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Totalitäre Außenpolitik

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Nach einer jahrelangen Pause wird die von der französischen, britischen und der Regierung der Vereinigten Staaten vorgenommene Aktenedition aus den erbeuteten Archiven des Deutschen Auswärtigen Amtes und der Reichskanzlei fortgesetzt. Inzwischen sind zu der Alliierten Herausgeberkommission Prof. Dr. Hans Rothfels und Fritz T. Epstein mit einigen Mitarbeitern getreten, und es ist zu hoffen, daß nunmehr auch die bisher nur in englischer und französischer Sprache veröffentlichten Bände — für Österreich sind vor allem die Jahre 1933 his 1935 interessant — auch in deutscher Sprache erscheinen werden.

Der jüngste Band dieses gemeinsamen Werkes, an dem nun die Bundesrepublik durch maßgebende Historiker mitwirkt, umfaßt die Zeit vom 4. September 1939 bis 18. März 1940. Die Editoren haben die Grundsätze der früheren Bände strikte eingehalten, nämlich die einzelnen Akten kommentarlos zu bringen und lediglich in den Fußnoten notwendige Personalangaben oder Hinweise auf bisherige Veröffentlichungen anzuführen. Somit liegt wieder für den Forscher, vor allem aber auch für den Studierenden, ein wichtiger Quellenbestand vor, der durch die Weite der Auswahl der Dokumente besonders bemerkenswert erscheint. Nicht nur die rein diplomatischen Akten, sondern auch die verschiedenen Aufzeichnungen von Partei-und Wirtschaftsdienststellen wurden mit herangezogen. Damit ergibt sich ein abgerundetes Bild der vielfältigen und oft in verschiedenen Kanälen des Staates, der Partei, der Wehrmacht und mancher halb-offizieller Institutionen wirkenden Außenpolitik des Dritten Reiches, die in dieser Hinsicht in der Sowjetunion und Italien eine ähnliche Aufgliederung zwischen offizieller Diplomatie und oft sehr gewichtigen Nebengeleisen als Gegenspieler hat. Faßt man aus den zahlreichen Aktenstücken die Hauptprobleme heraus so zeigt sich, daß die deutsch-sowjetischen Beziehungen im Vordergrund stehen.

Das freundschaftliche Verhältnis, das durch den überraschenden Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 und die für Osteuropa so verhängnisvollen Verhandlungsergebnisse des September 1939 entstand, wurde arg belastet durch die wirtschaftlichen, militärischen und raumpolitischen Probleme, die sich nach dem deutschen Blitzsieg über Polen plötzlich ergaben. Mit unerbittlicher Konsequenz forderte die Sowjetunion nicht nur die Anerkennung ihrer Vormacht in den zugesprochenen Räumen, vor allem gegenüber Finnland und den baltischen Staaten, sondern auch die Erfüllung der zunächst von Ribbentrop nur unklar umschriebenen wirtschaftlichen Versprechungen Deutschlands. Die oft in manchen populären Darstellungen geäußerte Meinung, die Sowjetunion hätte ohne entsprechende deutsche Gegenleistungen schon 1939/40 beachtliche Rohstofflieferungen gemacht, wird durch die vorliegenden Akten in das Reich der Fabel verwiesen. Gerade die deutschen Wirtschaftslieferungen, die zu einem beträchtlichen Teil in militärischen Geräten und hochwertigen Werkzeugmaschinen bestehen sollten, wurden von sowjetischen Unterhändlern mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit gefordert.

Ließen sich die territorialen Forderungen der Sowjetunion, vor allem die kla ausgesprochene Weigerung, einen im deut sehen Machtbereich eventuell entstehende polnischen Reststaat zu dulden, erfüllen so war dies auf dem wirtschaftlichen Sek tor von größten Schwierigkeiten begleitet Erst dem Eingreifen Hitlers ebenso wi Stalins bei den Verhandlungen, die siel bis in den Februar 1940 hinzogen, gelan es, die schon festgefahrenen Verhandlun gen wieder flott zu machen, wobei In dustrieausrüstungen und Kriegsgeiät ir Wert von fast 600 Millionen Reichs mark vorgesehen waren, darunter di Übergabe eines kompletten Kreuzers, fho demster Schiffsartillerie und Flugzeuge neuester Nachrichtenmittel, Werkzeug maschinen (308 Typen), elektrische Kraft werke, moderne Artillerie, geheime che mische Verfahren usw. (S. 600 ff.). Dei deutschen Unterhändlern fielen diese Zu sagen sehr schwer, und es bedurfte offen kundig Hitlers persönlicher Initiative, ur manche Argumente seiner Berater zu zei streuen; wie sich überhaupt aus dei vorliegenden Akten ergibt, war es vor nehmlich Hitler, der auf dem zweite: wichtigen Sektor in dieser Anfangsphas des Krieges sehr persönlich eingriff: i: der Frage der deutsch-italienischen Be Ziehungen.

Die Weigerung Mussolinis, in den Krie einzutreten, vor allem die von deutsche Seite richtig vermutete italienische Be nachrichtigung der Westmächte über die künftige Nichtkriegsführung Italiens vor dem 1. September 1939, bildet den Gegenstand zahlreicher Unterredungen Hitlers, Cianos und verschiedener Diplomaten. Die Haltung Mussolinis ist nicht uninteressant im Hinblick auf die weiteren Ereignisse: Bei aller Bewunderung der Erfolge der deutschen Kriegsführung in Polen weist er in einem Briefwechsel mit Hitler und auf dem Umweg über Ciano immer wieder darauf hin, daß die deutsch-russische Freundschaft auf längere Zeit gesehen unnatürlich sei und ein rechtzeitiger Friede mit dem Westen unter Schaffung eines polnischen Staates im deutschen Machtbereich unerläßlich wäre.

Hitler hat sowohl in der sehr eindeutigen Haltung Italiens im russisch-finnischen Konflikt als auch gegenüber den verschiedensten Versuchen Italiens, Friedensgespräche herbeizuführen, sich klar zu der neu geschaffenen deutsch-russischen Freundschaft bekannt und immer wieder darauf hinweisen lassen oder selbst darauf hingewiesen, daß Rußland den Weg zu einer evolutionären konservativen Entwicklung gehe.

Die Beziehungen zu den Neutralen, vor allem zu Belgien, Holland und besonders zu Norwegen, nehmen in dem vorliegenden Aktenband eine Sonderstellung ein. Gerade im Falle Norwegen zeigt sich, wie man schon aus den von Seraphim veröffentlichten Tagebüchern Alfred Rosenbergs weiß, welch' verhängnisvolle Rolle das Zusammenspiel der Führung der deutschen Kriegsmarine mit den Kreisen um Quisling spielte. Lateinamerika, die Türkei, der mittlere Osten und die kleineren europäischen Staaten bildeten für die deutsche Außenpolitik sehr wichtige Ansatzpunkte der Politik gegenüber der britischen Blockade und der Beseitigung des Mißtrauens, das sich allgemein nach dem deutsch-sowjetischen Abkommen ausbreitete. So ist es interessant zu sehen, wie schwierig die deutsch-rumänischen Wirtschaftsverhandlungen vor sich gingen und Hitler in einem entscheidenden Moment Österreicher, darunter den früheren Außenminister Dr. Guido Schmidt, als geeignete Persönlichkeiten für Verhandlungen mit den Südoststaaten, besonders Rumänien, in Vorschlag brachte. (S. 472). Das Österreichproblem taucht dreimal in den vorliegenden Aktenstücken auf: bei der Instruktion, die Hitler persönlich für die Unterredung mit dem Abgesandten des Präsidenten Roosevelts, Sumner Welles, am 29. Februar für Ribbentrop und andere deutsche Persönlichkeiten gab, wird das Thema Österreich und“das Pro«ktorat Böhmen und Mähren für Deutschland außerhalb jeder Diskussion stehend bezeichnet. Mussolini versuchte bei einer Besprechung mit Ribbentrop am 11. März 1940, die Schritte Dr. Otto von Habs-burgs in den Vereinigten Staaten zugunsten Österreichs als Machenschaften gegenüber seinen deutschen Gesprächspartnern zu charakterisieren, und der für die österreichische Geschichte so verhängnisvolle Landesinspektor Theo Habicht erscheint als neugebackener Unterstaatssekretär im Dezember 1933 als besonderer Beauftragter für Sabotageakte in Afghanistan (S. 414).

Es ist zu wünschen, daß die Herausgabe der weiteren Bände dieser wichtigen Aktenpublikation im Interesse der Forschung keinerlei Unterbrechung erfahren möge.

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