6659211-1959_47_14.jpg
Digital In Arbeit

TONKUNST IM HEILIGTUM

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist nun schon ein fester Brauch in ganz Oesterreich geworden, an dem Sonntag, der dem Fest der hl. Cacilia zunächst gelegen ist, zu Ehren dieser Patronin der Musica Sacra die Kirchenmusik, die das Jahr hindurch dienend im Hintergrund des Heiligtums waltet, einmal auch in den Vordergrund zu rücken und Fragen zu besprechen, die dieses so wichtige Gebiet betreffen. Es sind heuer gerade zwanzig Jahre, daß der Aufruf zur Feier dieses Tages zum erstenmal durch die eben gegründete Diözesankommission für Kirchenmusik erging, angeregt von der Abteilung für Kirchenmusik der Wiener Akademie. Er richtete sich in erster Linie an die Seelsorger, da den Laien damals die Mitwirkung auf den Kirchenchören durch die herrschende Partei, ja sogar durch die Behörden wesentlich erschwert und den Lehrern bei Verlust ihrer Stelle jede Tätigkeit auf den Kirchenchören überhaupt verboten war. Es war eine der schwersten Krisen, die die Kirchenmusik durchzumachen hatte, da alles in Gefahr war, zusammenzubrechen. Die Seelsorger wurden seinerzeit eingeladen, in der Predigt des Tages über die Bedeutung der Kirchenmusik zu sprechen. Sie sollten Chorleiter. Organisten, Sänger und Musiker zum Ausharren bestimmen und ihnen vor allem auch den Dank für die opfervolle, uneigennützige Mitarbeit zum Ausdruck bringen. Die Gemeinde wiederum sollte durch ein besonders vorbereitetes Hochamt, womöglich mit einer neuen Messe und gut studiertem Choral, sowie durch eine musikalische Weihestunde erfreut werden. Dies ist in der Hauptsache die Form, die sich für die Feier des Tages auch heute noch bewährt und zu seiner raschen Popularisierung beigetragen hat.

War damals die Stärkung der kirchenmusikalischen Front das Hauptproblem, so erstand mit den Jahren der inneren Konsolidierung unseres Landes eine ganze Fülle von Fragen, die Antwort heischen und die sich allen, die um die Kirchenmusik Verantwortung tragen, gerade aus Anlaß des Tages der Kirchenmusik immer wieder aufdrängen Es sei gestattet, einige davon, die auch über den engeren Kreis der Fachleute hinaus Beachtung verdienen, hier zu behandeln.

Da ist zunächst die Sorge um einen guten Nachwuchs. Nach der hochverdienstlichen Statistik der Kirchenmusik Oesterreichs von Gurtner verteilen sich an die 40.000 Sänger auf etwas über 3000 Gottesdienststellen. Das heißt also: wir benötigen ungefähr 3000 Chorleiter beziehungsweise Organisten. Schon aus diesen Zahlen ergibt sich die Dringlichkeit des Problems. Damals, in der Kriegszeit, konnten wir in der Wiener Erzdiözese den durch die politische Situation geschaffenen furchtbaren Ausfall von Kräften dadurch wettmachen, daß wir in allen Teilen der Erzdiözese volkstümliche Kurse veranstalteten und Hunderte von Organisten so weit schulten, daß unsere Orgeln nicht verstummten. Heute sind zur Befriedigung des geregelten Bedarfes ordentliche Schulen nötig, die in den meisten Diözesen bereits bestehen. Sie sind ganz verschieden organisiert und erhalten sich zumeist seihst. Die Lehrer dieser Diözesan- schulen, die Musiklehrer der kirchlichen Seminare, der Abteien und Ordensprovinzhäuser sowie die Chorleiter und Organisten der Hauptkirchen sollten aber unbedingt akademische Kirchenmusiker sein. Oesterreich besitzt wohl zwei Musikhochschulen, aber nur an der Wiener Akademie ist die Kirchenmusikabteilung ganz ausgebaut. Die Salzburger steht bisher leider nur auf dem Papier, aber es ist zu hoff n, daß der neue Präsident, Professor Dr. Preußner, diese Lücke füllt. Salzburg ist nicht nur der Sitz eines Metropoliten, es könnte vor allem auch nach Deutschland unsere österreichische Auffassung ausstrahlen und Anregungen von dort nach unserem Empfinden verarbeiten.

Ich freue mich, gerade zum Tag der Kirchenmusik mitteilen zu können, daß die Abteilung der Wiener M u s i k a k a d e m i e mit dem heurigen Studienjahr in ihr 50. Be- standsjahj eingetreten ist. Von Kirche und Staat gefördert, steht sie heute nach innen und außen gefestigt da. Sie wird dieses Jubiläum am Christihimmelfahrtstag 1960 in aller Form begehen und dazu alle ihre Absolventen einladen. Den würdigen Rahmen bilden vorher ein internationaler Orgelimprovisationswettbewerb und nachher österreichische Kirchenmusiktage mit bedeutenden Referenten des In- und Auslandes. Zum Abschluß findet ein feierliches Dankamt im Stephansdom statt mit der Erstaufführung der Originalfassung der f-molI-Messe von Anton Bruckner und dessen Tedeum. Während des Jahres sind für jeden Monat ein Standardwerk moderner Kirchenmusik für das Hochamt in der Franziskanerkirche geplant. Im März soll ein Konzert in der Dominikanerkirche ausschließlich mit Werken von derzeit an der Abteilung befindlichen Lehrern und Schülern den Beweis erbringen, daß die Abteilung sich nicht in der Pflege der alten Meister erschöpft, sondern bewußt und mutig neue Wege betritt und an dem Fortschritt der Kunst mitarbeiten will. Ein eigenes Konzert wird Werken von J. S. Bach gelten, die neue Orgel der Abteilung wird in mehreren

Konzerten der Studierenden und Absolventen zu hören sein.

Damit komme ich zu einem weiteren hochwichtigen Problem: zum heutigen Orgelbau. Es scheint, daß die Frage der Traktur zugunsten von Mechanik und Schleiflade entschieden ist. Dies besagt nicht, daß. nicht auch gelegentlich noch elektrische (nicht aber e 1 e k t r o- phonische!) gebaut werden, wo sich dies aus verschiedenen Gründen als nötig erweist. Allgemein abgelehnt wird jedenfalls die Pneumatik. Dies nicht nur wegen des verspäteten Toneintritts, sondern auch wegen der schlechteren Haltbarkeit. In den letzten Jahren sind in Oesterreich einige bedeutendere neue Orgelwerke, durchweg mit mechanischen Schleifladen, entstanden: in der Jesuitenkirche in

Innsbruck (Walcker), in den Konservatorien von Graz (Rieger) und Klagenfurt (Neumann) sowie an unserer Abteilung (Pirchner). Wir gehen in diesem Jahr einem Weltereignis auf dem Gebiet des Orgelbaues entgegen: die neue Wiener Domorgel mit 120 klingenden Stimmen soll im Frühjahr 1960 aller Voraussicht nach geweiht werden. Alle Freunde des Domes und des Instruments wünschen und hoffen, daß dieses große Werk (Kaufmann) den großen Erwartungen entspricht. Der neue Orgelbau richtet sich erfreulicherweise immer mehr nach den Grundsätzen seiner klassischen Zeit aus. Eines der sonorsten Orgelwerke dieser Epoche in Oesterreich ist die große Orgel der Stiftskirche in Klosterneuburg, die bei der Jubiläumsfeier der Kirchenmusikabteilung erklingen wird. (Wir bringen ihr Bild, weil die Abteilung in Klosterneuburg ihren ersten Standort hatte.)

Zu den wichtigsten Fragen gehört ohne Zweifel die soziale Stellung der Kirche n m u si k e r. Auch für sie gilt das Wort des Apostels: „Wer dem Altäre dient, soll auch davon leben." Wien hat die Besoldung in vorbildlicher Weise derart geregelt, daß vier Gruppen geschaffen wurden: Absolventen der Akademie, Kirchenmusiker mit A-Prüfung, mit B-Prüfung und ungeprüfte. Aber was nützt diese gerechte Ordnung, wenn das Volumen der Leistung so gering ist, daß der Musiker von dem Erträgnis nicht leben kann! Hilfe könnte kommen durch Vermehrung der Dienste, durch Uebernahme mehrerer benachbarter Kirchen und für Kirchenmusiker mittleren und niederen Ranges (A- und B-Prüfung) durch Kombination mit anderen kirchlichen Arbeiten: Schule, Kanzlei, Mesnerdienst Neuere Bemühungen nehmen sich auch der Kirchenkomponisten an und streben die pflichtmäßige Ausschüttung eines Autorenhonorars für alle kirchlichen Aufführungen an. Die Lösung dieser Frage scheint nicht leicht, wenn auch ihre Berechtigung an sich außer Zweifel steht. Vielleicht wird sich ein Weg finden, der beiden Teilen, Kirche und Musikern, gerecht wird.

t b nA isi ijov ts , atnia . aaumv.uo

Zur--frage der modernen Kirchenmusik möchte ich ein Wort Kardinal Mon- tinis anführen, der einmal erklärte: „Die Kirche braucht beides: den Volksgesang und die Kunst. Wenn wir letztere wollen, müssen wir ihr auch die nötige Freiheit einräumen.“ Sicher ist die Kirche, namentlich im Gottesdienst, kein Tummelplatz für Experimente. Aber es ist oft schwer, zu entscheiden, wo das Experiment anfängt und die Kunst aufhört. Ich selbst denke über manches neue Werk nach mehrmaligem Erleben anders und habe die Ueberzeugung gewonnen, daß wir am allerwenigsten unseren jungen, gläubigen, schaffenden Kirchenmusikern das nötige Verständnis und die nötige Förderung entziehen dürfen. Gerade die neue Kunst beweist ein-

drucksvoll das religiöse Lehen. Sie ist eine seiner köstlichsten Blüten. Haben wir Mut und Vertrauen zu unseren Schaffenden!

Es ist auffallend, wie sehr gerade die neue Kirchenmusik zum Gregorianischen Choral aufblickt. Hier findet der heutige Kirchenkomponist auch wirklich alles, was er braucht, vor allem den Geist der wahren Kirchenmusik, was auch schon Beethoven aussprach. Die Choralarbeit allein birgt in sich schon eine große Fülle von Problemen. Oesterreich hat sich der Vortragsart von Solesmes angeschlossen. Ich glaube, etwas Besseres ist nicht zu finden. Das kann an Hand der neuen Schallplatten der verschiedenen Schulen leicht erwiesen werden. — Im Choralgesang hat Oesterreich noch viel aufzuholen, aber es wurde auch schon einiges erreicht. Inzwischen nehmen die wissenschaftlichen Arbeiten der Mönche von Solesmes ihren Fortgang, wie aus den laufenden Publikationen hervorgeht. Es gibt auch in der Erforschung des Chorals keine Stagnation.

Die Frage der Organisation der Kirchenmusik hat in den letzten Jahren eine kleine Unruhe in unserem bisher auf diesem Gebiete völlig einheitlich denkenden Lande geschaffen. Der Beitritt einiget Diözesen zum „Allgemeinen Cäcilienverband für Deutschland, Oesterreich und die Schweiz“ vollzog sich jedoch völlig reibungslos, ohne die bisherige Arbeitsweise der Diözesen zu ändern. Jede arbeitet darnach völlig selbständig. Zur Wahrnehmung der gemeinsamen Anliegen treffen sich die Vertreter der Kommissionen und Referate jährlich und stehen so in einer echten Arbeitsgemeinschaft. Ihr Sprachrohr ist die „Singende Kirche", die aus der Vereinigung der „Chorblätter“ (Wien) mit dem „Alpenländischen Kirchenchor“ (Innsbruck) hervorging und viermal im Jahre erscheint. Sie ist heute eine der angesehensten Fachzeitschriften des deutschen Raumes, besitzt einen großen Abonnentenstand und hervorragende Mitarbeiter im In- und Ausland. Die Zeitschrift wird zum Jubiläum unsere: Abteilung eine Nummer zur Festschrift ausgestalten.

Auch das für die Kirchenmusik lebenswichtige Problem der Volksliturgie muß hier erwähnt werden. In dem selbstverständlichen Streit der Meinungen wird gewiß ein Ausgleich zwischen den berechtigten Wünschen vön Seel-’ sorge und Kirchenmusik möglich sein. Mit der „Instructio“ der Ritenkongregation vom Herbst vorigen Jahres haben wir jedenfalls — wie ich glaube — ein Dokument erhalten, das uns hier vor allem im Grundsätzlichen weiterhilft. Ausdrücke zum Beispiel wie „Deutsches Hochamt“ sind nicht mehr tragbar Der Begriff „Hochamt“ ist darnach eindeutig für die lateinische assistierte Missa cantata Vorbehalten. Es wäre übrigens unbedingt vorzusorgen, daß das „Deutsche Amt“ auf keinen Fall das feierliche Hochamt an den Hochfesten des Kirchenjahres verdrängt. Die „Instructio" beschäftigt sich auch mit den Fragen der instrumentalen Kirchenmusik in der Liturgie, die sie ausdrücklich erlaubt. Kirchenkonzerte sind gestattet, namentlich dort, wo keine Konzertsäle vorhanden sind, unter der Einhaltung besonderer Kautelen für Aufführungen von Werken religiöser Musik Wir Kirchenmusiker wären für eine Veröffentlichung der „Instructio“ im kirchlichen Amtsblatt besonders dankbar.

Schon die Existenz eines „Tages der Kirchenmusik" allein beweist, daß hier eine Idee um Hilfe und Unterstützung wirbt. Die Musica sacra fühlt sich nicht stark, trotz mancher erfreulicher Tatsachen und Erfolge. Sie hat gerade in den letzten Jahren seit dem Kriegsende viele Förderung erfahren, von Kirche und Staat, Land und Gemeinde, und sie bittet auch weiterhin um diesen Beistand. Für die nötigste Hilfe, den Segen von oben, hat sie von alters her in dem hl. Gregor dem Großen sowie in der hl. Cäcilia ihre besonderen Schutzpatrone. Seit seiner Heiligsprechung (1954) wird auch Pius X„ ein Kirchenmusiker auf Petri Thron, als Dritter im Bunde angesehen. Bisher aber ist dieser Wunsch, der seinerzeit auch von der Wiener Musikakademie, der Wiener Diözesankommission und dem Wiener Internationalen Kirchenmusikkongreß nach Rom geleitet wurde, durch die Kirche selbst noch nicht realisiert worden. Es gibt aber auf der ganzen Welt kaum einen Vertreter der Musica sacra, der den hl. Pius X. nicht als Patron verehren und anrufen würde. Die Kirchenmusikabteilung der Akademie hat seinen persönlichen Segen schon zu seinen Lebzeiten erhalten und ihn seither stets gespürt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung