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Tauziehen über und unter dem Wasser

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Der Mann, der über die Pläne und Landkarten gebeugt steht und sich, das Dreiecklineal mit dem Sechziggradwinkel wegschiebend, aufrichtet, sagt kurz und bündig: „Von Partenstein — Sie erinnern sich, das war 1924 - redet niemand mehr. Und wenn wieder fünfunddreißig Jahre vorüber sind, kräht nach Obermühl kein Hahn.” Es geht nun der „arbeitslosen Donau”, wie unser Leitartikel am 7. Dezember 1957 vorausschauend skizzierte, ernstlich an den Kragen. Da ist vorerst Aschach. Ein Dreimilliardenprojekt, das — die Vorarbeiten dazu sind längst im Gange — um das Jahr 1963 fertig als Tatsache vor uns stehen wird. „Das größte Flußkraftwerk Europas”, wie man es heute schon pathetisch nennt, das in vier Jahren 1.539,000.000 Millionen Kilowattstunden Strom liefern soll. Aschach liegt nur sieben Kilometer von Partenstein entfernt, am Beginn einer der letzten ursprünglichen Stromlandschaften der Donau. Nach der Einmündung der Großen und Kleinen Mühl kommt die große Donauschlinge bei Schlögen. Alle Landschaftsbilderbücher und geographischen Fachwerke bilden sie ab. An der Einmündung der Kleinen Mühl in die Donau liegt Obermühl, das im Wasser versinken soll. Untermühl wird ebenfalls von der Landkarte und dem jetzigen Standort verschwinden. Es soll auf dem Hang zur Burg Neuhaus Wiedererstehen. Auch Obermühl muß mit erheblichen Kosten nach Aufhöhung des Ortsgebietes neu gebaut werden. Auf der Strecke Obermühl bis Schlögen wird es nötig sein, die Uferniederung Grafenau aufzuböschen. Allein für die Bodenerhöhungen sollen zweieinviertel Millionen Kubikmeter Erde und Steine bewegt werden, die .Ufer- und Stützmauern messen 44.000 Kubikmeter. Der rund 40 Kilometer lange Rückstau von Aschach bis zum Werk Jochenstein tilgt 160 Bauten von der Landkarte. „Diese Zahl ist, verglichen mit der Größe des Bauvorhabens, ungewöhnlich gering”, sagt der Mann hinter dem Reißbrett! Er hat vorderhand natürlich, weil von Aschach die Rede ist, nur die 160 Bauten erwähnt. Von den Planungen Ottensheim, Mauthausen und Wallsee, die der „arbeitslosen Donau” bis Persenbeug noch aufgedrängt werden sollen, redet der Mann nicht. Er weiß nicht oder schweigt darüber, daß — wie der Planer des Großkraftwerkes Aschach im Wasserrechtsverfahren ausgeführt hat — vorerst sogar die Absicht bestanden hat, zwischen Aschach und Jochenstein zwei Kraftwerke zu errichten. Er weiß nicht, daß der durch Hochwasser künftig gefährdete Ort Freizell eigens durch einen Damm geschützt werden muß, der zusätzlich Geldmittel erfordert. Er weiß nicht, daß man Aschach dereinst mit Eisbrechern von 900 PS ausstatten wird müssen (die Eisbrecher von Jochenstein und Ybbs haben 400 bzw. 700 PS). Lieber die Zukunft der Papierfabrik in Obermühl, der ein Grundverlust von 19.000 Quadratmetern und durch den Aufstau eine Leistungsminderung von 200 Kilowatt bevorsteht, geht man großzügig hinweg. Wie Fragen des Arbeitsmarktes diskutiert werden, sah man am zweiten Tag des Wa serrechtsverfahrens. Da sagte man den Herren der Papierfabrik, sie hätten eben zu wählen zwischen der Liquidierung oder der Modernisierung (wobei nicht erläutert wurde, wer diese bezahlen soll). Uebri- gens wird das Aschach-Projekt einen Umbau des Kraftwerkes Partenstein nötig machen. Das ganze Planen segelt scheinfreundlich unter der Flagge der Förderung „unterentwickelter Gebiete”, vorweg des Mühlviertels, und man macht sich Hoffnungen auf Bundeszuschuß — siehe die im letzten Budget bereitgestellten 100 Millionen Schilling. Als ob eine Förderung dieser nicht ohne Schläge gegen die Landschaft abginge, die atmen will wie ein Mensch.

Der nächste Schlag soll gegen das arbeitslose Wasser am Schicksalsfluß Oesterreichs, an der Ennslinie erfolgen. Hier heißt das Projekt Kastenreith (sagt man in Oberösterreich) und Fünfstufenwerk (sagt man in der Steiermark). Wer setzt wen unter Wasser? Wo wird zunächst in die Landschaftsbiologie eingegriffen, und wieviel kostet der Spaß? Man versichert in Oberösterreich, daß Kastenreith heuer in ein entscheidendes Stadium treten wird. Die Landesregierung hat eine Denkschrift ausgearbeitet, die der Bundesregierung übergeben werden soll. Wohl zu dem naheliegenden Zwecke, die Steirer zu belehren. Denn Steiermark ist gegen das Projekt Kastenreith und hat eine gesetzgeberische Initiative für den Landschaftsschutz ergriffen (die sogenannte „Lex Kastenreith”). In die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen dem Laufkraftwerk der Steirer und dem kombinierter Speicherlaufwerk der Ennstalkraftwerke wurde in letzter Zeit durch einseitige Verfügungen des Landwirtschaftsministeriums beziehungsweise dei ihm unterstehenden obersten Wasserrechtsbehörde neuer Sprengstoff gelagert. Das Ministerium hat offensichtlich für Kastenreith nicht viel übrig. Indessen baut man am Laufkraftwerk Altenmarkt ohne wasserrechtliche Genehmigung weiter. Die Gegenseite läßt nichts unversucht. In Graz ließen oberösterreichische Interessenten einen Farbfilm starten unter dem Titel: „P i o- niere von morge n.” Man will also mit allen Mitteln der öffentlichen Beeinflussung die sich regenden Gegenstimmen zum Schweiger bringen. „Pioniere von morgen!” Nüchterner ausgedrückt: Es handelt sich um Verlegung der Bahn, der Bundesstraße, Neuanlegung von Ortschaften. Konkreter: Weißenbach käme unter Wasser, das Hochplateau von St. Gallen würde zu zwei Dritteln überflutet, eine Verbindung mit Admont gäbe es nur durch die Buchau. Die Zubringer Weißenbach, Spitzenbach, Zinkbach und Erbbach würden weit in die Gräben zurückgestaut. Mit Großreifling in seiner derzeitigen Gestalt wäre es aus. Da der Stausee, der entstehen soll, im Winter nur etwa die Hälfte der sommerlichen Wassermenge enthält, entstünde eine 3 5 Kilometer lange, mit Schlamm dekorierte Gosse. Der Abgeordnete Dr. Kaan hat im steirischen Landtag darauf hingewiesen, daß eine allgemeine Regelung wichtig wäre, weil der Mensch in seinem Lebensraum „Schutz vor den Technokraten” brauche. Sie holen sich, wenn es das bessere Ansehen erfordert, auch große Namen. Die Ennstalkraftwerke haben sich bei der Kampagne für Kastenreith sogar den Erbauer der Großglockner Hochalpenstraße, Wallack, gesichert und sich ein.,Erojąlįtiiher die VeiTeįuhg der Eisenbündesstraße bestellt. Zuckerbrot für die Ueberfluteten: Im Raum zwischen Weyer und Hieflau wird eine Frequenzsteigerung von 380.000 auf 860.000 Tonnen im Jahre erwartet. Daß es nicht nur um den Neubau der sogenannten Eisenbundesstraße geht, sondern auch die Ennsbundesstraße im Gesäuse, diesem Naturwunder Oesterreichs, die Landesstraßen über den Hengstpaß und die Buchau sowie die Groß- reiflinger Landesstraße umgebaut werden müssen (insgesamt 76 Kilometer!), wird dazu nicht gleich gesagt. Es ist für uns völlig uninteressant, ob der D-Zug durchs Gesäuse bei anderer Trasse ein paar Dutzend Minuten früher in Bischofshofen ist oder ob man auf einer „modernen Autostraße mit 7,5 Meter Fahrbahnbreite” eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 70 Kilometer - erzielen wird können. Man scheint sich nicht im klaren zu sein, daß der Fremdenverkehr aufhört, Oesterreichs Aktivpost Nummer 1 zu bleiben, wo man die Kulturlandschaft einebnet und überflutet. Die Frage lautet: Möchte man das uns überantwortete Erbe zu treuen Händen verwalten oder an-den Meistbieter verschachern? Die Alternative lautet: Kulturreservate oder durchtechnisierte1 Zivilisätionsgegend?

So weit ist es heute also schon, daß die Menschen, aufgewachsen in ihrer Heimat, umgeben von den Zeugnissen der Arbeit ihrer Vorfahren, ungebrochen durch die harten Eingriffe des letzten Krieges, um Schutz dort suchen, wo sie hoffen, ihn zu finden: beim Gesetzgeber. Nun sind wir weit’- davon entfernt, - wegen- jedes Betonstreifens Zeter und Mordio zu schreien. Wir kennen genau die Zuwachsrate des Strombedarfes (ohne verhehlen zu wollen, daß mitunter der Konsumhunger unvernünftig gesteigert wird und, nicht zuletzt, der Strom maßlos verschwendet wird, siehe die Neonitis in Wien). „Man mache uns nicht vor, daß allein wegen des Strombedarfes der sieben Millionen Oesterreicher die Donau ein Korsett aus Zement an- legen muß”, schrieb unser Blatt am 7. Dezember 1957. Das merkwürdig intensive Interesse ausländischer Geldgeber beweist, wie hoch man den Stromexport aus Oesterreich bewertet. Und hier gilt es, einen Zaum anzulegen. Wir haben zu wenig von einer Befragung der Stellen gehört, die mit dem Naturschutz befaßt sind. Fachleute aus diesen Kreisen haben — für die Donau — gezeigt, daß eine Sperrenkette die Zerstörung der Ufer, die Verwüstung der noch erhaltenen Auwälder und eine Senkung des Grundwasserspiegels bedeutet. Die Biologen sagen voraus, daß das Lebensgleichgewicht sich verändern wird. Es gibt Techniker, die zu erwägen geben, daß auch die Eisgefahr in milden Wintern bei einer Vermehrung der Sperren nicht zu unterschätzen ist, ganz abgesehen von der Verlangsamung der Schiffahrt. Wir wollen nicht die Gefahr internationaler Konflikte besonders an die Wand malen, aber jedermann weiß, welche Felgen die Zerstörung von Flußsperren für die Umgebung haben kann.

Wir geben allen, die mit dem Bau von Flußkraftwerken und der unermüdlich weitergehenden Planung weiterer Vorhaben befaßt sind, keinen Rat, denn diesen ertränken sie mit Wasser. Wir möchten aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Verantwortung für die Gesamtheit, die der Gesetzgeber trägt, nicht diese wilde gegenseitige Sperrenlizifierung zulassen wird. Die Folgen einer Anhäufung großer Speicher insbesondere an klimatisch neuralgischen Punkten werden sich nicht morgen und in einem oder zwei Jahren zeigen. Man kann sehr wohl Ansiedlern einen guten neuen Hof anderswo hin- bruen und sie damit zufriedenstellen. Aber die Landschaft läßt sich nicht kaufen. Das Leben der Auwälder, die bizarren Schluchten der Enns kann man nicht konservierend verpflanzen.

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