschürft. Früher wurde es in Schmuck umgearbeitet exportiert. Da das jetzt wegen des Embargos unmöglich ist, kauft man sich dafür das Vertrauen der Bevölkerung. Avramovic hätte die Inflation nicht ohne Unterstützung des Regimes erfolgreich bekämpfen können. Die Reform wurde dadurch vorbereitet, daß man es vor ihrem Beginn absichtlich schlimmer werden ließ, als es sowieso war.

Die wirklichen Probleme kommen erst. Mindestens die Hälfte der jetzigen Arbeitnehmer wird ihren Job verlieren, umgeschult werden oder zurück in die Landwirtschaft gehen müssen. Das wird soziale Härten und Unruhen verursachen. Auch die Renten werden bescheidener, seit sie nicht mit frischem Geld aus der Banknotendruckerei ausgezahlt werden. Von einem jugoslawischen Wirtschaftswunder reden wird man trotzdem noch lange.

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