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Triest und Südtirol

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Aus einer jüngst veröffentlichten Darstellung des Gesandren und ehemaligen Ministers Dr, Eichhoff im Organ des Verbandes der geistig Schaffenden Oesterreichs konnte man besonders interessante Aufschlüsse über die Südtiroler Frage erfahren. Einleitend bemerkte der lange Jahre hindurch in amtlicher Stellung mit dieser Frage befaßte Verfasser, daß es kein Stück Erde gebe, aus welcher der österreichische Charakter mehr hervorleuchte, als Südtirol. Im Londoner Vertrag 1915 sei den Italienern als Lohn für den Eintritt in den Krieg Tirol bis zur Brennergrenze versprochen worden. Wie viele von den versprechenden Staatsmännern der Großmächte mögen wohl gewußt haben, was die Brennergrenze für Tirol bedeutet. Seit der Unterschrift von Saint-Germain am 10. September 1919, führt Minister Eichhoff weiter aus, sei diese Wunde im Herzen Europas immer offen geblieben, wenn auch aus späteren völkerrechtlichen Akten immerhin gewisse Rechte der Südtiroler abgeleitet werden konnten. Nun sei aber am 2. Juli 1928 von der „Agenzia Stefani“ ein Kommunique verlaut- bart worden, wonach die österreichische Regierung erklärt haben soll, die Südtiroler Frage sei eine rein innere italienische Angelegenheit. Diese offizielle Behauptung sei von Oesterreich nicht wiedergegeben worden, und die unklare Rechtslage Südtirols mußte seither hingenommen werden. Erst zu Beginn des zweiten Weltkrieges sei das internationale Interesse an der Südtiroler Frage wieder erwacht, als Hitler in einem Dankschreiben an Mussolini als Gegengeschenk für dessen Zustimmung zur Okkupation Oesterreichs für immer auf Südtirol verzichtete — ein Vorgehen, das allgemeine Empörung hervorrief. Minister Eichhoff erinnert an den Ausspruch des englischen Botschafters P h i p p s : „Die Unabhängigkeit und das Gedeihen Oesterreichs zu sichern, sollte die heilige Aufgabe der ganzen zivilisierten Welt sein.“ In der Sitzung des britischen Parlaments vom 23. Mai 1946 hat Prof. Savary die Frage gestellt, oh der Minister des Aeußern, Mr. Bevin, wisse, daß sich alle Geschichtsforscher über die Ungerechtigkeit der Bestimmung des Vertrages von Saint-Ger- main, durch die ein großer Teil von Tirol an Italien ausgeliefert wurde, einig sind. Endlich konstatiert Minister Eichhoff, daß durch das Gruber-De-Gasperi- Abkommen unter verschiedenartigen, unklaren Bedingungen die Südtiroler den Italienern ausgeliefert wurden. Mit Rundschreiben vom 30. April d. J. bat der italienische Ministerpräsident in Widerspruch zu dem Pariser Abkommen und dem Autonomie statut eine wesentliche Verschärfung der Bestimmungen für das gesamte Südtiroler Theaterwesen verfügt.

Die Ersetzung des gegenwärtigen unleidlichen und unzulänglichen Zustandes, in dem sich Südtirol heute durch die Unklarheit der Textierung des De-Gasperi-Gruber-Ab- kommens und seine lückenhafte wie verzögerte Durchführung befindet, hat . die Tiroler Zeitung „Der Volksbote“ vom 18. April d. J. zum Anlaß genommen, um auf echte Autonomie hinzuweisen, die der Staat Italien für seine Landsleute in dem Schweizer Kanton Tessin erreicht hat. Seit 1918, so schreibt das genannte Blatt, wurden die Einheit Tirols zerrissen und die verbindenden Klammern des Landes, Brenner, Re- schen, Draupforte, sinnwidrig zu Riegeln einer naturwidrigen Grenze mitten im Herzen der Alpen verkehrt. Dieses Problem ist eine Wunde Europas, eine Last für Italien, eine überflüssige Störung in den Beziehungen Italiens zu Oesterreich. Gibt es keine Möglichkeit, diese Wunde zu schließen, den Schmerz zu heilen, die Last abzunehmen?

Die bisherige Entwicklung der Südtiroler Frage wird von der Bevölkerung des ganzen Landes schmerzlich empfunden. Man meint, daß Italien die ihm seit dem 5. September 1946 gestellte Bewährungsfrist kaum bestanden hat — dabei läge es doch in seinem ureigensten Interesse, diese Bewährung zu bestehen und so seine europäische Sendung zu legitimieren.

Wenn die von Italien angestrebte allgemeine Revision des Friedensvertrages sowie die Rückstellung Triests an Italien auf Grund der Dreimächteerklärung vom 25. September 1951 konkrete Gestalt annehmen sollte — die’ Sowjetunion hat ihre Ansprüche auf Triest, anläßlich der letzten Berliner Konferenz, gänzlich zurückgezogen —, werden sich die Westmächte vor die Aufgabe gestellt sehen, auch das Südtiroler Problem einer definitiven Lösung zuzuführen, obwohl De Gasperi in einer Konferenz am 14. April d. J. erklärt hat, daß Südtirol endgültig zu Italien gehöre.

Gegenwärtig kämpft Italien mit stärksten Mitteln um die Rückgewinnung T r i e s t s. England, Frankreich und die USA haben 1948 vor den italienischen Parlamentswahlen Italien die Rückgabe des gesamten Freistaates versprochen, sind aber nach dem bald darauf erfolgten Bruch Titos mit Moskau, im Hinblick auf die Festigung ihrer Zusammenarbeit mit Jugoslawien, von ihrem Versprechen abgewichen. Zwischen dem Ministerpräsidenten S c e 1 b a und dem amerikanischen Minister des Aeußern, D u 1- 1 e s, haben vor kurzem in London geheime Besprechungen in Angelegenheit der jugoslawischen Frage stattgefunden. Darnach wäre Jugoslawien bereit, alle Ansprüche auf Stadt und Hafen von Triest fallen zu lassen und sich nach einigen Grenzberichtigungen mit der Abtretung der Zone A des Freistadtgebietes an Italien einverstanden zu erklären, wenn die gesamte Zone B Jugoslawien zugeschrieben würde. Als Entschädigung für den jugoslawischen Verzicht haben sich die USA und England bereit erklärt, den in der Zone B gelegenen Hafen Capodistria aul ihre Kosten zu einem modernen Seehafen auszubauen und ihn durch eine Eisenbahnlinie und eine Autobahn mit Pola und Laibach zu verbinden. Die italienische Presse und auch die italieni.- sehen Politiker haben zu den Vorschlägen Jugoslawiens bisher nicht Stellung genommen. Der italienische Ministerpräsident Scelba hat aber in letzter Zeit die Eröffnung einer Mittelmeermesse in Palermo dazu benützt, das heikelste Thema der italienischen Außenpolitik offen zu besprechen. Er sagte: Eine gerechte Lösung des Triestproblems interessiere nicht nur Italien, sondern ebenso die Mitgliedstaaten der NATO, die ehrlichen Herzens ein Stärkung des Atlantikpaktes wünschen. Italien habe die Irrtümer des Faschismus teuer bezahlt.

Hier meinte der Ministerpräsident den im letzten Krieg erlittenen Verlust von Pola, Zara und anderer italienischer Städte. Niemand könne von Italien weitere Opfer verlangen, um bessere Beziehungen zwischen Rom und Belgrad herbeizuführen. Italien habe viele Jahre auf eine gerechte Lösung der Triest- Frage gewartet. Schon seit Jahren hätten die Alliierten die Rückgabe des freien Territoriums von Triest an Italien als die gerechte Lösung anerkannt. Italien habe keinen Grund, daran zu zweifeln, daß heute noch gelte, was gestern anerkannt worden sei. Die Regierungen Jugoslawiens hätten in der Vergangenheit eine natürliche italienische Grenze anerkannt, „die über das heurige Triest- Gebiet hinausging, was man heute Italien streitig machen wolle".

Da nach einer Erklärung der Italienischen Regierung Italien sich nicht mit einer Forderung nach Revision des Friedensvertrages, der bekanntlich die Internationalisierung des gesamten Triester Freihafengebietes umfaßt, begnügen will, so ist die Annahme naheliegend, daß die Westmächte die Südtiroler Frage in einen gewissen Zusammenhang mit der Lösung des Triester Problems bringen müßten. Ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Oesterreich und Italien in der Triester Frage würde auch der :Lösung der Südtiroler Probleme förderlich sein. Leider sind gegenwärtig in Oesterreich zwei Ministerien mit der österreichischen Handelspolitik befaßt — eine Teilung, die von der Wirtschaft auf die Dauer nicht hingenommen werden kann. Dieser Standpunkt wurde schon in der „Furche" und zuletzt am 24. Juni d. J. in einer Beratung im Donau- eutopäischen Institut vom Vizepräsidenten der Bundeskammer, Dr. M a i x, vertreten.

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