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Teilung oder Tod!

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Es gibt Steine verschiedenster Art — wertlose und kostbare, solche, die ihren Trägern angeblich Tränen oder Unglück bringen. Im Leben des Bauern aber spielt nur ein einziger eine Rolle. Und vielleicht hat er mehr Haß und Betrug, Leidenschaft und Leid gesehen als jene glänzenden Flimmerstücke, die in den Versiche-rungspolizzen und Schatzverzeichnissen detailliert angeführt sind. Der Grenzstein spielt nicht nur in den Kalendergeschichten einer vergangenen Epoche oder in spukhaften Märchen eine Rolle: er stellt die Grundlage des Lebens selber dar, er ist dem Bauern wie dem Staatsmann wichtiger als Geld und Gut, als Frieden und Freundschaft mit dem Nachbar. Die Türken aber sind Bauern. Ein zähes und furchtloses Volk, das seinen Acker bewacht und sehen mußte, wie andere sich nehmen, was es für sein Eigen hielt.

Die Geschichte Zyperns ist zu bekannt, als daß man sie wiederholen müßte. Trotzdem möge ein Punkt nochmals hervorgehoben werden: hätte England oder eine andere Macht die Insel im Verlaufe des ersten Weltkrieges erobert, ohne daß auf dem Berliner Kongreß im Jahre 1878 Verträge und Abmachungen geschlossen wurden, die dem britischen Empire ein gewisses Recht auf Zypern gaben, dann hätte sich die Türkei wohl — wie mit mancherlei anderem — auch mit diesem Gebietsverlust abgefunden. Der Bauer ist in seinem ganzen Wesen viel zu sehr Realist, als daß er sich nicht mit Tatsachen abfände. Wenn er aber einen Vertrag geschlossen hat, dann hat er ein scharfes Auge darauf, daß der Partner — oder ein Dritter — seine Rechte nicht überschreitet. So ist es in seinem Wesen der alte Streit um den versetzten Grenzstein, der ein in der gegenwärtigen Lage besonders tragische Neuauflage erfährt. Das ganze Land von Thrazien bis zur persischen Grenze vibriert in der Spannung und entschlossenen Leidenschaft, die das Gefühl eines erlittenen Unrechtes und ein ins ungemessene gesteigerter Nationalismus hervorrufen.

Dies ist das zweite Element, welches in der Auseinandersetzung zwischen Griechenland und England verhindert, daß am grünen Tisch erfolgreich verhandelt werden kann. „Ne mutlu, Türkum — welch ein Glück, daß ich Türke bin“ lautet ein vielzitiertes Wort Atatürks, das in der letzten Zeit wieder besonders oft zu hören ist. Der Türke kann aber nicht glücklich sein, sich seines Türkentums nicht freuen, solange er irgendwo zur bloßen Minderheit herabsinkt. Er hat lieber Menschen in seinem Staatsverband, die einhellig der Meinung sind, daß es ein Glück sei, Türke zu sein, oder, aber solche (wie Griechen, Armenier und Juden), die er leicht daran hindern kann, ihre gegenteilige Meinung laut werden zu lassen.

Volk und Regierung erinnerten sich denn auch genau an jenen 6. September 1955, an welchem, ebenfalls im Rahmen einer Zypern-Demonstration und einer Protestkundgebung gegen einen Bombenanschlag auf das Geburtshaus Atatürks in Saloniki nahezu alle ausländischen, genauer gesagt „nichttürkischen“ Geschäfte demoliert und geplündert wurden. Nach der Gleichung „Türke ist gleich Mohammedaner“ ergaben sich daraus Aktionen gegen alle jene, die zwar einen türkischen Paß besitzen, aber an ihren Namen leicht als orthodoxe Griechen, Armenier oder Juden erkennbar waren.

Darauf wollte man es diesmal nicht ankommen lassen. Es schadete dem Ansehen vor der Welt, wollte man abermals zusehen, wie Kirchen und Gräber geschändet werden und ganze Geschäftsstraßen in Trümmerhaufen verwandelt werden. Als in Istanbul auf dem neugestalteten Beyasitplatz am 8-. Juni eine Großkundgebung für Zypern stattfand, waren alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Die Sicherheitsdirektion mobilisierte im Verein mit dem Garnisonskommando alle nur verfügbaren Kräfte und sperrte sämtliche Urlaube. Das orthodoxe Patriarchat und das englische Konsulat wurden in dichtem Kordon zerniert und motorisierte Einheiten durchstreiften pausenlos die Stadt, während Tankgeschwader mit laufenden Motoren an den Knotenpunkten der Stadt bereitstanden.

Es war gut, daß die ganzen Bereitschäften aufgeboten waren: an die dreihunderttausend Demonstranten hatten dem Aufruf zu der bisher größten Zypernkundgebung Folge geleistet und begrüßten Dr. Fazil Kütschük, den Führer der Zyperntürken, mit begeisterten Zurufen und jenen fanatischen Sprechchören, deren Stil und Tonfall aus der jüngsten deutschen Geschichte noch sattsam bekannt ist: „Ya taksim — ya ölüm — Entweder Teilung (Zyperns) oder Tod“ — „Wir teilen oder sterben“, was im Türkischen den Vorteil hat, daß es sich reimt...

Vielleicht kommt der Regierung auch das Zypernproblem nicht ganz ungelegen. Längst schon hat sich herausgestellt, daß Ministerpräsident Menderes, ein ebenso reicher wie intelligenter Großgrundbesitzer aus Aydin, unter Demokratie etwas versteht, was sich einer absoluten Monarchie nicht nur asymptotisch nähert. Längst schon hat es sich auch gezeigt, daß die Inflationspolitik dieses Mannes das ganze Land in einen gähnenden Abgrund von Schulden und überstürzten Investitionen führt. Es ist seit jeher die Manie von Diktatoren gewesen, ihren Namen durch riesige Bauprogramme zu verewigen und durch eine harte Außenpolitik das wettzumachen, was sie an Kredit im Landesinneren verlieren.

Man kann nun beim besten Willen nicht behaupten, daß Adnan Menderes etwa durch sein Bauprogramm populär geworden wäre. Das Wort „Istimlak“ (Enteignung) hat für zehntausende Istanbuler Katastrophencharakter angenommen, da ganze Stadtviertel über Nacht dem Boden gleichgemacht wurden, um breite Straßenzüge und Parkplätze, Parkanlagen und Aussichtspunkte (!) zu schaffen, ohne daß für die auf die Straße gesetzten Wohnparteien und Geschäftsleute (von wenigen Ausnahmen abgesehen) Ausweichquartiere geschaffen wurden. Touristen, die nach einer Abwesenheit von auch nur zwei Jahren die Stadt wieder besuchen, erkennen sie nicht wieder und vermuten, daß ein Erdbeben weite Stadtteile in Schutt gelegt habe. Fast täglich bringen die Zeitungen — kommentarlos, da keine Pressefreiheit herrscht und ein guter Teil der oppositionellen Journalisten im Gefängnis ist — Nachrichten von neuen Preiserhöhungen. Allein die staatlichen Verkehrsmittel weisen einen Teuerungsindex von 75 bis 138 Prozent auf! Nun ist das türkische Volk zwar bewundernswert geduldig, aber jene

Einer der vielen primitiv gedruckten Flugzettel

Grenze, die zumutbare Entbehrungen von der nackten Not trennen, ist für einen Teil der Bevölkerung schon überschritten. Die nationale Begeisterung für Zypern aber vermag die bittere Pille der Sorge und Not zu versüßen: man nimmt es leichter hin, daß wochenlang fast kein Fleisch auf den Markt kommt, plötzlich im ganzen Land kein Zucker erhältlich ist und Margarine aus den Kaufläden mit einem Male verschwindet, man nimmt alles das leichter hin, wenn man die große nationale Aufgabe vor Augen hat.

Zum Beweise gleichsam, daß besonders die Jugend bereit ist, ihr Herzblut für die Teilung Zyperns zu geben, finden sich allerorten Gruppen, die tatsächlich weißes Fahnentuch mit ihrem Blut in die rote türkische Flagge verwandeln helfen oder auf helle Leinwand die Landkarte der grünen Insel in blutigem Rot zeichnen. Die Begeisterung ist national und damit religiös. Makarios ist nicht nur Grieche, er ist Nicht-mohammedaner, Christ, und wird sowohl von der Presse wie auch von den Versammlungsrednern meist als „der schwarze Pfaffe mit den blutigen Händen“ bezeichnet, falls nicht derbere Ausdrücke treffsicherer erscheinen.

Als während der Istanbuler Massenversammlung der Müesin vom Minarett der Beyasit-moschee zum Gebet rief, teilte der Sprecher dies dem Volk mit (angeschlossen die Sender Istanbul, Ankara und Smyrna) und dreimalhundert-tausend Männer verharrten in ehrfürchtigem Schweigen.

Den Höhepunkt der Demonstration aber bildete jene Versammlung, die wenige Tage darnach in der Hauptstadt Ankara am Grabe Atatürks stattfand. War die Stimmung während der Istanbuler Großversammlung sprengstoffgeladen, so hatte man vor dem Mausoleum Atatürks das Gefühl, auf einem Vulkan zu stehen. Nicht allein die Sprache der Redner vermittelte diesen Eindruck, sondern die beispiellose Erregung des Volkes, das - noch dazu — am • Grabe seines von allen und noch immer geliebten Befreiers stand.

„Griechenland! England!“ rief einer der Sprecher unter dem tobenden Beifall des Volkes, „Wir haben die Freundschaft mit euch satt!“ Es sind dies Worte, deren Klang weit über Meer und Land reicht. Und der türkische Außenminister Fatin Rüschtü Zorlu gab auf die Frage, ob eine Ablehnung der Teilung Zyperns militärische Aktionen der Türkei nach sich ziehen würde, keine Antwort.

„Ya taksim — ya ölüm!“

„Entweder die Teilung Zyperns oder den Tod.“

Es ist den Türken ernst damit. Trotz Balkanpakt und NATO.

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