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Todesstrafe?

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Die vom Justizministerium veranstaltete kurze Enquete, in der die Mehrheit der Votanten sich für eine vorläufige Beibehaltung der Todesstrafe sussprach, hat in der Bevölkerung ein starkes Echo erweckt, aber nicht die vorzubringenden Argumente auazuschöpfen vermocht. An die Seite Professor Dr. Kadečkas, der als Wissenschaftler sowohl wie als gewesener Staatsanwalt und erfahrener Praktiker der Strafrechtspflege in der Enquete und in Nr. 12 der „Furche“ Stellung nahm, gesellt sich mit nachstehenden Ausführungen ein Psychologe und Soziologe, der als gewesener Lehrer an deutschen Universitäten, Ehrenpräsident der Psydiotechni- schen Gesellchaft und Mitglied zahlreicher ausländischer wissenschaftlicher Korporationen internationalen Rang besitzt. „Die Furche“

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Die vom Justizministerium veranstaltete kurze Enquete, in der die Mehrheit der Votanten sich für eine vorläufige Beibehaltung der Todesstrafe sussprach, hat in der Bevölkerung ein starkes Echo erweckt, aber nicht die vorzubringenden Argumente auazuschöpfen vermocht. An die Seite Professor Dr. Kadečkas, der als Wissenschaftler sowohl wie als gewesener Staatsanwalt und erfahrener Praktiker der Strafrechtspflege in der Enquete und in Nr. 12 der „Furche“ Stellung nahm, gesellt sich mit nachstehenden Ausführungen ein Psychologe und Soziologe, der als gewesener Lehrer an deutschen Universitäten, Ehrenpräsident der Psydiotechni- schen Gesellchaft und Mitglied zahlreicher ausländischer wissenschaftlicher Korporationen internationalen Rang besitzt. „Die Furche“

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Wieder einmal steht die Frage der Todesstrafe zur Beratung im österreichischen Parlament. Die Älteren unter uns erinnern sich an die vielen Erörterungen zwischen den Gegnern und Anhängern. Aus der bisherigen Stellungnahme der Öffentlichkeit scheint mir hervorzugehen, daß die Mehrzahl derjenigen, die für die Beurteilung dieser Frage zuständig sind, oder sich dafür halten, für die gesetzliche Verankerung der Todesstrafe eintreten. Mit der Frage der Bestrafung sogenannter „Kriegsverbrecher“ befaßte ich mich zweimal während meines Lebens. Das erstemal nach dem ersten Weltkrieg. Als die Volksmassen durch London zogen und den Ruf erhoben: „Hang the Kaiser!" wurde ich von den Mitgliedern der Hohenzollern-Familie damals mit der Frage eines über Kaiser Wilhelm II. zu erstattenden Gutachtens befaßt, das sich gegen das Begehren der Auslieferung des Kaisers an England wenden sollte. Ich lehnte ein Gutachten ab, verfaßte aber eine psychologische Analyse über Kaiser Wilhelm II. 1919. Im gleichen Jahre verweigerte die holländische Kammer einstimmig die Auslieferung des Kaisers. Zum zweiten Male erlebte ich Gleiches in der tiefsten Nacht unseres Schicksals. Die vofn Nürnberger Gerichtshof erkannten Todesurteile und die vielen nachher erfolgten sind bekannt. Am 22. Oktober 1945 sandte ich dem siegreichen General Eisenhower eine kurze Denkschrift, in der ich bat, von der Verhängung der Todesstrafe abzusehen. Meine Ausführungen fanden keine Berücksichtigung.

Vielleicht werden 'ie auch in den derzeitigen Beratungen keine Berücksichtigung finden.

Die Stimme meines Gewissens wiegt aber schwerer als die Überlegungen, daß meine Ausführungen wieder keinen Nachhall finden werden. Vielleicht ist unsere Zeit noch nicht reif, um die Frage von einer höheren sittlichen Warte aus zu beurteilen.

Für die Beibehaltung der Todesstrafe werden jene altbekannten und immer wiederholten Gründe angeführt. In erster Linie soll die Todesstrafe abschreckend wirken. Wir wissen unter anderem, daß die grauenhaften, auf offener Straße vollzogenen Hinrichtungen, wie sie in China üblich waren, keinesfalls abschreckend gewirkt haben. Ebensowenig bewirkten die entsetzlichen Hinrichtungsarten des Mittelalters, die nicht weiter ausgeführt zu werden brauchen, eine Verminderung der sogenannten todeswürdigen Verbrechen. Beweisend dafür, daß die Todesstrafe nicht geeignet ist, Morde zu verhüten, sind die Statistiken jener Länder, in denen die Todesstrafe nicht verhängt wird. Die Abschreckung hat sich also bis zum heutigen Tage als eine falsche Annahme erwiesen.

Diejenigen, die Vergeltung fordern, betreten damit schon das psychologische Gebiet. Wenn die Angehörigen für ein auf bestialische Art ermordetes Familienmitglied Vergeltung fordern, ist dies durchaus verständlich. Diese Forderung ist ein Ausdruck des Affekts, der Wut, der Rache. Der Gerichtshof soll aber Recht sprechen, frei von dem Wunsch Vergeltung zu üben. An sich soll jede Strafe bessern, Gelegenheit zur Einkehr, zur Reue, zur Buße geben. Alle diese Überlegungen fallen bei Fällung eines Todesurteils weg. Eine unbeabsichtigte, aber fast immer bestehende Verschärfung der Todesstrafe ist dadurch gegeben, daß der Verurteilte nicht selten monatelang auf die Hinrichtung zu warten gezwungen ist. Der Gesetzgeber hat nur die Todesstrafe in das Gesetz aufgenommen, nicht aber die Todesfurcht, die Angst vor der Hinrichtung. Niemals noch habe ich diesen

Gesichtspunkt in dem ihm zukommenden Maße beachtet gefunden.

Die Abschreckung hat sich nicht bewährt. Die Vergeltung widerspricht den Geboten der Ethik; sie widerspricht aber vor allem, und das sollte der entscheidende Gesichtspunkt sein, der christlichen Lehre, der, bedauerlicherweise vielfach nur dem Namen nach, fast 600 Millionen Christen, darunter fast 400 Millionen Katholiken, angehören. Nicht nur hat der Heiland, der für die ganze Menschheit gestorben ist, verkündet: „Die Rache ist mein“, sondern das Gesetz gegeben: „Du sollst nicht töten und wer das Schwert ergreift, soll durch das Schwert umkommen.“ Wenn ein anderer Aufbau der Welt bewirkt werden soll, ist es notwendig, die Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Men schenlebens wieder herzustellen. Ist es nicht ein unerträglicher Gedanke, sich eine Zahl von Richtern im Beratungszimmer, ruhig abwägend, vorzustellen, die dann als Menschen über einen anderen Menschen den Stab brechen und ihn zum Tode verurteilen? Der Staat darf also töten, beziehungsweise einem anderen Menschen, dem Henker, den Befehl erteilen, einen Mord zu begehen und diesen Menschen mit Blutschuld zu beladen. Ein Hinweis auf die letzten Vorkriegsjahre und die ungeheuerlichen, zum großen Teil unge- sühnt gebliebenen Bluttaten, ist durchaus abwegig. Denn eine neue Welt kann sich nicht die alte zum Muster nehmen, die zugrunde gegangen ist, weil sie zugrunde gehen mußte.

Die Todesstrafe sollte ersetzt werden durch dauernde Entziehung der Freiheit. Durch Anhaltung zu einer zehn- bis vierzehnstündigen werteschaffenden Arbeit. Nicht Tüten kleben oder, wie es früher üblich war, Strohsäcke und Matratzen füllen, sondern eine den Fähigkeiten des Verurteilten entsprechende körperliche oder geistige Tätigkeit. Vielleicht käme der eine oder andere dennoch zur Einkehr, damit zur Umkehr, zur Besserung, zur Reue, womit der sittliche Zweck der Strafe erreicht werden würde.

Österreich, das als erstes Land die Segnungen Hitlerscher Weltanschauung erfahren hat und dem größte Blutopfer auferlegt worden waren, sollte beispielgebend wie' so oft in kultureller Beziehung wirken und in der weithin verpesteten Welt die verdunkelte, vielfach vergessene Lehre aufs neue erstrahlen lassen, gemäß dem Gesetz: „Du sollst nicht töten!“

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