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Tellerkappe und Aktentasche

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ES WAR EINMAL EIN MAJOR. Dieser Major hieß Franz Birsak und kommandierte 1955 die provisorische Grenzschutzabteilung I, die als erste Einheit des neuen Bundesheeres in Wien einzog. Im feldmäßigen Mot-Marsch von Ebelsberg bei Linz bis nach Hietzing in die Fasangartenkaseme, damals noch „Schoenbrunn Barracks“ unterm Union Jack. Am 26. September 1955 defilierte der Major Birsak an der Spitze seiner Truppe über den Heldenplatz. Viele Wiener standen Spalier, und jene, die nicht dabei gewesen waren, sahen am nächsten Tag sein Bild in allen Zeitungen:

Feldkappe mit eleganter leichter Rechtsneigung aufgesetzt, Eichenlaub am Umschlag, helle eisengraue Gendarmerieuniform, bei der nur, der in Eile erlassenen Verfügung gemäß, die roten Aufschläge durch grasgrüne und die goldgekörnten Knöpfe durch die stilvolleren grauen Hornknöpfe ersetzt waren. Die Gendarmeriegranate war schon von den blaugrauen Monturen verschwunden, als die Überführung der B-Gendarmerie-Einheiten in die militärischen Kader erfolgte.

Wer damals den Major Birsak sah, sei es in natura, sei es im Bild, der hoffte, daß damit im Stil der Erscheinung gleich in der Geburtsstunde des jungen Heeres das Leitbild eines modernen österreichischen Offiziers in Erscheinung getreten sei — schließlich leben wir ja im Zeitalter der Leitbilder. Doch später veränderten sich die Konturen.

IM BLAUGRAUEN GENDARMENHEMD machten die Angehörigen der Kadereinheiten damals im Herbst 1955 und dann im Sommer 1956 Dienst. Am Kragen trugen sie das schmale „Egalisierungsstreiferl“, wie es 1916 aus Ersparungsgründen bei der k. u. k. Armee eingeführt worden war. Das „Farbenkastel“ war allerdings noch auf eine kleine Auswahl beschränkt: Grasgrün für die normalen Grenzschutzabteilungen, später Feldjägerbataillone, Stahlgrün für die Pioniere, und als die ersten Jungmänner im Herbst 1956 einrückten, tauchte auch das lebendigere Rostbraun als Waffenfarbe der neu formierten Tel-Bataillone auf. Die blaugraue „Grenzjägeruniform“, im Schnitt etwas anders, im Farbton intensiver und im Material robuster als die normale Gendarmeriemontur, stand freilich bereits auf dem Auf-trage-Etat. In den Bekleidungskammern, bis zum „Tag X“ ängstlich vor neugierigen Journalistenaugen gehütet, lag die neue „Uniform M 56“, der Stammtypus aller folgenden feldgrauen Kreationen, zunächst noch aus dickem Loden. Daneben, säuberlich geschlichtet, die feldgrauen Hemden und Krawatten. Denn der Soldat mit Krawatte war ja das große, lange hinter verschlossenen Türen diskutierte Novum. Als erster trug übrigens der mittlerweile verstorbene General Liebitzky das neue Feldgrau in der Öffentlichkeit. Die anderen Offiziere behielten noch lange auf ministerielle Weisung die alten Uniformen als Dienstgarnituren bei. Vereinzelt sah man das Blaugrau mit den vertrauten rechteckigen Kragenaufschlägen in manchen Kasernen sogar bis 1958 und 1959.

ALS AMERIKANER, ENGLÄNDER oder „irgendwelche westliche UN-Soldaten“ wurden die Panzermänner während des Burgenlandeinsatzes 1956 von der Bevölkerung angesprochen. Zwischen der Leitha und dem für kurze Zeit aufgerissenen Eisernen Vorhang kannte man sich nicht recht aus mit diesen Soldaten, die in Khaki mit „Schifferin“ oder Pelzkappen und warmer Schutzbekleidung dahergerasselt kamen. Tatsächlich hatten die Amerikaner dem neuen Bundesheer einen größeren Posten normaler olivgrüner Heeresuniformen made in USA geschenkt, also kleidete man alle Panzereinheiten damit ein. Zuerst hatte man freilich versucht, die Blusen, Hosen und Kappen zu färben — vielleicht deshalb, weil man meinte, die österreichische Bevölkerung habe das Khaki verschiedener Schattierungen lange genug vor Augen gehabt Aber Uncle Sams gutes Kammgarn, kam in häßlichem Dunkelgraugrün, aus dem Farbkessel, ging ein und, trug sich nach dieser Gewalttoux. Ziemlich rasch ab. Deshalb dekretierte die Dominikanerbastei: Es bleibt beim Olivgrün, spendierte aber Kragenaufscfiläge, rot-weiß-rote Kappenrosetten und schwarze Krawatten, zudem auch naturgelbe deftige Panzerstiefel, auf daß die Ubergangslösung zumindest österreichisch akzentuiert sei. Bei der ersten großen Bundesheerparade im Jahr 1957 defilierten die Panzereinheiten in diesen Uniformen, die Bataillonsadjutanten trugen dazu sogar die damals neue silberne Adjutantenschnur, ein Posamente-rieerzeugnis, das älteren, kriegsgedienten Jahrgängen unter dem bildhaften Landserwort „Affenschaukel“ bekannt ist.

BEI DERSELBEN PARADE hatten auch die tarngefleckten Kampfanzüge Premiere in der

Öffentlichkeit. Ein Bataillon — die Infanteriekampfschule — marschierte in der mit Leopardenflecken gesprenkelten Kluft auf. Zuerst hatte die Heeresbekleidungsanstalt draußen in Brunn am Gebirge einfarbige Kampfanzüge entwickelt aus derbem bläulichgrauem Baujn-WOllgewebe, doch das Material hp-währte sich nicht: nach wenii Stunden im Regen waren die Soldaten durchnäßt. Also entwickelte“ man weiter, probierte, imprägnierte, testete — und stattete schließlich nach und nach alle Truppenteile mit tarngefleckten Garnituren aus. Mancher Teilnehmer des zweiten Weltkrieges hat freilich seine Bedenken und meint: „Heute tragen die meisten europäischen Armeen ganz ähnliche Kampfanzüge. Solche Vereinheitlichung kann im Ernstfall eine schwere Gefahr bedeuten. Im Morgengrauen, bei Nebel kann dann keiner so rasch, vielleicht nur an der Form des Stahlhelms, Freund von Feind unterscheiden und knallt womöglich in die eigenen Kameraden hinein...“

Gebe Gott, daß solche Erwägungen über den braungrünen Tarnstoff nur graue Theorie bleiben.

MAN WURDE NICHT RECHT FROH, der Uniform M 56 nämlich.

Soldaten und Zivilisten gleicher- m weise fanden das rauhe „Asbest-gwandel“ unkleidsam, die meisten Jungmänner ließen es lieber im Spind hängen, wenn sie Ausgang hatten. Also begann man, am Grundtypus herumzuändern. Kompromißlösungen zumeist, Halbheiten, Mätzchen. Der leichtere gabardineartige Stoff für die A-Garnitur knitterte und beulte bald wie vorstädtische Ramschkonfektion zu „Okkasions-preisen“, die schmale traditionelle Achselspange aus Metallgespinst, einst nur den berittenen Truppen vorbehalten, war als nunmehr einheitlich eingeführter Aufputz akzeptabel, der waffenfarbige Hosen-passepoil hingegen machte dem Schneider unnötige Mehrarbeit, ohne das Gesamtbild zu verschönern. Von den charakteristischen österreichischen Stilformen war wenig übriggeblieben, am augenfälligsten noch die Feldkappe, diese aber oft so häßlich zusammengedrückt, daß sie ohne weiteres dem Schwejk passen würde. Und der war bekanntlich zwar ein braver, doch bestimmt kein schmucker Soldat. Und das weiße Hemd zur feldgrauen Ausgangsgarnitur tat jedem kritischen Beobachter in den Augen weh.

Kritische Leserbriefe in Zeitungen und Zeitschriften spiegelten das überraschend rege Interesse der Bevölkerung am Erscheinungsbild des österreichischen Soldaten wider, der Kampf um die Tellerkappe, seit langem im „Untergrund“ geführt, erregte Monate hindurch allgemeine Diskussionen in Wort und Schrift, wie sie sonst nur bei sehr sensationellen Themen des Zeitgeschehens vorkommen. Teils aus historischer Sachkenntnis, viel öfter aber rein gefühlsmäßig wurde der Öffentlichkeit klar, daß hier zugunsten einer Internationalisierung, zugunsten eines Allerweltstypus der Uniformierung vieles von der eigenen Art geopfert wurde.

In dieser Zeitschrift wurde von redaktioneller Seite und von Lesern so ausführlich und energisch zum Thema Tellerkappe Stellung genommen, daß hier gleichsam als Nachsatz post festum, lies nach definitiver Einführung, nur noch eine allgemeine Beobachtung ausgesprochen sei: Während die uniformkund-liche Entwicklung im Bundesheer zwischen 1920 und 1938 mit einer markanten Abkehr von der Tradition begann und — freilich durch den Wandel der innen- und außenpolitischen Ereignisse mitbestimmend motiviert — wieder eine Rückkehr zum unverwechselbaren österreichischen Stil zeitigte, erfolgte der Wandel im äußeren Erscheinungsbild unserer Soldaten seit 1955 in umgekehrter Richtung. Die Uniform ist wirklich uniform geworden. Ein Blick auf die Tribüne der Militärattaches während der Parade am 14. Juli in Paris beweist es: Tellerkappen, Tellerkappen, nichts als Tellerkappen, darunter, eine von vielen, eben auch die österreichische, M 65.

DAFÜR HABEN WIR ALS SPE-CIFICUM neueren Datums die Aktentasche oder die schnittige schmale Plastikmappe mit Zipp als „Dienstabzeichen“ für Offizier, Unteroffizier, Chargen und Mannschaft. Die schlenkernde oder unter den Arm geschobene Aktentasche zur Uniform, das gibt es nach den bisherigen Beobachtungen des Verfassers nur beim österreichischen Bundesheer und bei der belgischen Armee. Scharfe Kritiker nehmen dies als äußerliches Zeichen dafür, daß unsere Streitkräfte nicht geführt, sondern verwaltet werden ...

IM UNIFORMALBUM DES BUNDESHEERES — wenn es ein solches Album schon gäbe — dürften das Blaue Barett und die Tropenbekleidung der UN-Kontingente nicht fehlen, damit ergab sich ein ganz neuer Akzent in der österreichischen Uniformkunde. Kaum bekannt ist allerdings vorläufig noch das Grüne Barett, das von den Angehörigen der „Jagdkommandos“ getragen wird, nach dem Vorbild der britischen „Commandos“ und der amerikanischen „Special Forces“. Und mehrere Tafeln eines solchen Albums müßten die Entwicklung der Alpin-ausrüstung seit 1955 veranschaulichen, vom hellblauen Gendarmerieanorak bis zur schilfgrünen Olympia-Parka und der charakteristischen über die Feldkappe geschobenen Schneebrille, die unverändert blieb seit den Tagen des Kampfes um den Col di Lana...

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