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Triest liegt zwischen Washington und Moskau ,

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Die Hafenstadt Triest, jene Handcisemporc,die mit der Königin der Adria in Wettbewerb trat, ist weder eine italienische noch eine südslawische Schöpfung. Sic verdankt ihren Aufschwung oder, um es gerade

. herauszusagen, ihr Dasein den österreichischen Herrschern, der Zugehörigkeit zur Donaumonarchie. Karl VI. hat mit seinem aufs Meer gerichteten Weitblick 1719 den Triestiner

. Freihafen geschaffen und den gesamten Uebcr-seeverkehr seiner Staaten dorthin gelenkt. Die Wirkung davon drückte sich in deutlich sprechenden Einwohnerziffern aus: 20.000

. im Jahre 1785, 50.000 vier Dezennien später, 80.000 bei der Zählung von 1840, 123.000 zur Zeit des Ausgleichs von 1867 und eine Viertelmillion am Vorabend des ersten Weltkrieges. Noch eindrucksamer spiegeln die Schiffahrtsstatistiken die Entwicklung wider. Während im Jahre 1810 die Tonnage der den Hafen besuchenden Fahrzeuge 88.000 betrug, hat sie 1820 200.000 überschritten, 1840 war sie nochmals um mehr als das Doppelte auf 460.000 gestiegen, 1880 hielt sie jenseits der Millionengrenze, an der Jahrhundertwende vermerkte man 2,159.000 Tonnen und das letzte Friedensjahr unter österreichischer Herrschaft wies einen Verkehr von 5,480.000 Tonnen auf.

Hätten wirtschaftliche Argumente und kühle Staatsraison, hätten die Gefühle der Dankbarkeit, die zwischen Einzelwesen als .Ergebnis gesegneter Symbiose eintreten, im Leben der Völker Geltung, dann wäre in Triest nur der eine Wunsch rege gewesen,

. im Verband eines Reiches •'.u verbleiben, dem man die recht süße Gewohnheit eines wohlhabenden Daseins schuldete.

Nun waren derlei Erwägungen zwar bei einem erheblichen Teil der Handelswelt vorhanden, und sie saßen auch tief im Unterbewußtsein der breiten Massen. Doch das durfte man nicht eingestehen. Die Triestiner aus Stadt und Vororten waren ein Gemisch von Italienern, Slowenen, Kroaten, Deutschsprachigen, Griechen, Juden, doch sie mußten, je nachdem, sich als Unerlöste einer der beiden rivalisierenden Nationen gebärden, die einander den Vorrang an der oberen Adria streitig machten. Die geschichtliche Entwicklung brachte es mit sich, daß im Triestiner Umkreis nur die italienische Irredenta aus dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie unmittelbaren Gewinn holte. Mit dem gesamten Istrien kam 1918/19 die Freie Stadt Triest und ihr Gebiet an Italien. Proteste der Jugoslawen blieben ungehört, um so mehr, als die serbischen Hegemonen im Königreich der Karadjordjevic keinen besonderen Eifer an den Tag legten, um katholische Slowenen und Kroaten zu befreien. Die südslawischen Forderungen meldeten sich erst wieder, und dann im stürmischen Furioso, seit der zweite Weltkrieg die europäischen Grenzen nochmals zur Diskussion gestellt hatte.

Der Friedensvertrag mit Italien vom 10. Februar 1947 war das Resultat dieser einander widerstreitenden Strömungen. Jugoslawien, das damals noch als sowjetischer Satellit die Unterstützung der UdSSR genoß, sah sich den eher zu Italien neigenden Amerikanern gegenüber. Ein Kompromiß der zwei Weltmächte, die damals eben erst den Kalten Krieg begannen, verfügte die Eingliederung beinahe des gesamten einstigen Küstenlands in Titos Föderativrepublik. Aus der Stadt Triest und einem schmalen, bis an die Tore Parenzos reichenden Küstenstreifens, sollte ein 740 Quadratkilometer umfassender, damals von rund 350.000, heute von etwa 380.000 Menschen bewohnter Freistaat gebildet werden, über den die Vereinten Nationen die Oberhoheit auszuüben hätten. Es ist aber nie zur Verwirklichung dieser Beschlüsse gekommen. Der ungeborene Freistaat Triest wurde vielmehr dreigeteilt. In der Stadt mit ihrer erdrückenden italienischen, in'der Zone A mit ihrer weniger eindeutigen slowenischen Mehrheit, geboten anglo-amerikanische Militärbehörden unter einem britischen General; die Zone B, die kroatische Bevölkerungsmehrheit mit beträchtlichen italienischen Minoritäten in den Städten hatte, blieb durch jugoslawische Truppen besetzt. Diese faktische Lage, ein stets bedrohliches, doch anscheinend dauerhaftes Provisorium, wurde von Zeit zu Zeit Ausgangspunkt für Beratungen, die auf eine endgültige Lösung abzielten.

Auf Anregung des französischen Außenministers Bidault beschlossen die drei westlichen Großmächte, Triest entgegen den Bestimmungen des Friedensvertrages an Italien zurückzugeben. Das hat am 20. März 1948, kaum ein Jahr, nachdem zu Paris die Gründung des Freistaates theoretisch gebilligt worden war, eine gemeinsame Erklärung der Angelsachsen und Frankreichs verkündet. Man ahnte damals noch nicht, daß Tito auf dem Sprung, war, mit der Kominform zu brechen. Die Sowjetunion, die bis dahin alle Prätentionen des jugoslawischen Diktators unterstützt hatte, desseh Ansprüche auf Kärntner und südsteirisches Gebiet inbegriffen, verlor seit Sommer 1948 die Lust und den Anlaß, sich für Tito übermäßig zu ereifern. So ruhte die Triestiner Sache im wesentlichen bis zum heurigen Jahr, wenn auch periodisch von einer der beiden Antagonisten die unabdingbaren eigenen Forderungen angemeldet wurden. Um da.3 Los des nichtvorhandenen Freistaates zankt: man, intrigierte man, versprach man und drohte man weniger hier, im Nordosten der Adria, als am grünen Tisch zu London, Paris, Washington, Moskau, Rom und Belgrad, mit gelegentlichen Abstechern in andere, für vertrauliche Gespräche geeignetere Hauptstädte.

Sie gewann erst dann bedrohliche Aktualität, als sich, von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt und durch die angelsächsische Diplomatie nicht rechtzeitig erspäht, nach Stalins Tod eine Annäherung zwischen Moskau und Belgrad vollzog, während gleichzeitig die sowjetische Außenpolitik den Augenblick für gekommen hielt, in Italien schärfer gegen die dortige bürgerliche Regierung aufzutreten und der Einordnung dieses Landes in die Atlantik-Allianz Schwierigkeiten zu machen. Mit einem Schlag durfte nun Tito wieder auf Rückendeckung durch die UdSSR rechnen. Die Verhandlungen in Washington vom heurigen August, bei denen es offenbar zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem jugoslawischen Standpunkt und dem der USA gekommen ist, brachten einen entscheidenden Wendepunkt. Nach verzweifelten und vergeblichen Bemühungen der angelsächsischen Diplomatie, in Belgrad das verlorene Terrain zurückzugewinnen, wurde am S. Oktober die schwerwiegende Erklärung abgegeben, durch die dem platonischen Versprechen nach Rückgabe Triests an Italien eine realere Gebärde folgte: die Ankündigung, daß die angelsächsischen Truppen die Stadt und die Zone A räumen und sie an Italien übergeben würden. Tito hat darauf mit unmißverständlichen Drohungen, mit Teilmobilmachung von einigen Jahrgängen, mit der Konzentration von drei Divisionen in der Zone B und Umgebung, anderseits mit Vergleichsvor-schlägsn geantwortet, die in Rom auf Ablehnung stießen.

Es ist unerfindlich, wie zwischen zwei einander konträr widersprechenden Forderungen der Italiener und der Jugoslawen ein gangbarer Mittelweg gefunden werden kann. Es ist dies um so schwieriger, als sich die Sowjetunion sehr geschickt mit einer dritten Auffassung eingeschaltet hat, die unbezweifelbar weder auf der politischen Vernunft noch auf den Wünschen eines der beiden Hauptinteressenten gründet, doch auf geltenden und feierlich übernommenen Verpflichtungen des Friedensvertrags von 1947. Es liegt ein wichtiger Unterschied zu den Potsdamer Abkommen vor, denen nie ein Friedensvertrag mit Deutschland völkerrechtliche Sanktionen verliehen hat. Die Pariser Texte tragen die Unterschrift der bevollmächtigten Vertreter einer, der einzigen vorhandenen, italienischen und die der völkerrechtlich anerkannten jugoslawischen Regierung; daß beide Paraphen unter Protest beigesetzt wurden, nimmt ihnen nichts von ihrer Gültigkeit. Nun kann man sich Zwar auf die berühmte, berüchtigte Clausula rebus sie stantibus berufen, die eigentlich jeden internationalen Vertrag vom guten oder bösen Willen, beziehungsweise von der militärischen und politischen Stärke der Unterzeichner abhängig macht. In diesem Falle aber steht hinter dem Podien auf gültige Vertragstexte die mächtige Sowjetunion, die in dieser ihrer stolz bekundeten Tugend eine herrliche Waffe besitzt, um einerseits die Angelsachsen mit Italien und mit Jugoslawien zu überwerfen, anderseits, um es zwischen Belgrad und Rom zu keinen dauernden, echten Frieden kommen zu lassen; des weiteren, um den lästigen und in allen Fügen wankenden Balkanpakt zu sprengen und endlich, wenn nicht vor allem, um Jugoslawien wieder in den Ostblock hineinzuholen, sei es audi nicht formell, so doch faktisch und unter dem Schein noch fortwährender Absonderung.

Moskau also begehrt die Durchführung des Pariser Vertrages, das Inslebentreten eines totgeborenen Freistaats; der so viel und so lange Existenz hätte wie die Freie Stadt Dan-zig, nämlich bis zum nächsten Krieg, den zu beschleunigen ein derartiges Unglücksstaatswesen erheblich beitrüge.

Die großen Steine des Anstoßes sehen wir in folgendem: Erstens darin, daß die Angelsachsen ihr positives Versprechen vom 8. Oktober nicht zurückziehen können, chre die ärgsten Konsequenzen für ihr Verhältnis zu Italien auszulösen, daß also irgendwann und in nicht zu ferner Zukunft die Italiener das Recht haben werden, in die A-Zone und in die Stadt Triest einzumarschieren; woraus sich dann die schon erörterten Verwicklungen ableiten. Zweitens, daß die Sowjetunion auf dem Scheinstaat besteht und daß sie Tito in die Unmöglichkeit versetzt, ohne Gefährdung seiner Existenz und der seines Regimes einen Kompromißvorschlag auf eine, dem Friedensvertrag von 1947 widersprechende, Teilung zu akzeptieren. Der Schlüssel zur Triestiner Frage liegt schon heute, wie eh und je, nidit an der Adria, sondern anderwärts. Diesmal in Washington und in Moskau. Wie bei allen die Welt bewegenden Problemen, kann auch hier eine friedliche Erledigung nur durch Einigung zwischen USA und UdSSR geschehen. Wir müssen es den Lesern dieses Tatsachenberichts überlassen, zu beurteilen, wie groß also die Chancen für eine baldige und günstige Lösung sind.

Daß Oesterreich nach wie vor ein sehr großes Interesse an ihr hat, daß es sich aber sorgsam davor hüten muß, in diesen Konflikt einzugreifen, liegt auf der Hand. Wir werden uns damit begnügen, den Triestinern zu Wünschen, daß sie, die laut faschistischer Inschrift vom „turpe servaggio autriaco“, von der

„schändlichen Versklavung an Oesterreich“ befreit wurden, nicht allzuviel Anlaß bekommen, sich nach jenen schändlichen Sklavenzeiten zurückzusehnen und daß der Adria-hafen in einem befriedeten Europa seine Aufgaben als Zugang zu den Ozeanen auch für die einstigen Schicksalsgenossen erfülle, an die Triest nicht mehr durch die — gestehen wir es doch, so zarten — Bande gemeinsamer Staatszugehörigkeit gekettet ist.

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