6601382-1953_41_07.jpg
Digital In Arbeit

Treffpunkt der großen „Spieler“

Werbung
Werbung
Werbung

Bad Homburg vor der Höhe, die berühmteste Spielbank Europas zwischen 1840 und 1872, deren Pforten Bismarck schließen ließ, hat kurz nach dem zweiten Weltkrieg wieder seine alte Spielbank eröffnet. Neuerlich ist dieses kleine, schöne Bad, das den Hintergrund von Dostojewskijs Roman „Der Spieler“ bildete, der Treffpunkt der Hasardeure geworden, die mit oder ohne „System“ bei Roulette und Bakkarat ihr Glück versuchen, um meist nach vorübergehenden kleinen Gewinnen mit um so größeren Verlusten das Feld zu räumen.

Während in Homburg tagaus, tagein die Hasardeure sich treffen, findet im nahen Frankfurt am , Main einmal jährlich das Treffen einer anderen Art von großen „Spielern“ statt: Das Treffen der Verleger auf der Buchmesse von Frankfurt.

Es mag auf den ersten Blick befremdlich er-scheinen, die Verleger als „Spieler“ zu bezeichnen. Doch wer diesen Beruf näher kennt, weiß, daß er nur zu oft einem Glücksspiel gleicht. Kein Gesetz, keine Prophezeiung können einem Verleger voraussagen, ob ein von ihm herausgebrachtes Buch ein Erfolg oder ein Mißerfolg sein wird, ob die Unsumme von Arbeit und Kapital (die Herstellung eines mittleren Romanes von kleiner Auflage kostet ungefähr 60.000 Schilling), die er investiert hat, sich rentieren wird. Wie oft schon ist ein Buch, von dem sein Verleger glaubte, daß es gehen „müsse“ liegengeblieben, während Außenseiter plötzlich und ohne besonderen Grund iu einem Verkaufsschlager, zu einem „Best-Seller“ wurden. Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ und Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ zum Beispiel wurden von einer Reihe von Verlagen abgelehnt, bis endlich andere Verleger das Spiel riskierten und — gewannen. Auch die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, die der Verleger erst nur gekürzt herausgeben wollte, blieben jahrelang liegen, bis auf einmal die Auflagen zu „klettern“ begannen.

Diese Unsicherheit des Erfolges, die Verleger leicht in finanzielle Schwierigkeiten führen können (Rowohlts berühmtes Wort: „Im Pleite-machcn bin ich Fachmann“) hat sie seit jeher dazu geführt, das Risiko eines Mißerfolges so weit wie möglich herunterzudrücken. Dazu gehören seit altersher die Erlangung von Druckkostenbei'trägen, die Herausgabe von „tötsicher“ gehenden Werken, wie Schulbüchern, Wörterbüchern usw., die den Mißerfolg anderer Verlagswerke auffangen sollen; dazu gehört auch eine gediegene und in die Augen fallende Ausstattung, die das Interesse des Publikums einzufangen die Aufgabe hat; dazu gehört in neuester Zeit die Schaffung von Buchgemeinschaften, die das Risiko bereits auf einen minimalen Prozentsatz verringern. Dazu gehört auch, ebenfalls seit kurzem, die Ausgabe von „pocket-books“, von Büchern im Taschenformat, die so billig sind, daß die lesehungrigen aber kaufschwachen Schichten vom Erwerb der Bücher nicht mehr ausgeschlossen sind.

Auch die vielfältigste Art von Propaganda, die jeder Verleger für seine „Ware“ betreiben muß, dient dazu, sein Risiko zu vermindern. Hieher gehören alle Arten von Reklame, vom Inserat angefangen bis zu Besprechungen in Zeitungen und Zeitschriften, die Verteilung von Verlagskatalpgen, vor allem auch seit altersher die Veranstaltung von Buchmessen, die dazu dienen, den großen Zwischenträgern des Buchgeschäftes, dem Buchhandel, mit der neuen Produktion bekannt-iumachen und ihm die alte in Erinnerung zu rufen. Jahrhunderte war Leipzig die große deutsche Buchmessestadt, bis durch die politische Entwicklung in Deutschland Frankfurt an dessen Stelle trat.

Wer die heurige Frankfurter Buchmesse, die vom 24. bis 29. September dauerte, und auf der von rund 560 Verlegern — nicht nur deutschen, österreichischen und schweizerischen, sondern auch italienischen, britischen, französischen, belgischen, holländischen, spanischen — gegen 44.000 Bücher gezeigt wurden, durchwanderte, konnte verschiedene Beobachtungen machen. Geschäftsmäßig: eine Vorsichtigkeit des Buchhandels im Ankauf von Büchern. Sparten mäßig: Rückgang der Romanproduktion im bisherigen Stil, dafür weiteres Anwachsen der Romanproduktion in Form der „pocket-books“. Hereinsickern anderer Sparten, wie Erinnerungen, historischer Wetke in diese Buchform. Rückgang der Kunstbuchproduktion. Vorrücken der Reisebeschreibungen. Stärkstes Interesse für religiöse Werke. Starkes Interesse für historische, philosophische, populärhistorische Bücher. Ausstattungsmäßig: Bei 50 Prozent der gezeigten „Ware“ zeigt die Ausstattung, Insbesondere der so wichtige Schutzumschlag, kein besonderes Niveau. Vielfach geht das graphische Bild zugunsten des nur aus Schrift bestehenden Schutzumschlages zutück. Nur wenige Verleger zeigen hervorragende Schriftschutzumschläge, nur wenige moderne, neue Wege gehende graphische Schutzumschläge. Es sind dies vor allem jene Verlage, die auch sonst mit ihrer Produktion im „ersten Rennen“ liegen, wie Jakob H e g n e r, Lambert Schneider, die „It.se 1“, Werkbund-Verlag, S. Fischer, Rowohlt, Eugen Rentsc h, Suhrkamp und „Herol d“-Verlag, Wien, dessen Bücher stärkstes Interesse fanden und dessen Stand von Besuchern und Interessenten nie leer wurde.

Durch die Teilnahme fremdsprachiger Verleger an der Frankfurter Buchmesse zeigte diese einen gute Ueberblick über die Buchproduktiori überhaupt. Derzeit steht Großbritannien mit 18.000 Titeln jährlich an der Spitze. Ihm folgen Westdeutschland mit rund 14.000, die USA mit 12.000 Titeln, während Oesterreich mit über 3000 Titeln an zehnter Stelle, vor der Schweiz rangiert. Im Jahre 1951 produzierte Westdeutschland rund 106 Millionen Bücher. Wenn auch die Produktion von 1951 auf 1952 leicht zurückging und wahrscheinlich auch von 1952 auf 1953, so ist die Zahl der in Westdeutschland allein verlegten Bücher noch immer jährlich über 100 Millionen. Eine Zahl, die gewaltig ist, hinter der eine Unsumme von Geist, Arbeit und Risiko sich verbirgt und die die eingangs aufgestellte Behauptung von den Verlegern als den großen „Spielern besonders deutlich mächt. Denn wie viele von diesen Millionen Büchern werden ihren Käufer finden, wie viele die Lager nicht verlasseh, wie viele auf den Regalen der Buchhandlungen verstauben?

„Faites vos jeues, messieurs“, rufen die Croupiers in den Spielbanken den Spielern zu, ehe die Kugeln zu rollen beginnen und alles atemlos deren Lauf verfolgt. Die Kugeln eines ganz anderen „Spieles“ beginnen alljährlich auf der Frankfurter Buchmesse zu rollen, eines Spieles, bei dem es nicht nur um materielle Einsätze, sondern vor allem um hohe geistige Werte geht, die für einzelne Menschen und ganze Völker von ausschlaggebender Bedeutung sein können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung