Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Triest und die Südtiroler Frage
Der Intervention der Westmächte ist es zu verdanken, wenn in letzter Zeit ein Teilproblem Südtirols, nämlich die Optantenfrage, einer vorläufigen Lösung zugeführt wurde. Es handelt sich um eine Rückgabe des von der italienischen Regierung seinerzeit beschlagnahmten Eigentums der nicht ausgewanderten, also in Südtirol verbliebenen Optanten, denen die Wiederzuerkennung der italienischen Staatsbürgerschaft verweigert worden war. Insgesamt sind 2000 Südtiroler Optanten vom Rückerwerb der italienischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen worden. Sie wurden von der italienischen Regierung als Deutsche betrachtet. Ihr Besitz wurde als deutsches Eigentum angesehen und unter Sequester gestellt. Eine Klärung bahnte sich erst an, als die Bundesregierung in Bonn erklärte, daß die nicht abgewanderten Optanten niemals deutsche Staatsbürger geworden seien und von Bonn daher nicht als Deutsche anerkannt werden könnten. Diesem Standpunkt haben sich die Vertreter der Westmächte angeschlossen, worauf Ministerpräsident Degasperi bekanntgab, daß nunmehr auf Grund der Entscheidung der Viererkommission die Absicht bestehe, „über Ansuchen der einzelnen Interessierten die Ermächtigung zur Aufhebung der Vermögensbeschlagnahme zu erteilen". Ungeachtet der geschaffenen Klarheit über die internationale Rechtslage erfolgte keine generelle Aufhebung der Beschlagnahmungen, ,während die Frage der Wiederverleihung der italienischen Staatsbürgerschaft offen blieb. Hingegen hat die Regierung Degasperi in jüngster Zeit zur Beruhigung der erregten Tiroler Bevölkerung die Einbringung eines Gesetzes beschlossen, daß die Südtiroler Optanten in alle früheren Rechte als Gehalts-, Pensions-, Renten- und Unterstützungsempfänger wieder einsetzen soll. Man ist sich jedoch klar, daß noch einige Zeit vergehen wird, ehe diese Gesetzesvorlage die Kammer und den Senat passiert hat.
Die bisherige Entwicklung der Südtiroler Frage wird von der Bevölkerung des ganzen Landes schmerzlich empfunden. Diese steht unter dem Eindruck, daß Italien die ihm seit dem 5. September 1946 gestellte Bewährungsfrist kaum bestanden hat, während es in seinem ureigensten Interesse gelegen wäre, die Bewährung zu bestehen und so eine europäische Sendung zu legitimieren. In der Debatte über die Regierungserklärung des siebenten Kabinetts Degasperi hat der Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei Dr. von Guggenberg zum erstenmal der Regierung Degasperi das Mißtrauen ausgesprochen und die größte Enttäuschung seit Erlassung des Sonderstatuts für die Region Trentino-Südtirol, zum Ausdruck gebracht.
Eine Südtiroler Stimme, die „Dolomiten", bringt anläßlich des fünften Jahrestages der Unterzeichnung des vom •Außenminister Dr. Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Degas- peii gefertigten Abkommens über Süd tirol längere Betrachtungen unter dem Titel „Eine passive Bilanz" und fährt dann fort: Gegenwärtig kämpft Italien einen mit stärksten Mitteln geführten Kampf um die Rückgewinnung Triests. Eine gerechte Lösung des verwickelten Problems kann es nur von einer europä- isch-orientierten Welt erhoffen. Dieser gegenüber wird es sich aber nur dann durchsetzen können, wenn es einmal selbst ganz von europäischem Denken erfaßt und erfüllt ist. Das Bewährungsstück heißt für Italien seit dem 5. September 1946 — Südtirol. Wenn die von Italien angestrebte allgemeine Revision des Friedensvertrages sowie die Rückstellung Triests an Italien auf Grund der Dreimächteerklärung vom 26. September 1951, welcher erst kürzlich weitere sieben Nationen beigetreten sind, eine konkrete Gestalt annehmen sollte, werden sich die Westmächte vor die Aufgabe gestellt sehen, auch das Südtiroler Problem einer definitiven Lösung zuzuführen. Der Einflußnahme der Westmächte war es zuzuschreiben, daß im Jahre 1921 die Haupt stadt des Burgenlandes, Odenburg, für Österreich verlorenging. Österreich wurde verhindert, alle Gebiete zu vereinigen, deren Bewohner deutschsprachig waren. Südtirol fiel an Italien. Die Zerreißung Tirols bildet eines der traurigsten Kapitel der österreichischen Geschichte. Die Zerreißung war nicht etwa eine Folge von Kriegshandlungen. Dollfuß und Schuschnigg, im schweren Kampf gegen Hitler stehend, wollten es sich nicht mit Mussolini verderben, während die Abtrennung Südtirols von Österreich Hitler die Waffenbrüderschaft Mussolinis eintrug. „Interessiert sich Österreich", so schreibt der in Bozen erscheinende deutschsprachige „Standpunkt", „wirklich nicht mehr für Südtirol? Betrachtet es dieses Land vielleicht schon genau so als kemitalienisches Gebiet wie Venetien oder die Lombardei, die ja auch einmal österreichisch waren? Die nach dem von Wilson verkündeten Selbstbestimmungsrecht ungerechte Grenzziehung von 1918 ist im Jahre 1945 trotz des in der Atlantik Charta feierlich verkündeten Selbst-
bestimmungsrechts aufs neue gezogen — ein unauslöschlicher Fleck alliierter Politik, geeignet, das Vertrauen in die Wahrheit ihrer Proklamationen zu erschüttern.' Unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien sind an einem Punkt angelangt, wo lebenswichtige Interessen Österreichs auf dem Spiel stehen. Bedauerlicherweise wurde Österreich bisher keine Möglichkeit gegeben, durch eine Mitwirkung an den betreffenden Verhandlungen zur Lösung dieser Frage beizutragen. Nicht mit Unrecht hat daher Senatspräsident Prof. Dr. K1 a n g in einer kritischen Betrachtung der österreichischen Gesetzestechnik dem Bedauern Ausdruck gegeben, daß der Nationalrat es unterläßt, dort einzugreifen, wo ein dringendes Bedürfnis nach Klärung des Gegebenen vorhanden ist, und Abgeordneter Prof. Dr. Gschnitzer hat sich zur Südtiroler Frage in nachstehender bemerkenswerter Weise geäußert: „Im italienischen Parlament wird über Südtirol debattiert, und im englischen Unterhaus werden Anträge gestellt. Wann erhält aber das österreichische Parlament Gelegenheit, seine Stimme zu erheben?“ Da nach einer Erklärung der italienischen Regierung Italien sich nicht mit einer allgemein gehaltenen Forderung nach Revision des Friedensvertrages begnügen will, so ist die Annahme naheliegend, daß die W estmächte die Südtiroler Frage in einen gewissen Zusammenhang mit der Lösung des Triester Problems zu bringen beabsichtigen. Gleich wie Italien den Zeitpunkt für gekommen erachtet, Triest wieder zurückzugewinnen, ebenso müßten wir es begrüßen, wenn die Revision des Friedensvertrages zum Anlaß genommen würde, um eine definitive Lösung der Südtiroler Frage herbeizuführen. Italien steht jetzt vor der Aufgabe, in der wirksamsten Weise zu dem europäischen Wiederaufbau beizutragen, den uns die heutige Zeit in allen Sektoren in Angriff zu nehmen zwingt. Italien und Österreich sind in den letzten hundert Jahren vom Schicksal hart behandelt worden. Kein Wunder, daß sie nun reif erscheinen für eine große, europäische Zusammenarbeit, zu der sich die Völker bekennen und für die gerade die Vertiefung der wirtschaftliehen Beziehungen in den letzten 25 Jahren als Vorstufe angesehen werden darf.
Eine jüngst stattgefundene Unterredung mit dem Präsidenten der italienisch-österreichischen Handelskammer in Mailand beschloß der Präsident der italienischen
Republik und gleichzeitig hervorragende Nationalökonom, E i n a u d i, mit den Worten: „Halten Sie sich vor Augen, daß Österreich zwar nicht ohne Italien, aber auch Italien nicht ohne Österreich leben kann.“
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!