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Trojanische Kavallerie

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Je näher der Termin der westdeutschen Bundestagswahlen rückt, um so eifriger ist das SED-Regime in Ost-Berlin und die illegale KP bemüht, Einfluß auf die Wähler zu nehmen. Die Propagandamaschinerie läuft auf Hochtouren. Die westdeutsche Sozialdemokratie erhält immer offener unerbetene Unterstützung aus Ost- Berlin. Während die KP in ihrem Wahlprogramm, das schon vor sechs Monaten herausgegeben wurde, noch vorsichtig formulierte: „Sollte sich unsere Partei nicht selbst zur Wahl stellen können, dann fordern wir die Wähler auf, solchen Kandidaten ihre Stimme zu geben, deren Grundsätze unserem Programm am nächsten kommen“, so heißt es in dem Bericht des Zentralkomitees, der auf dem diesjährigen Exilparteitag der KP von Max Reimann erstattet wurde, unverblümt: „Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, damit die Regierung Adenauer durch eine Regierung ohne die CDU/CSU abgelöst wird."

Die SPD ist über diese offene Unterstützung nicht gerade erfreut. (Die Anbiederungsversuche gingen so weit, daß die Ost-Berliner Machthaber der SPD sogar den Sowjetzonenrundfunk zur Verfügung stellen wollten!) Die Liebe des Ost- Berliner Regimes zur Sozialdemokratie hat natürlich ganz konkrete Hintergründe.i

Die von den Kommunisten verfolgte Taktik soll sich in vier Etappen vollziehen. Zunächst geht es darum, die CDU von der Regierung wegzudrängen. Wäre dies gelungen, fordert die KP: „Wiederherstellung und Erweiterung der demokratischen Rechte des Volkes, einschließlich freier Betätigung für die KP; wirksame Schritte zur Aufnahme von Kontakten mit der Regierung der DDR auf der Linie der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands."

Die nächste Aufgabe müßte dann nach Meinung der Kommunisten die Herstellung der „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ sein. Max Reimann umriß auf dem Parteitag die Zielsetzung wie folgt: „Das Herzstück unserer Politik ist und muß sein die Herstellung der Aktionseinheit. Sie ist notwendig für die Lösung der Gegenwartsaufgaben des Klassenkampfes und für die Erfüllung der geschichtlichen Mission der Arbeiterklasse.“

Endlich würde die vierte und letzte Etappe

Die KP führte ihren dritten Nachkriegsparteitag, der gleichzeitig ihr erster Exilparteitag war, in der Woche vom 10. bis 15. Juni 1957 in Ost-Berlin durch.

darin, bestehen, daß die „Avantgarde des Proler tariats“ (sprich: die KP) die Macht an sich reißt. In erfrischender Offenheit sagt es Reimann in seinem Bericht vor dem ZK jedem, der es hören will:

„Von manchen Genossen wurde auch der Gedanke geäußert, man könne, da die Partei verboten sei, diese Aufgabe durch den Eintritt der Kommunisten in die SPD lösen. Diese Genossen lassen völlig die Erfahrung und Lehren der internationalen Arbeiterbewegung außer acht. Diese Lehren besagen, daß die Arbeiterklasse nur siegen kann, wenn sie unter Führung einer marxistisch-leninistischen Partei kämpft.“

Das politische Konzept, das die KP auf ihrem Parteitag 1957 entwickelt hat, und das selbstredend im ZK der SED ausgearbeitet wurde, erinnert fatal an die jüngste Geschichte des Ostblocks. Es erinnert an „Volksfront" und an die durch Matthias Rakosi berühmt gewordene „Salamitaktik“. Vor diesem ideologischen Hintergrund spielt sich gegenwärtig in Westdeutschland der zähe Kleinkrieg der illegalen KP ab. Dazu kommt die Propagandawalze der SED. Alle Massenorganisationen der Sowjetzone greifen in den westdeutschen Wahlkampf ein. Ob Nationale Front, Demokratischer Frauenbund, FDGB oder FDJ, alle

Einen agitatorischen Haupterfolg versprechen sich die Pankower Machthaber jedoch von dem konzentrierten Einsatz ihrer sogenannten „Instrukteure“. Man schätzt, daß gegenwärtig rund 5000 SED-Agitatorin in die Bundesrepublik eingeschleust werden, die besonders in Industriegegenden tätig werden. Diese Instrukteure sollen vor allem als Diskussionsredner in Wahlversammlungen auf tauchen und dort den Kandidaten der bürgerlichen Parteien provozierende Fragen stellen. Die Fangfragen sehen so aus: Wieviel wurde für ein Mandat bezahlt? Wozu hat sich der Kandidat als Gegenleistung verpflichtet? Was tat der Kandidat im Dritten Reich? Wie steht er zum Atomkrieg usw.? Das kommunistische Agita-

tionstrommelfeuer beschäftigt sich vorwiegend mit dem Schreckgespenst eines Atomkrjeges. Die SED-Propagandisten sind eifrig bemüht, bei der westdeutschen Bevölkerung eine Atompanik zu entfachen. Zentnerweise werden illegale Broschüren und Flugschriften in die Bundesrepublik eingeschleust, die sich mit der Atomgefahr beschäftigen. Da diese Publikationen häufig als Sonderdrucke aus Illustrierten aufgemacht sind, merkt der unbefangene Leser meist nicht, wer die Urheber dieser Geschichten sind. Die Verteilung der illegalen Schriften besorgen die „Wahlhelfer“, die von der SED in die Bundesrepublik geschickt wurden. Es handelt sich dabei vorwiegend um Mitglieder der „Freien Deutschen Jugend", die für ihre Tätigkeit in einem Dreimonatskursus geschult wurden. Die FDJler sollen vor allem in den Gewerkschaften und in den Betrieben aktiv werden. Auch die illegalen Kader der KP wurden auf Vordermann gebracht. Nachdem sich gewisse Auflösungstendenzen in den unteren Einheiten der Partei gezeigt haben, wurden die alten KP-Funktionäre durch SED-Genossen ersetzt und die leitenden westdeutschen Kommunisten zur Schulung in die Sowjetzone abkommandiert.

Auf der Linie dieser Bestrebungen arbeitet in Westdeutschland eine,¡Gruppe, die sich „Sozialistische Aktion“ nennt und eine Zeitschrift mit dem Titel. „Stimme der Opposition" herausgibt. Gegründet wurde diese Tarnorganisation bereits 1949 mit dem Ziel, Opposition in die SPD hineinzutragen. Da die „Sozialistische Aktion" bewußt in die Sozialdemokratische Partei hinein arbeitet und keinesfalls eine Spaltung der SPD anstrebt, sind die Erfolge schwer abzuwägen. Das unerbittliche und scharfe Vorgehen des SPD-Vorstandes läßt allerdings den Schluß zu, daß die Gefahr einer Infiltration des linken Flügels der SPD gegeben ist. Die „Sozialistische Aktion“ verfügt im Bundesgebiet über ein engmaschiges Verteilernetz, das die Verschickung des östlichen Propagandamaterials mit übernommen hat.

Die Propagandaarbeit in den westdeutschen Betrieben wird neben der illegalen KP noch vom sowjetzonalen „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ getragen. Der FDGB unterhält in Ost-Berlin eigens eine Abteilung „Deutsche Gewerkschaftseinheit", die sich mit der Unterwanderung der westdeutschen Gewerkschaften, der Organisierung wilder Streiks, der Herstellung von kommunistischer Gewerkschaftspropaganda und der Einschleusung in die westdeutschen Betriebe beschäftigt. In der Bundesrepublik befindet sich im Ruhrgebiet eine „fliegende Leitung" dieser Organisation, die als

wurden sie zum Wahleinsatz mobilisiert. Auf der 32. Tagung des SED-Zentralkomitees gab der Sprecher des Politbüros, Friedrich Ebert, die Parole aus, daß es Aufgabe sei, „aller in der Nationalen Front zusammengeschlossenen Parteien und Massenorganisationen und der Nationalen Front selbst in jeder möglichen Form so auf den Wahlkampf in Westdeutschland einztiwirken, als würden wir selbst unmittelbar an ihm teilnehmen". Schon vor Wochen lief in der „Hauptabteilung S“ des sowjetzonalen Ministeriums für Staatssicherheit die Herstellung von „Dokumenten“ an. Die Fälschungsprodukte dieser Abteilung, die vom frisierten Reisepaß bis zum „nachempfundenen Originalbrief" reichen, sollten die Propaganda der SED dokumentarisch untermauern. Das Ergebnis dieser Tätigkeit wurde dann auch in der gesamten Sowjetzonenpresse abgedruckt. Zunächst wurde der westdeutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauss scharf angegangen. Dann zauberten die Experten Dokumente über angebliche Greueltaten des deutschen NATO- Generals Speidel aus der Raritätenkiste. Allerdings war die Qualität nicht besonders. Die „Dokumente“ waren schnell als einwandfreie Fälschungen entlarvt. Außer den kommunistischen bzw. kommunistenfreundlichen Zeitungen fanden die „Enthüllungen" keine Resonanz.

Zentrale für die im ganzen Bundesgebiet tätigen FDGB-Gruppen dient.

Eine weitere Zielscheibe der kommunistischen Propaganda ist die Bundeswehr, für die in Ost- Berlin eigens ein Magazin gedruckt wird. Es nennt sich: „Die Kaserne, Magazin für alle gegen den Bonner Barras" und wird über alle möglichen Wege in die Unterkünfte der Soldaten hineingeschmuggelt, um Verwirrung zu stiften. Dieser Absicht dient auch der Versand von gefälschten Einberufungsbefehlen.

Mit der Post kommt eine Flut von Propagandasendungen ins Bundesgebiet. Es fängt mit den „Briefzirkeln“ der „Nationalen Front“ an, von denen einige Hundert in der Sowjetzone existieren. Jeder Betrieb muß ein bestimmtes Soll an Briefen in die Bundesrepublik schicken. Die Sache ist perfektioniert bis in Einzelheiten. Auch die Mustervorlagen fehlen nicht. In der Anleitung für die Briefkorrespondenten heißt es: „Werte Freunde! Wir geben Euch hiermit eine wertvolle Anleitung für Eure Briefe nach Westdeutschland in die Hand. Es wäre empfehlenswert, wenn ihr den Text von Fall zu Fall etwas abändern würdet. Haltet Euch jedoch an die Argumente der Vorlage. Anschriften von westdeutschen Friedensfreunden sind beim Kreisausschuß der Nationalen Front zu er-, halten.“ Und so kommt es, daß man zum Beispiel in den Geschäftsbriefen, die aus der Sowjetzone kommen, die stereotype Formel lesen kann: „Wir würden es begrüßen, auch von Ihnen eine Stellungnahme zu den Erklärungen der sowjetischen Regierungsdelegation zu erhalten, bzw. Ihre Meinung bezüglich der Vorbereitungen und Durchführung der bevorstehenden Bundestagswahlen.“ Für die Beschaffung der Anschriften ist die illegale KP zuständig. Der Parteiauftrag lautet: Anschriften von Leuten zu sammeln, die für derartige Briefsendungen aufgeschlossen sind. Die KP-Genossen wälzen daher eifrig Adreß- und Telephonbücher, sammeln Anschriften von DGB- und SPD-Mitgliedern und liefern Namenlisten en gros.

Neben diesen persönlich gehaltenen Briefen bombardieren die Parteien der SBZ die westdeutschen Bundesbürger mit Broschüren und Informationsdiensten. Die Ost-CDU verschickt an jeden irgendwie der West-CDU nahestehenden Wähler den „Union-Pressedienst", die sowjetzonale Liberaldemokratische Partei deckt die FDP-Mitglieder mit ihrem „Ost-West- Presse- und Informationsdienst" ein. Die SED tut ein übriges. Gratis und franko schickt sie unter dem harmlosen Namen „Deutscher Dienst“ ihre Propaganda nach Westdeutschland. Dazu kommen die halblegalen und illegalen Publikationen der KP. Das Zentralorgan der KP, „Freies Volk“, wird jede Woche als Kleinausgabe gedruckt, von Ost-Berlin aus verschickt. Das theoretische Organ der KP, „Wissen und Tat", erscheint monatlich unter den mannigfachsten Tarngewändern. Einmal als Reclam-Bändchen mit dem Titel: „Picasso, Maler und Modell“, oder unter dem Deckblatt einer Erzählung, die in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen ist. Die Thesen des Parteitages 1957 kursieren, als Verlagsankündigung des S.-Fischer-Verlages getarnt, in den westdeutschen Betrieben. Das Weißbuch über Ungarn wird unter den Deckblättern: „Die Wahrheit über Konnersreuth“ und „Im Westen nichts Neues“ in Umlauf gebracht. Diese Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen.

Das SED-Regime will mit diesen Aktionen erreichen, daß Unruhe in die westdeutsche Politik getragen wird. Von der Ablösung Doktor Adenauers als westdeutscher Bundeskanzler verspricht man sich in Ost-Berlin ein Aufbrechen der geschlossenen Abwehrfront gegen den Kommunismus. Aber fine Bonner Wachablösung ist nicht das einzige Ziel der nun angelaufenen Propagandawalze der SED. Es hat allen Anschein, daß die verstärkte SED-Agitation auch nach den Bundestagswahlen weitergeführt werden soll — ohne Rücksicht auf deren Ausgang.

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