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TANZ AUF DEM VULKAN

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Wenn ein Mitglied der Familie Rothschild den Plan zu einem schöpferischen Unternehmen faßt, so ist anzunehmen, daß dieser von Erfolg gekrönt sein wird. Mit Geduld und Phantasie, hauptsächlich aber mit der Fähigkeit ausgestattet, den richtigen Zeitpunkt für die Ausführung des Planes zu wählen, versuchte Batsheba de Rothschild ihre beiden Hauptinteressen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: nämlich ihr Interesse für das Land Israel und für die moderne Tanzkunst. Das Resultat ist eine Tanzgruppe von so hohem künstlerischem Niveau und professionellem Können, wie es dieses Land mit seinem ständig wachsenden Publikum tatsächlich verdient. Man möchte annehmen, daß

gerade Israel als Treffpunkt so vieler verschiedener Kulturen eine in höchstem Maße geeignete Stätte der Entwicklung dieser „Kunst ohne Worte“ sei. Waren doch der jüdische Gottesdienst und seine kultischen Formen immer schon ein Zusammenwirken von Gesang und Bewegung und hat der originale Tanz der „Hora“ doch einen entscheidenden Einfluß auf dieses Volk ausgeübt. Trotzdem konnte bisher keine professionelle Tanzgruppe in Israel Wurzel schlagen. Tänzer kamen, gründeten Schulen und versuchten, die jüngere Generation zu unterrichten, die ihrerseits wieder zu Lehrern wurde — doch es fand sich keine Bühne, auf der sie ihre Kunst hätten zeigen können. Der künstlerische Tanz wurde in Israel nach Betsheba de Rothschilds eigenen Worten recht stiefmütterlich behandelt. Die Folge war, daß zahlreiche begabte Tänzer das Land verließen, um anderswo ihr Glück zu versuchen.

Mit dem Entschluß einer Rothschild aber, dieser Kunst den Boden zu bereiten, fanden sich auch Kräfte, die den Plan verwirklichen halfen. „Ich rief diese Gruppe ins Leben, weil eine Lücke ausgefüllt werden muß und weil ich an die Notwendigkeit dieser Aufgabe glaube“, erklärte der Abkömmling jener Familie, die seit anderthalb Jahrhunderten Legende ist. Zur Legende geworden, durch immer wieder bewiesene Freigebigkeit, kühne finanzielle Erfolge und durch ihren langen und erfolgreichen Kampf für das Uberleben und die anerkannte Existenzberechtigung des eigenen Volkes.

Batsheba de Rothschild erzählt von ihren langsam reifenden Plänen, von dem zunehmenden Bedürfnis des Publikums nach „entertainement“, von der Suche nach Tänzern und Choreographen und von ihrer langjährigen Freundschaft mit Martha Graham, der hervorragendsten Schöpferin des modernen Tanzes. „Als diese große Künstlerin auf Grund ihrer persönlichen Verbundenheit mit mir und mit dem Volke Israels gewillt war, unsere künstlerische Beraterin zu werden und uns ihre besten Werke zur Aufführung anzuvertrauen, war mir dies die Mühe wert, das Risiko dieses Projektes einzugehen.“

Die Leiterin dieses Projektes verfolgt ein deutliches Ziel: Schaffung eines ständigen, hochwertigen Zentrums der Tanzkunst. Ihre Arbeit konnte erst in Angriff genommen werden, nachdem die Möglichkeit gegeben war, die besten Elemente, die Israel sein eigen nennt, mit jenen der übrigen Welt zusammenzuführen, um eine sorgfältig ausgebildete Gruppe mit einem abwechslungsreichen Programm zu schaffen. Und so wurde keine Zeit verloren — die Räder begannen sich zu drehen. Nachdem die Aufnahmsprüfungen abgelegt worden waren, befanden sich unter den sechs gewählten Tänzern auch zwei junge „Kibbutz“-Mitglieder, deren hervorragende Begabung — trotz ihrer Unerfahrenheit — eben nur Martha Grahams geschultes Auge entdecken konnte. Aus den USA kamen Lehrkräfte, um mit den Tänzern zu trainieren, und sechs Israeli begannen gleichzeitig in New York bei Martha Graham an einem Repertoire zu arbeiten. Das Training war hart, zehn Monate hindurch viele Stunden täglich. Im Oktober 1964 kehrten sie wieder in ihre Heimat Israel zurück, wo sie ihren letzten Schliff bekamen.

Drei Monate später trat die Gruppe in Tel Aviv zum erstenmal vor die Öffentlichkeit. Kritik und Publikum waren gleichermaßen und einstimmig begeistert. Das Programm bestand fast ausschließlich aus Choreographien Martha Grahams: „Embattled Garden“ (Musik: Carlos Surinach), „Herodiade“ (Musik: Paul Hindemith), „Errand into Maze“ (Musik: Gian-carlo Menotti) und einem Werk des Graham-Schülers Robert Conan „Celebrants“ (Musik: Carlos Surinach).

Endlich besaß Israel seihe eigene Tanzgruppe, eine, die ihrem Namen Ehre machte/ technisch vorzüglich ausgebildet war und Vorführungen von höchstem internationalem Niveau bieten konnte. Das gleiche gilt für die Qualität der Kostüme, die spärlichen, doch immer geschmackvollen Dekorationen und die phantasievolle Beleuchtung. Makellos erklang auch die Musik, dirigiert von Gary Bertini, dessen Kammerensemble, wohl durch die außerordentlich erfolgreiche Vermittlung von Giancario Menottis „Medium“, bereits allgemein bekannt geworden ist Die künstlerische Leiterin der Gruppe betrachtet es auch als ihre Pflicht, zeitgenössische Musik zu fördern und verbreiten zu helfen; die aufgeführten Werke stammen durchwegs von lebenden Komponisten, wie Ernst Krenek, Heitor Vüla-Lobos. Carlos Surinach und natürlich von einigen Israeli: Paul Ben Haim, Noah Sheriff, Odön Partos und Mordecai Seter. — Den phantastischen Erfolg hat die Gruppe hauptsächlich Martha Graham zu verdanken. Ihr Geist ist dominierend, die Solisten sind beinahe alle ihre Schüler. Welch besseren Beweis ihrer künstlerischen Hingabe und ihres Vertrauens in die junge Gruppe hätte sie geben können, als durch ihre Mitarbeit als künstlerische Ratgeberin und durch eine Anzahl ihrer eigenen choreographischen Schöpfungen?

Fast möchte man sich fragen, aus welchem Grund denn alle diese erstklassigen Tänzer nicht schon viel früher entdeckt worden waren, wenn sie auch, wie Rena Gluck und Rina Schenfeld, schon in anderen Gruppen tätig waren. Niemals nämlich haben sie so vorzüglich getanzt wie jetzt, da sie einer wirklich professionellen Gruppe angehören. Galya Gat ist ein Neuling, die noch Aufsicht benötigt, aber ständige Fortschritte macht, und Moshe Efrati, Ehud Ben-David sowie Ahuva Anbari arbeiten unter Aufsicht zweier führender Solisten der Gruppe Graham — Linda Hodes und Robert Cohan — ausgezeichnet. Neue Werke im Repertoire sind von Glen Tetley (aus New York, ein früherer Tänzer der Graham-Gruppe) und von den Mitgliedern der Gruppe, die sich nun auch schon als selbständige Tanzschöpfer betätigen: Shimon Braun, Oshra Elkayam, Rina Schenfeld und Ehud Ben-David. Zwei Aufgaben hätte die Gruppe zunächst zu lösen: Erstens einige andere führende Choreographen zu finden, die das Repertoire erweitern, zweitens gleichzeitig ein neues Publikum zu schaffen, an welches Ansprüche in bezug auf Intelligenz und fortschrittliches Verständnis gegenüber ungewöhnlicher Musik und anderem gestellt werden kann. Die jungen, dynamischen Talente sind auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen und bereit, ein Ensemble zu schaffen, welches einzigartig, modern und voller Begabung ist.

Die administrative Leitung des Ensembles wird mit jenen hohen Ansprüchen und unter strenger Ausschaltung jeglicher Publicity geführt, wie sie allen Rothschild-Unternehmungen zu eigen sind, seien sie finanziellen, wohltätigen oder kulturellen Charakters. Die „Batsheba-Gründung für Kunst und Studium“ (von welcher die Tanzgruppe eine Abteilung ist) besitzt ein Haus mit Probenlokalen von über 1500 Quadratmeter Größe. Eines davon verfügt über eine bis ins Letzte technisch ausgerüstete Probebühne, um die die Tanzgruppe von manchen weltberühmten Ballettorganisationen beneidet werden könnte. Die 14 Mitglieder der Gruppe bekommen monatliche Fixgehälter in der Höhe von 180 bis 250 Dollar. Das technische Personal besteht aus elf Personen. Eine soeben gegründete Schule soll für den Nachwuchs der Schule sorgen. Es wird dort klassisches Ballett und Graham technique gelehrt und es werden Seminare über Musik (von Gary Bertini geleitet) und angewandte Kunst (Lehrer Danni Karavan) abgehalten. Während des ersten Jahres, das hauptsächlich der Vorarbeit diente, trat die Gruppe insgesamt vierzigmal in Tel Aviv auf, in der drauffolgenden Spielzeit wurden in gan» Israel etwa 70 höchst erfolgreiche Abende veranstaltet. Vergangenen Sommer wurde der erste Schritt außerhalb des Landes gewagt, als die Gruppe eine Woche lang auf der Insel Zypern auftrat und wo ein begeistertes Publikum, ungeachtet der nahe oder ferne explodierenden Bomben, den Tänzern jubelnd applaudierte, während die Presse von den „Pionieren des zeitgenössischen Tanzes im Mittleren Osten“ sprach.

Ihre erste Tournee wird die Gruppe im Frühjahr 1968 antreten, da vorher einige Mitglieder mit dem israelischen Kammertheater zur EXPO 67 nach Montreal verpflichtet sind. Die Festivals von Holland, Prag, Kopenhagen und Florenz haben die Batsheba-Gruppe für diese Zeit eingeladen. Neue Werke im Repertoire der Gruppe sind: Glen Tetleys „Psalms“ (Musik: Odön Partos), Shimon Brauns „Sport“ (Musik: Jazz-Zusammenstellung), Rina Schenfelds „Blind-man's Buff“ (Musik: Elliot Carter), Ehud Ben Davids „By Order of Creon“ (Musik: De Charlip) und eine Einstudierung von Martha Grahams „Cave of the Heart“ (Musik: Villa Lobos). Dann wird dem internationalen Publikum Gelegenheit geboten werden, die Leistung der Gründerin der Gruppe zu beurteilen. Sie selbst sagte: „Wir wollen die Ergebnisse unseres Versuches vorführen — hoffend, daß wir zurückblicken und träumend sagen dürfen ,Es hat sich gelohnt.“ Vielleicht erinnert sie sich daran, daß Größe oft mit einem Traum beginnt — einem Traum, der schon einmal vor zwei Jahrhunderten auftauchte, in einem übervölkerten Frankfurter Ghettohaus, in dem Mayer Amschel Rothschild einen kleinen Handel mit Münzen und alten Medaillen eingerichtet hatte...

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