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Tappen im Dunkel der Verdrängung

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Welches Selbstbild hätte Österreich ohne seine Österreich kritisierenden, gegen Österreich wütenden Dichter, ohne Thonfias Bernhard, Hans Lebert, Gerhard Fritsch, Gerhard Roth, Robert Menasse und all die anderen, ohne den kritischen, bösen Heimatroman? Es gliche möglicherweise tatsächlich der filmischen Selbstdarstellung in der Pause des Neu Jahrskonzerts, die Menasse im aktuellsten der in seinem neuen, soeben vorgestellten Bändchen i„Hysterien und andere historische Irrtümer" gesammelten Aufsätze, „Rot - Weiße Rose - Rot", mit der intellektuellen Schärfe und dem beißenden Witz, deren er fähig ist, analysiert.

Schärfe und Witz machen seine Essays zu einer anregenden Lektüre, zumal er ja in vielem recht hat. Etwa, wemf er die verhatschte Symbolik der weißen Rosen, mit denen die ÖVP-Abgeordneten zur Eröffnungssitzung des neuen Nationalrates antraten, aufs Korn nimmt. Man habe die Symbolblume der alten Christlichsozialen wiederbeleben wollen, doch war deren weiße Nelke offenbar nicht gut genug, es mußte halt doch etwas teureres] sei, wobei aber keinesfalls an die Widerstandsbewegung „Weiße Rose" der Münchner Geschwister Scholl gedacht werden sollte. Fazit: „Der Name der Rose ist Nelke?"

Zum Flugzeug, das im heurigen Neujahrskonzert „plötzlich eigentümlich lang ... zu sehen war", fällt ihm, ein kleines Glanzstück des satirischen Feuilletonismus, ein: „Mit dieser Maschine verlassen gerade die denkenden Menschen dieses Land -und sie wollen sehr weit weg." Was mich an den nicht weniger schön geschliffenen Satz erinnert, mit dem „Das Land ohne Eigenschaften" (das im Vorjahr als überarbeitete Version eines Textes aus dem Jahr 1992 erschien), beginnt: „,Österreichische Identität' - dieser Begriff hat etwas von einem dunklen und muffigen Zimmer, in dem man, wenn man aus irgendeinem Grund eintritt, sofort die Vorhänge beiseite schieben und das Fenster öffnen möchte, um etwas Luft und Licht hereinzulassen."

Wenn es freilich darum geht, die muffigen Gerüche in diesem Zimmer zu analysieren, tut sich auch Menasse schwer. Er beschränkt sich ja nicht darauf, Österreich seinen Antisemitismus und den Großparteien ihren jahrzehntelangen verlogenen Umgang mit der Nazivergangenheit vorzuhalten. Er forscht nach Gründen und; leitet aus zeitgeschichtlichen Sachverhalten politologische Aussagen ab. Dabei hat er erstere freilich, generationsbedingt, nicht mehr unmittelbar mitbekommen wie etwa Thomas Bernhard, der angebliche Übertreibungskünstler, der stets wußte, wovon er redete und wann und was er möglicherweise übertrieb. Menasse bezieht die Sachverhalte, aus denen er Schlüsse zieht, aus zweiter Hand.

Die Irrtümer, die ihm dabei unterlaufen, sind interessant. Wichtige Teile dessen, was Österreich nach dem Krieg verdrängte, blieben nämlich auch Menasse verborgen. Dadurch wird er zu einem Diagnostiker österreichischen Befindens, der dem Patienten neu gewonnene Gesundheit bescheinigt, ohne ihm das Fieber gemessen zu haben. Dies ist ihm aber nur! zum Teil anzulasten. Es beweist vor j allem Österreichs gewaltige Potenz im Verdrängen. Was den Großparteien nach den frühen Nach-kriqgsjahren nicht mehr in den Kram paßte, hält es selbst vor seinen kritischen Geistern bis heute erfolgreich geheim. Zum Beispiel den sehr wohl unternommenen, wenn auch nach dem Muster des Hornberger Schießens etwas abrupt beendeten Versuch, NS-Verbrecher zu bestrafen.

Ein Satz im „Land ohne Eigenschaften" über die „Mühlviertler Hasenjagd", den Massenmord an den aus Mauthausen ausgebrochenen russischen Kriegsgefangenen, ist signifikant dafür: „Keiner dieser Menschen wurde nach dem Krieg für diese Morde verurteilt und bestraft." Sofort, also ohne Anspruch auf Vollständigkeit, fand ich wegen dieses Verbrechens eine Verurteilung zu 20 und zwei zu zehn Jahren.

Österreich hat eben ein paradox funktionierendes Gedächtnis. Die Anbiederung der Großparteien an die Nazis ging so weit, daß ausgerechnet das, was noch am ehesten geeignet wäre, zugunsten Österreichs zu sprechen, am1' gründlichsten verdrängt wurde. Nur so ist das entsetzliche intellektuelle Kuddelmuddel erklärbar, in dem die apodiktische Behauptung von Robert Menasse in „Rot - Weiße Rose - Rot" möglich wurde, die ÖVP habe im Herbst 1945 die absolute Mehrheit nur deshalb errungen, weil sie dem SPÖ-Plakat, in dem der Austausch der österreichischen Kriegsgefangenen gegen die Nazis in Österreich gefordert wurde, entgegentrat.

Eine solche Behauptung setzt stillschweigend voraus, daß der Anhang der ehemaligen Nazi-Parteimitglieder, die selbst noch von der Wahl ausgeschlossen waren, diese entschied, während die Nazigegner eine zu vernachlässigende Größe darstellten.

Wie bringt Menasse in seiner Rechnung unter anderem die Hinterbliebenen der 30.000 in KZs und Gestapogefängnissen ermordeten und der 2.500 „offiziell" hingerichteten nichtjüdischen Österreicher unter, und alle, die so dachten wie sie? Der Eindruck von Österreich als einem Land, in dem die Nazigegner eine quantite negligeable darstellten, entstand dadurch, daß diese für die Parteien sichere Wähler darstellten, um die man sich weniger kümmern mußte als um die Nazis, denen die Rolle des Jünglings Paris zufiel, ohne dessen Gunst nun gar nichts mehr ging. Dieses Liebeswerben um die Nazis und Ignorieren ihrer Opfer und Gegner wurde schnell schlechte Tradition. Wenige Jahre später warfen die Großparteien einander ihre Nazigegnerschaft von 1945 an den Kopf, die ÖVP der SPÖ das Plakat von 1345, die SPÖ der ÖVP eine Äußerung Alfred Maletas von 1946, die Nazis seien unbelehrbar.

Diese Politik unterlief alle Bemühungen, den Antisemitismus loszuwerden, zerstörte die ursprünglich starken Antinazi-Reflexe der frühen Nachkriegszeit, machte eingeleitete Lernprozesse rückgängig, führte zu einem systematischen Ab- statt Aufbau von demokratischer und humaner Sensibilität in Österreich und wurde damit zur Basis für den Erfolg des Jörg Haider.

Daher der muffige Geruch im Zimmer. Er kommt von der Stärke einer muffigen und der Schwäche der demokratisch glaubwürdigen und weltoffenen Oppositionspar-teien. Menasse sieht in Haiders Erfolg hingegen den Ausdruck einer Normalisierung, aufbrechender erstarrter Strukturen, und macht sich über die Reaktion von Künstlern und Intellektuellen auf Haiders Erfolg lustig. Er verweist auf Faschismustheorien, deren Definitionen des Nationalsozialismus die F nicht entspricht, und geht stillschweigend darüber hinweg, in welcher Breite sich die Relikte des Nazismus nicht per Identifizierung mit dessen Zielen, sondern per Verniedlichung seiner Verbrechen definierten.

Er mag teilweise recht haben, wenn er meint, daß Haiders Wähler „auf seine ressentimentgeladenen austrofaschistischen Signale ansprechen." Wenn er aber Haider zum neuen Linken „im Sinne der Neudefinition der Begriffe rechts und links" und Fortsetzer einer ungebrochenen austrofaschistischen Tradition, ja zum geradelinigen Dollfuß-Erben stilisiert, vermehrt Robert Menasse das Dunkel der Verdrängung und das daraus resultierende intellektuelle Kuddelmuddel, statt Licht ins Zimmer zu lassen.

HYSTERIEN UND ANDERE HISTORISCHE IRRTÜMER

Von Robert Menasse Mit der Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 1995 Verlag Sonderzahl, Wien 1996. 94 Seiten, Pb., öS 198,-

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