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Symbol des Freiheitshampfes

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Solihlahla war der erste in der Familie, der eine Schule besuchen sollte. Und da er dort in ordentlicher Kleidung erscheinen mußte, trennte sich der Vater von einem seiner Anzüge: „Mein Vater nahm eines seiner Hosenpaare und schnitt die Hosenbeine in Kniehöhe ab. Ich muß einen komischen Anblick geboten haben, doch habe ich nie ein Kleidungsstück besessen, auf das ich stolzer gewesen wäre”, erinnert sich Nelson Mandela an seine Kindheit.

Den englischen Namen verpaßte man dem damals siebenjährigen Ro-lihlahla Mandela bei seinem Eintritt in die Schule. Neben afrikanischer Kleidung, Religion und „unzivili-sierten Sitten” galten dort auch afrikanische Namen als unschicklich. Wir können annehmen, daß die Geschichte Südafrikas anders verlaufen wäre, hätte man den damals siebenjährigen Sproß einer Xhosa-Aristokratenfamilie nicht in die zu großen Hosen und in die Schule auf der anderen Seite des Hügels in der südafrikanischen Transkei gesteckt.

Auf über 800 Seiten hat der fast achtzigjährige Nelson Mandela seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Von seiner Kindheit in der kleinen Welt eines afrikanischen Dorfes bis hin zum Präsidentenpalast in Pretoria. Und dazwischen jene 27 Jahre im Gefängnis, die Mandela nicht nur in Südafrika zum weltweit bekannten Symbol des Kampfes gegen den Rassismus gemacht haben.

Die jungen Jahre Mandelas nehmen einen erstaunlich breiten Raum im Buch ein, denn der Weg zum politisierten Anti-Apartheid-Aktivisten war ein weiter. Zwischen seiner Loyalität zu den Stammesautoritäten in der Transkei und den trotz hartem Drill in britisch geführten Internaten vermittelten Werten war Mandela bald ein Zerrissener. „Während ich nicht daran dachte, das politische System des weißen Mannes zu bekämpfen, war ich durchaus bereit, gegen das soziale System meines eigenen Volkes zu rebellieren” beschreibt er seinen Konflikt angesichts seiner ohne sein Einverständnis arrangierten Vermählung. Vor Braut und afrikanischem Gehorsam floh er nach Johannesburg: „Hier sah ich zum erstenmal den südafrikanischen Kapitalismus in Aktion, und ich wußte, daß ich hier eine neue Art von Erziehung erhalten würde.”

Vom Gelegenheitsarbeiter in den Minen des Witwatersrand, der manchen Tag ohne Geld für eine Mahlzeit beschloß, schaffte Mandela den schweren Weg zur eigenen Rechtsanwaltskanzlei mitten in Johannesburg. Die goldene Brücke des Apartheidsystems in die innere Emigration für jene wenigen Schwarzen, die es in Südafrika zu etwas bringen durften, beging Mandela nicht. Er beschreibt seinen Weg durch die Instanzen, die vielen Demütigungen des zivilen Widerstands, die Hinwendung zum Untergrundkampf: „Ich, der niemals Soldat gewesen war, der niemals in einer Schlacht gekämpft und niemals auf einen Feind geschossen hatte, sollte nun eine Armee aufstellen.”

Den Kampf gegen die verhaßte Apartheid gewann Mandela nicht auf dem Schlachtfeld, sondern gerade dort, wo das Regime ihn zum Vergessenen zu machen versuchte: Hinter den Mauern der Hochsicherheitsgefängnisse Robben Island und Poolsmore. Dort wuchs Mandela, zu lebenslanger Haft verurteilt, endgültig zur Symbolfigur.

Der weltberühmte Gefangene, der in den ersten Jahren seiner Gefangenschaft im Kalksteinbruch schuften mußte, hatte seit den achtziger Jahren jenes Regime zur Geisel, das ihn und den Afrikanischen

Nationalkongreß ANC verteufelte. Den Kontakt zu Mandela, als letzten Ausweg aus internationaler Achtung, und auch in der Einsicht des Irrweges der Apartheid, suchten in den letzten Jahren des Systems der Rassentrennung die Vertreter des Regimes.

Die Zeit zwischen Entlassung, Empfang des Friedensnobelpreises und Präsidentschaft geht im Buch ein wenig unter. Der damalige Wahlkämpfer und nunmehrige Präsident Mandela darf wohl mit Recht annehmen, daß die jüngere Geschichte Südafrikas nicht im Dunkel der Zensur untergeht, wie die 70 Jahre im Leben Mandelas davor.

Die Nebensächlichkeit, mit der er sich bei der Schilderung seines Lebens hie und da zu einem rudimentären Exkurs zu den aktuellen politischen Geschehnissen in Südafrika außerhalb der Mauern seines Gefängnisses herabläßt, mag ihm mancher ein wenig als Eitelkeit ankreiden.

Wer das Buch liest, darf keine Geschichte Südafrikas erwarten. Mandela hat seine Lebensgeschichte geschrieben, nicht mehr und nicht weniger. Daß sie die Geschichte Südafrikas mitgeschrieben hat, wird, zumal nach der Lektüre des Buches, niemand bezweifeln.

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